Angriff auf US-Demokratie: Mob stürmt den Weg für Biden frei

Trotz gewaltsamer Unterbrechung hat der US-Kongress Biden als gewählten Präsidenten bestätigt. Der nominiert Merrick Garland als neuen Justizminister.

Dunkel und chic gekleidete Frauen tragen Koffer mit den Abstimmungsergebnissen

Die Truhen nach dem Sturm: Stimmzettel werden aus dem Senat getragen Foto: Manuel Balce Ceneta/ap

Der Sturm des Trump-Mobs auf das Kongressgebäude in Washington hat am Mittwoch die Bestätigung von Joe Bidens Wahlsieg im Kongress womöglich beschleunigt. Ursprünglich war erwartet worden, dass Einsprüche gegen die Wahlergebnisse in sechs Bundesstaaten die Sitzung bis zu 24 Stunden verzögern könnten.

Doch trotz fast fünfstündiger Unterbrechung war sie schon gegen halb vier Uhr morgens Ortszeit zu Ende. Denn unter dem Eindruck der Ereignisse ließen die republikanischen Widerständler*innen vier der sechs geplanten Einsprüche fallen.

Damit steht der Amtseinführung des demokratischen Wahlsiegers Joe Biden und seiner Vizepräsidentin Kamala Harris am 20. Januar nun auch formal nichts mehr im Weg.

Kurze Zeit später ließ Präsident Donald Trump auf einem fremden Twitter-Account mitteilen, es werde eine geordnete Amtsübergabe geben. Sein eigenes Twitterkonto war für 12 Stunden gesperrt worden, nachdem er in zwei Beiträgen de facto die gewaltsamen Proteste noch angeheizt hatte.

Neues Impeachment-Verfahren?

Aber nichts ist normal in Washington, darüber konnte auch die demonstrative Geschäftigkeit nicht hinwegtäuschen, mit der der Kongress nach dem Abzug der Eindringlinge wieder seine Arbeit aufnahm.

Der TV-Sender CNN und auch andere Medien berichten, in republikanischen Führungskreisen und im Kabinett werde ernsthaft darüber nachgedacht, zum ersten Mal in der US-Geschichte vom 25. Verfassungszusatz Gebrauch zu machen. Der sieht ein Prozedere vor, einen amtsunfähigen Präsidenten aus dem Amt zu befördern.

Der Vizepräsident und eine Mehrheit der Kabinettsmitglieder müssten ihn für amtsunfähig erklären. Wenn er dem nicht widerspricht, wird der Vizepräsident vereidigt. Widersetzt er sich, müssten beide Kammern des Kongresses mit je zwei Dritteln der Stimmen ebenfalls für die Absetzung stimmen – ein denkbar unwahrscheinliches Szenario.

Das wird allerdings noch dadurch befeuert, dass andere Gerüchte aus dem Weißen Haus davon sprechen, Trump habe sich zum Entsetzen seiner Mitarbeiter offen über den Sturm seiner Anhänger*innen aufs Kapitol gefreut. Das weckt bei vielen Ängste, ob selbst die verbleibenden knapp zwei Wochen noch zu viel sind.

Immerhin werden Trumps Kommunikationswege schwieriger. Twitter schloss ihn für 12 Stunden aus und drohte, ihn gänzlich zu sperren. Das haben Facebook und Instagram bereits getan: „Auf unbestimmte Zeit“, mindestens aber bis zu Bidens Amtseinführung, bleibe eine zunächst auf 24 Stunden angesetzte Sperre bestehen, erklärte Facebookchef Mark Zuckerberg am Donnerstag.

Biden macht weiter im Text

Unterdessen sind mehrere führende Mitarbeiter*innen der Trump-Regierung noch in der Nacht zum Donnerstag von ihren Ämtern zurückgetreten – am promi­nen­testen sein früherer kommissarischer Stabschef Mick Mulvaney. Seinen Posten als Sondergesandter für Nordirland könne er nicht behalten, sagte er am Donnerstag bei CNBC. Andere blieben nur, „weil sie Angst haben, dass der Präsident jemand Schlimmeren einsetzen könnte“.

Der designierte Präsident Joe Biden, der noch am Mittwoch in einer dramatischen Fernsehbotschaft Trump aufgefordert hatte, die Gewalt sofort zu stoppen, wollte am Donnerstag seine Regierungsbildung weiter voranbringen. Als Justizminister wollte er den Bundesrichter Merrick Garland nominieren.

Garland, ein weithin anerkannter Richter ohne besonderes politisches Profil, war 2016 von Barack Obama für den Obersten Gerichtshof nominiert worden, nachdem der konservative Richter Antonin Scalia im Februar verstorben war.

Doch die gleichen republikanischen Se­na­to­r*in­nen, die im Oktober 2020 im Eilverfahren die konservative Amy Coney Barrett zur Nachfolgerin der verstorbenen Ruth Bader-Ginsburg machten, verweigerten damals, Garland im Senat auch nur anzuhören – nur zehn Monate vor einer Präsidentschaftswahl sei das unanständig. Diesmal werden sie ihn anhören müssen.

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Am 3. November 2020 haben die USA einen neuen Präsidenten gewählt: Der Demokrat Joe Biden, langjähriger Senator und von 2009 bis 2017 Vize unter Barack Obama, hat sich gegen Amtsinhaber Donald Trump durchgesetzt.

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