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Anderen das Essen vergönnenBei Kuchen verstehe ich keinen Spaß

Falafel teilen, Steak verteidigen, Pudding beschriften: Futterneid ist eine Familienkrankheit – und ein treuer Begleiter bis ins Erwachsenenleben.

In meiner Familie gab es immer genug, aber nicht von dem leckeren Zeug Foto: Ulrich Gnoth/imago

V or drei Tagen sitze ich beim Thai und beobachte eine Szene am Nebentisch. Kaum ist das Essen serviert, da greift der Typ auch schon auf den Teller seiner Freundin und stibitzt eine Scheibe knusprige Entenbrust. Ich bin empört. Erstens, weil er dafür nicht mal sein Besteck verwendet hat. Aber noch frecher finde ich, dass er kostet, bevor sie probiert hat.

Es ist der gute alte Futterneid, der sich hier stellvertretend für sie bei mir meldet. Manch eine Beziehung wäre fast an ihm zerbrochen, und bei einer jugendlichen Rangelei um den letzten Kartoffelpuffer gab es einen blauen Fleck. „Du warst schon immer futterneidisch“, sagte neulich meine Mutter am Telefon. Stimmt. Ich war die, die mit Edding ihren Dany Sahne beschriftet hat. Genützt hat es mir nichts, er war trotzdem weg.

Wir konkurrierten um alles, meine drei Geschwister und ich. Um die Gunst unserer Eltern, die Fernbedienung, den Schokopudding. Futterneid: Ganz normal unter vielen Geschwistern. Mein Ex-Kollege Volkan Ağar schrieb bereits darüber, der wie ich in einer Großfamilie aufgewachsen ist. Auch in meiner Familie gab es immer genug, aber nicht von dem leckeren Zeug.

Mein Vater, der für den Großeinkauf verantwortlich war, kaufte billig. Dafür durchforstete er die Supermarktprospekte und machte an jedes Sonderangebot ein Klebchen. Aufschnitt kam nie von der Frischetheke, und wenn gegrillt wurde, wollte natürlich niemand das lahme Lidl-Würstchen, sondern ein Stück von Papas Steak.

Im Freundeskreis habe ich meinen Futterneid mittlerweile eingedämmt, was auch daran liegen könnte, dass alle wissen, wie wichtig mir der größte Leckerbissen ist. Aber sobald ich mit meinen Geschwistern oder meinem Partner esse, falle ich in das alte Muster zurück. Und so wird jedes familiäre Dinner zur kulinarischen Kampfzone.

Die gierigen Augen des anderen

Da ist man zum Beispiel schon so höflich und lässt den anderen von seiner Falafelrolle abbeißen, und schwupps ist die halbe Rolle weg. Oder: „Du, ich habe eigentlich gar keinen Hunger“ – und dann soll man plötzlich den Heiligen Martin spielen und alles teilen. Fast noch schlimmer: Die gierigen Augen des anderen, der seinen Teller längst leergegessen hat und nur darauf lauert, dass man die eigene Portion nicht schafft.

Ich merke so richtig, wie mein Puls in die Höhe schnellt, wenn ein Gericht zwischen mir und meinem Freund steht. Mein Atem wird flacher, die Muskeln spannen sich an – und jede Zelle meines Körpers schreit: Finger weg, Freundchen, sonst ramme ich dir die Gabel in die Hand. Dass es bisher noch nicht so weit gekommen ist, habe ich nur meiner Selbstbeherrschung zu verdanken. Und deshalb lecke ich das Essen auch nicht präventiv ab oder furze es an, wie es zu Teeniezeiten durchaus üblich war. Aber ich könnte.

Meiner Erfahrung nach verstärkt sich der Futterneid, sobald der Mitesser größer ist als man selbst und deshalb theoretisch auch mehr essen kann. Weil ich aber mindestens genauso viel vom Kuchen will, futtere ich selbst dann noch weiter, wenn ich satt bin. Wenn ich mich vor Bauchschmerzen krümme oder fünf Kilo zunehme, dann ist das so.

Von daher wäre für mich eigentlich auch ein eher klein geratener Mann sinnvoll, aber dann stünde ja auch nur halb so viel auf dem Tisch. Ich aber schöpfe gerne aus dem Vollen, deshalb koche ich auch für mich alleine groß auf. Nur dann will mein Heute-Ich meinem Morgen-Ich keine einzige Nudel gönnen. Wir bleiben dran.

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Anna Fastabend
Redakteurin wochentaz
Hat mal Jura studiert und danach Kreatives Schreiben am Literaturinstitut in Hildesheim. Hat ein Volontariat bei der Märkischen Oderzeitung gemacht und Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin. Schreibt über feministische Themen, Alltagsphänomene, Theater und Popkultur.
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