Amüsantes Drama „Lucky“: Achselzucken fern jeder Resignation

In John Caroll Lynchs Regiedebüt „Lucky“ ist Schauspieler Harry Dean Stanton ein letztes Mal zu sehen. Der Film verbeugt sich vor dem Darsteller.

Schauspieler Harry Dean Stanton läuft durch die Prärie

Es ist sein letzter Film: Harry Dean Stanton als „Lucky“ Foto: dpa

Es ist ein Bild, in dem das amerikanische Versprechen auf schöne, unschuldige Weise überlebt hat: Wenn der alte Mann mit Cowboyhut und Cowboystiefeln das Haus verlässt, werden auch wir vom gleißenden Sonnenlicht geblendet. Irgendwo dahinten ist die Landschaft, in der sich Kinohelden erfinden können. Man denkt an John Wayne und seinen Abgang in dem Western „The Searchers“. An den Moment, in dem es den alten Haudegen wieder in die Ferne zieht, zum einsamen Ritt in die Prärie.

Auch Harry Dean Stanton als Lucky umweht die Einsamkeit des Westerners. Seine Gestalt mag etwas Gebrechliches haben, doch seine Schritte haben noch eine schöne Lässigkeit. Über staubige Pfade, entlang vereinzelter Kakteen macht er sich von seinem Häuschen auf ins nächste Provinzkaff, wo in seinem gewohnten Diner wie jeden Morgen der Kaffee mit viel Milch und Zucker wartet. Schon ist man mittendrin in einem Leben, von dem man gar nicht viel erfahren muss.

„Lucky“, das Regiedebüt des Schauspielers John Caroll Lynch, ist zunächst einmal Rhythmus. Ein Wechsel zwischen hell und dunkel, zwischen der Hitze der mexikanisch-amerikanischen Grenzregion und dem kühlen Halbschatten der Innenräume mit den zugezogenen Jalousien. Es ist der Groove des Lebens und Alltags eines fast neunzigjährigen Mannes.

Bewusst ritualisiert Lucky seinen Tagesablauf, macht jede Handlung, jeden Schritt zum Ereignis. Seinen Gang ins Städtchen inszeniert er als kleine Performance. Und die Morgenroutine als Präludium: der Zug an der ersten Zigarette, Yogaübungen in der Ripp-Unterwäsche, dazu der mexikanische Schlager im Radio. Ein Glas Milch und der nächste Zug. Sorgfältig werden die wenigen langen Haare nach hinten gekämmt, wird der Hut aufgesetzt und der Gürtel im letzten Loch befestigt, damit die Hose überhaupt hält.

Bei jeder Bewegung, jedem Schritt ist sowohl Melancholie als auch Lakonie am Werk. Dieses Paradoxon des Schauspielers Harry Dean Stanton setzt John Caroll Lynch mit zärtlicher Behutsamkeit in Szene. Man könnte auch sagen: Ein Film verbeugt sich vor seinem Darsteller und seinen letzten Auf- und Abtritten.

Existenzielle Selbstgenügsamkeit

Schon immer war dieser Schauspieler von der Melancholie eines Countrysongs umgeben. Die hagere Gestalt und markant-introvertierten Züge verströmen existenzielle Selbstgenügsamkeit. Bereits in frühen Rollen als Westernschurke schien Harry Dean Stanton das Leben bestens zu kennen.

Auch später war er nie ein Mann der große Worte und Gesten: Während in „Alien“ (1979) alle panisch um die Wette schreien, blickt er gefasst dem Grauen ins Auge, bevor er von ihm verschlungen wird. In Wim Wenders’ „Paris, Texas“ (1984) spielt er in einer seiner wenigen größeren Rollen einen Liebenden, den die Übermacht der Gefühle verstummen ließ und der nun mit seiner roten Basecap verloren durch die texanische Wüste wandert.

In David Lynchs „Wild at Heart“ ist er der bescheidene Anzugträger im Konflikt zwischen seiner hexenhaften Geliebten und dem Paar Sailor und Lula. Wie ferngesteuert fährt er einer Romanze hinterher, die er respektiert und die sie zerstören will.

Die Größe des im vergangenen September verstorbenen Schauspielers Harry Dean Stanton besteht darin, dass er nie groß sein wollte. Seine Figuren bleiben lieber am Rand des Geschehens, verfolgen es nachdenklich oder achselzuckend. Statt einzugreifen, machen sie sich still ihren Reim darauf. Und das, was im Kopf so vieler Figuren von Harry Dean Stanton vorgeht, darf er nun als Lucky aussprechen.

Lakonische Aphorismen jeden Tag

Zu Luckys Ritualen gehört die allabendliche Bloody Mary mit einem großen Stück Sellerie. Auch hier nimmt er in seiner Lieblingsbar fern der anderen Gäste Platz, am äußersten Ende der Theke. Dennoch sind alle Blicke auf ihn gerichtet, wartet man auf den Satz des Tages, auf einen jener lakonischen Aphorismen, die Lucky mit heiserer, aber bestimmter Stimme von sich gibt. Etwa: „Realismus ist die Praxis, eine Situation so zu akzeptieren, wie sie ist. Und die Bereitschaft zu haben, entsprechend mit ihr umzugehen.“

John Carroll Lynch schaut Lucky dabei zu, wie er diese Erkenntnis in die Tat umsetzen wird oder besser muss. Eines Tages kippt er nach seinem Yogatraining einfach um. Es ist nur ein Schwächeanfall, aber dennoch ein Zeichen. Der Arzt kann ihm nicht viel mehr sagen, als dass das Alter seine Spuren hinterlasse.

Wenn Lucky sich das nächste Mal im Spiegel erblickt, sein faltiges Antlitz studiert, geht ein Ruck durch seinen Körper. Ein Mensch wird sich der eigenen Fragilität und Vergänglichkeit bewusst, und ein Darsteller verschmilzt mit seiner Rolle. Es ist ein ergreifender Moment, in dem gelebtes Leben die Leinwand erfüllt.

Doch allzu viel Pathos duldet Harry Dean Stanton nicht, und mit dem ihm eigenen Achselzucken wischt er ihn auch schon hinweg. Stanton, das ist das Achselzucken als Wille und als Vorstellung, als kaum merkliche Distanz sich selbst und dem Dasein gegenüber, als Lebenshaltung fern jeder Resignation.

David Lynch im karierten Jackett

Unendlich weit entfernt von Donald Trumps Amerika scheint die Welt dieses unheroischen Helden zu sein. Seine fensterlose Bar wird zum ­mikro-demokratischen Ort, an dem ältere Männer und Frauen seltsame Meinungen und skurrile Ansichten äußern, zu einem Schutzraum für Menschen, die ihre ganz eigene Americana-Erzählungen schreiben.

Eine von ihnen wird von David Lynch weiter gesponnen, der im karierten Jackett ein wenig deplatziert wirkt. Seine Geschichte handelt von einer entlaufenen Landschildkröte namens Roosevelt, von der Liebe zur Kreatur, die von Lucky als solche gewürdigt wird. In die Bar trägt Lucky auch die Erkenntnis seiner Sterblichkeit. Dass nämlich hinter allem das Nichts lauert, dass wir nichts sind und nichts sein werden.

„Lucky“. Regie: John Carroll Lynch. Mit Harry Dean Stanton, David Lynch, Ron Livingston u. a. USA 2017, 88 Min.

Trotzdem gilt es weiterzuleben. Oder sich an die Fersen eines Mannes zu heften, der dem Nichts weitere kleine Utopien entgegensetzt. Die paar Brocken Spanisch zum Beispiel, mit denen Lucky der mexikanischen Supermarktbesitzerin Respekt zollt. Und hat es nicht eine ganz und gar zeitgemäße Größe, dass er John Wayne, den amerikanischsten aller amerikanischen Helden, hispanisiert?

Juan Wayne hätte es jedenfalls amüsiert, dass einer seiner Nachfahren einen mexikanischen Kindergeburtstag besucht. Hier interpretiert Lucky mit einer Mariachiband das Liebeslied „Volver“. Er singt es sanft und sehnsüchtig, zart und inbrünstig und auch ein bisschen aufgeregt. Eben wie jemand, der wirklich weiß, wovon er singt.

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