Anfänge: Die Furchtlosen

Ein ehemaliger Praktikant erinnert sich an die taz bremen zurück: Generäle, Unruhestifter, Ermunterer. Und an eine Schreibschule, die ihn Angstfreiheit gelehrt hat.

Ein typisches Produkt Bremischer Sparsamkeit: der selbst gemachte taz-Block aus sorgfältig gesammeltem Altpapier. Bild: Miguel Ferraz

Neulich ist mir beim Aufräumen eine Rolle altes Papier in die Hände gefallen. Eine Zeitungsseite der taz. Wir - also Dorothea, Dirk und ich - hatten sie damals gemeinsam gestaltet. Es war unser Dankesgeschenk an die Redaktion gewesen.

Wir drei hatten alle im Herbst 2003 ein Praktikum bei der taz bremen gemacht. Es hatte uns gut gefallen. Nun wurden wir, wenige Tage vor Weihnachten, in die Welt zurück entlassen. Zum Abschied rechneten wir unser Zeilengeld aus, das wir in den Monaten zuvor als unbezahlte Praktikanten der Redaktion erspart hatten. Wir schrieben unsere Beträge unten auf die Seite. Bei mir waren es 736 Euro.

Erfundene Textproben

Beworben hatte ich mich auf das Praktikum in der Kulturredaktion. Dass ich seit meinen sporadischen Beiträgen für die Schülerzeitung keine einzige Zeile mehr veröffentlicht hatte, machte mir leichte Sorgen. Also erfand ich mangels Arbeitsproben zwei Texte, die sich für mich so lasen, als könnten sie Artikel sein.

Ich hatte mein Studium beendet, keinen Plan von meiner Zukunft und keine Referenzen. Ich hatte keinerlei journalistische Erfahrung. Aber bei der taz schien das niemanden zu stören. Ich bekam das Praktikum.

In der Kulturredaktion arbeiteten damals Benno Schirrmeister, Klaus Irler und Henning Bleyl. An meinem ersten Tag wurde ich gleich als Reporter in die Fußgängerzone zu einer Kunstaktion geschickt. Als ich zurückkam, erzählte ich, was ich gesehen hatte. "Schreib's auf", sagte Benno. Also schrieb ich.

Am Abend hatte ich meinen ersten kleinen Artikel im Blatt. Ich weiß noch, wie gut es sich anfühlte, so ernst genommen zu werden. Sich zu erproben und die Konsequenzen des eigenen Handelns zu spüren. Bald darauf bekam ich auf meine erste Glosse einen Leserbrief, bei dem ich noch heute die Redaktion in Verdacht habe, dass sie ihn selbst geschrieben hat. Wenn nicht, ist es der am professionellsten geschriebene, den ich jemals bekommen habe.

Ich erinnere mich an das Gefühl der Gemeinschaft. Mittags verspeiste man zusammen seine mitgebrachten Brote im Konferenzraum oder ging gemeinsam zum Chinesen und aß irgendwas mit Glutamat.

Altgediente Kämpen

Ich erinnere mich auch noch an das Gefühl, wie es war, als ahnungsloser Kulturpraktikant in die enge Dachkammer der Politikredaktion zu steigen, wo altgediente taz-Kämpen wie Klaus Wolschner Sätze in den Computer hackten, die man am nächsten Tag mit Sicherheit im Rathaus lesen würde. Es ging damals glaube ich sehr oft um den Space Park. Ich erinnere mich, wie wichtig es für die Stadt war, dass es diese Truppe unabhängiger Unruhestifter gab, der es ab und zu gelang, das Dauergrinsen aus dem Gesicht von Bürgermeister Henning Scherf verschwinden zu lassen.

Ich hatte damals lange Haare und einen Parka, und wenn der Bus hielt, war ich froh, nicht zum Weser Kurier-Hochhaus weiterlaufen zu müssen, sondern zum kleinen Altbau in der Schlachte abbiegen zu dürfen. Es war einfach so viel cooler.

Und ich konnte viel schreiben. Meine Artikel wurden gedruckt - nach der Korrekturphase. Wenn Benno meine Texte redigierte, setzte er sich in den Konferenzraum, summte fröhlich vor sich hin und zeichnete Pfeile über das Papier.

Danach sah das Papier aus wie der Schlachtplan eines verrückt gewordenen Generals. Ich würde nicht sagen, dass ich das Schreiben damals gelernt habe, weil ich es heute mit jedem neuen Text immer noch lerne. Doch ich konnte mir die Grundlagen abschauen: Artikelaufbau, Floskelvermeidung.

Ich glaube, vor allem lernte ich, keine Angst zu haben. Ich finde, dass die taz bremen der perfekte Einstiegsort in den Journalismus ist. Man darf sofort mitarbeiten und ist gleichzeitig vollkommen frei. Später ging ich nach Berlin. Auch da hat mich in wichtigen Momenten die taz weitergebracht.

Einige hundert Euro habe ich damals der Redaktion eingespart. Aber das ist egal, ich will das Geld gar nicht. Ich durfte 2.376 Zeilen schreiben. Für jede dieser Zeilen bin ich immer noch dankbar.

, 36, schreibt heute - bezahlt - unter anderem für den Tagesspiegel, die Welt und die Berliner Morgenpost.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.