Ampelparteien zur Kindergrundsicherung: Knete für die Kids

Die Ampelkoalition will arme Familien besser unterstützen – und streitet. Was plant die Familienministerin? Was kostet es? Und ist es der große Wurf?

Ein Kind und eine Erwachsene und eine Einkaufswagen

Geld fürs Einkaufen: Bedürftige Familien sollen mehr bekommen Foto: Christof SChuerpf/Keystone/laif

Was ist die Idee?

Die Kindergrundsicherung soll bereits bestehende Sozialleistungen bündeln. Dazu gehören Kindergeld und Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch und Teile des Bildungs- und Teilhabepakets. Die Leistungen müssen bislang an ganz unterschiedlichen Stellen beantragt werden. Künftig sollen Familien auch darüber informiert werden, inwiefern sie leistungsberechtigt sind: Regelmäßig soll der Anspruch anhand von Steuerdaten überprüft werden. Eine besondere Unterstützung muss immer noch beantragt werden, das Verfahren soll aber vereinfacht werden und der Antrag zentral digital gestellt werden können: über das sogenannte Kindergrundsicherungsportal.

Wer bekommt wie viel Geld?

Grundsätzlich soll es bei der Kindergrundsicherung einen Betrag geben, den alle Eltern bekommen: den „Garantiebetrag“. Dieser soll zunächt der Höhe des heutigen Kindergeldes entprechen, also 250 Euro. Dazu soll es einen „Zusatzbetrag“ geben, der armen Familien zugutekommen soll. Zusammengerechnet sollen Garantiebetrag und Zusatzbetrag das Existenzminimum des Kindes sichern. Auch das Existenzminimum selbst will Paus neu definieren, zuletzt wurde es 2013 berechnet, Bedarfe von Kindern wurden dabei aus dem Existenzminimum Erwachsener abgeleitet, was Kosten für beispielsweise Windeln außer Acht lässt.

Es ist noch nicht klar, wie hoch der Zusatzbetrag sein wird und wer von ihm profitieren wird. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) will mehr Geld ausgeben, um vor allem arme Familien zu entlasten, Finanzminister Christian Lindner (FDP) möchte lediglich die bereits bestehenden Angebote bündeln. Weil aber voraussichtlich mehr Eltern als bisher die Leistungen abrufen werden, kommt es in jedem Fall zu staatlichen Mehrausgaben.

Woher kommen die Milliarden, die die Familienministerin für die Kindergrund­sicherug veranschlagt?

12 Milliarden Euro wird die geplante Kindergrundsicherung kosten, hat das Familienministerium ausgerechnet. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund rechnet mit 12,5 Milliarden Euro jährlichen Mehrausgaben. So viel will der Finanzminister nicht lockermachen. Im Haushaltsstreit der Koalition beharrt Lisa Paus aber auf ihren finanziellen Vorstellungen. „Zwölf Milliarden Euro sind eher am unteren Ende dessen, was man benötigen würde, um Kinderarmut in Deutschland deutlich zu verringern“, sagte sie der Neuen Osnabrücker Zeitung vom Samstag. Ein Großteil des Geldes werde schon „für den Inflationsausgleich und die höhere Inanspruchnahme“ gebraucht.

Zu Gegenfinanzierung fordern die Grünen die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen. Verbände bringen unterdessen die Finanzierung durch die Abschaffung des Ehegattensplittings ins Spiel: Bereits 2001 bestätigte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einem Gutachten, dass die Kindergrundsicherung durch eine Reduktion des Ehegattensplittings finanzierbar wäre. Die damalige Familienministerin Christine Bergmann (SPD) sperrte sich gegen den Vorschlag der Grünen, heute spricht sich auch die SPD für die Kindergrundsicherung aus. Kanzler Olaf Scholz ist laut seines Regierungssprechers ein „großer Fan der Kindergrund­sicherung“. Die Grünen fordern in der heutigen Koalition mit SPD und der FDP allerdings nicht mehr die Abschaffung des Ehegattensplittings, sie stünden auf verlorenem Posten.

Wie ist der Zeitplan?

Die Bundesarbeitsagentur steht laut Ministerin Paus „in den Startlöchern“ für eine Mach­barkeitsstudie. Bis zum Ende der Sommerpause soll dann ein Gesetzentwurf fertig werden. Die ersten Gelder sollen voraussichtlich 2025 ausgezahlt werden. Für den Haushalt 2024 braucht das Bundesfamilienministerium trotzdem schon Geld, um das Verfahren in die Wege zu leiten.

Geben Eltern das Geld für Alkohol und Zigaretten aus?

Das behauptete Markus Herbrand, finanzpolitischer Sprecher der FDP, in einem Gastbeitrag in der Wirtschaftswoche. Das Familienministerium wiederum argumentiert mit einer Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2018, wonach ein Zusammenhang zwischen Armut und Alkohol- oder Zigarettenkonsum nicht festzustellen ist. „Die meisten armutsgefährdeten Eltern sparen an allem – nur nicht an ihren Kindern“, sagte auch Sabina Schutter von SOS Kinderdorf in der taz.

Sollte man das Geld nicht lieber direkt in Bildung investieren?

Finanzminister Lindner jedenfalls möchte das Geld nicht den Familien selbst zukommen lassen, sondern in Bildung investieren: „Die Kinder­armut ist ja vor allem durch Zuwanderung gestiegen. Nehmen wir also das Beispiel einer Familie, in der die Eltern keine Arbeit haben und kein Deutsch sprechen. Überweisen wir ihnen dann einfach mehr Geld? Oder investieren wir in die Sprachförderung von Eltern und Kindern?“ Ähnlich argumentiert die CDU: „Wir wollen, dass Kinder das bekommen, was sie brauchen: eine bedarfsorientierte Kinderinfrastruktur mit einer qualitativ hochwertigen Förderung in Kita und Grundschule, einer guten gesundheitlichen Versorgung und auch vielfältige Freizeitmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche“, so die familienpolitische Sprecherin der CDU, Silvia Breher. Das Bündnis Kindergrundsicherung nennt in einem Papier diese Argumentation ein „Scheingefecht zwischen Geld und Bildung“.

Das Bundesfamilienministerium vertritt die Ansicht, dass mit der ­Kindergrundsicherung Arbeits­anreize verbessert würden. Die bereits erwähnte Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass die finanzielle Sicherheit sowohl die Bildungs­beteiligung als auch die Erwerbs­motivation der Eltern erhöht. Für die Grünen hat das Ifo-­Institut in München bereits 2021 verschiedene Varianten der Kindergrundsicherung durchgerechnet: Im Ergebnis konnte sie den Anteil der von Armut bedrohten Menschen um 1,4 bis 3,5 Prozentpunkte senken.

Für wen wird sich die Kindergrundsicherung lohnen?

Momentan profitieren vor allem Gut- und Spitzenverdiener_innen vom Kinderfreibetrag von bis zu 354 Euro im Monat, der würde mit der Kindergrundsicherung nach derzeitigem Stand wegfallen. Grundsätzlich würde sich die Kindergrundsicherung direkt vor allem für arme Familien lohnen. Momentan leben laut Paritätischem Wohlfahrtsverband 21,3 Prozent aller ­Kinder in Armut. Besonders betroffen sind Familien mit Alleinerziehenden. Wenn eine Kindergrundsicherung tatsächlich Familien aus der Armut holt, würde indirekt die ganze Gesellschaft davon profitieren, weil sie die gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen ermöglichen kann.

Ist das jetzt der ganz große Wurf?

Die Pläne von Familienministerin Lisa Paus gelten innerhalb der Koalition zwar als zu teuer, aber vielen Verbänden und auch der Linkspartei gehen sie nicht weit genug. So verabschiedete die Linke jüngst ein Konzept für die Kindergrundsicherung, das 26 Milliarden Euro kosten würde.

Das Bündnis Kindergrundsicherung schlägt vor, alle Kinder mit einer Kindergrundsicherung von 354 bis 746 Euro im Monat abzusichern, gestaffelt nach Einkommen der Eltern. Bei Kindern mit Behinderung, die von den Eltern versorgt werden, soll die Kindergrundsicherung über das 25. Lebensjahr hinaus gezahlt werden. Das wären 32 Mil­liarden Euro Mehrkosten. So sagt Miriam Hoheisel vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter, der Teil des Bündnisses Kindersicherung ist: „12 Milliarden sind bereits an der unteren Kante.“ Man sollte sich nicht am kleingerechneten Existenzminimum von Kindern orientieren, sondern realitätsgerecht abbilden, was ein Kind tatsächlich brauche. „Die Kindergrundsicherung ist eine Investition in die Zukunft von Kindern und somit auch in die Zukunft unserer Gesellschaft“, sagt sie.

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