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Angriff auf den SozialstaatBloß keine Agenda 2030

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Bei Ärmeren zu kürzen, ist ökonomisch unklug, denn sie konsumieren viel. Höhere Steuern für Reiche sind dagegen ein taugliches Anti-Krisen-Mittel.

Belebte Einkaufsstraße in Gelsenkirchen: Wer bei den Ärmeren kürzt, handelt ökonomisch unklug, denn die konsumieren viel Foto: FotoPrensa/imago

Wir werden die Leistungen des Staates kürzen.“ Das hatte Gerhard Schröder 2003 verkündet. Friedrich Merz’ Attacken auf den Sozialstaat klingen derzeit sehr ähnlich. Die CDU will eine Agenda 2030. Dass auch SPD-Chef Lars Klingbeil kürzlich die Agenda 2010 lobte, ist ein ungutes Zeichen.

Wenn Schwarz-Rot sich bei der Sozialstaatsreform die Agenda zum Vorbild nimmt, wird sie scheitern. Denn das im Rückblick rosarote Agenda-Bild kaschiert zwei Irrtümer. Erstens: Der Sozialstaat ist nach 2003 nicht billiger geworden. Die Ausgaben sind nach der Einführung von Hartz IV gestiegen, nicht gesunken.

Der rosarote Rückblick auf die Agenda 2010 basiert auf Irrtümern

Zweitens ist es ein Irrglaube, dass die Effekte der Agenda – der explodierende Niedriglohnsektor und mehr Ungleichheit – den langen Aufschwung in Deutschland bewirkt hätten. Der deutsche Exportboom nach 2003 hatte nichts damit zu tun, dass Jobcenter Arbeitslose zu sinnlosen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verdonnerten – aber sehr viel mit der Turboglobalisierung nach Chinas WTO-Beitritt 2001. Deutschland importierte billige Rohstoffe aus Russland und exportierte in rauen Mengen teure Qualitätsprodukte nach China.

Dieses Geschäftsmodell wackelt nun. Es gibt in Deutschland nach drei Jahren Rezession drei Millionen Arbeitslose. Das hat auch strukturelle Gründe. Wir steuern auf eine Phase der Deglobalisierung zu, mit Zöllen und mehr Resilienz.

Keine gute Idee: Deutsche Wirtschaft schlechtreden

Was tun? Erst mal wäre es nützlich, etwas zu lassen – nämlich Ressentiments gegen Arbeitslose zu schüren, wie Merz es tut. Bürgergeldempfängern das Leben sauer zu machen, mag ökonomisch sinnvoll sein, wenn es genug Jobs gibt. Die fehlen aber: Es gibt nur 700.000 offene Stellen.

Angesichts der zunehmend prekären Lage der deutschen Exportwirtschaft gibt es ein naheliegendes Mittel, die Krise abzufedern – den Konsum hierzulande zu stärken. Auch eher neoliberale Ökonomen sehen derzeit die Gefahr einer Spirale nach unten: Weil die Arbeitslosigkeit (und die Angst davor) wächst, kaufen die Leute weniger. In dieser Lage ist es keine gute Idee, Sozial­transfers an Ärmere resolut zu senken – denn das Geld wird sofort ausgegeben.

Der Sozialstaat ist auch nicht explodiert und unbezahlbar geworden, wie Merz behauptet. In Bezug auf das BIP sind die Ausgaben für Soziales seit 2000 ziemlich gleich. Und es ist auch keine gute Idee, den Untergang der deutschen Wirtschaft an die Wand zu malen. Denn dann kaufen sich noch weniger ein neues E-Auto.

Sinnvoll hingegen ist es, wenn der Staat Reiche mehr zur Kasse bittet. Denn Reiche sparen viel und konsumieren wenig – der Staat hingegen investiert. Höhere Steuern für Reiche sind derzeit ein brauchbares Anti-Krisen-Mittel. Leider fehlt dieses Werkzeug im Instrumentenkasten der Konservativen.

Schwarz-Rot hat auch einiges richtig gemacht. Der Mindestlohn steigt Richtung 15 Euro. Das wird der Nachfrage nutzen. Der Investitionsbooster, die verbesserte Abschreibung für Unternehmen, wird positiv wirken. Doch wenn Schwarz-Rot jetzt die Agenda wiederbelebt, vertieft das die Krise.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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11 Kommentare

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  • "Weil die Arbeitslosigkeit (und die Angst davor) wächst, kaufen die Leute weniger. In dieser Lage ist es keine gute Idee, Sozial­transfers an Ärmere resolut zu senken – denn das Geld wird sofort ausgegeben."



    Leider ist es so, dass die Leute, die Angst vor Arbeitslosigkeit haben, die Last der Sozialtransfers zu tragen haben.



    Auch wenn es manchen Leuten undenkbar erscheint: Es gibt Menschen, die Rücklagen für schlechte Zeiten bilden, weil sie in denselben nicht auf Almosen angewiesen sein wollen.



    "Sinnvoll hingegen ist es, wenn der Staat Reiche mehr zur Kasse bittet. Denn Reiche sparen viel und konsumieren wenig – der Staat hingegen investiert. Höhere Steuern für Reiche sind derzeit ein brauchbares Anti-Krisen-Mittel."



    Da ist die Debatte vergiftet. Weil diejenigen, die noch Rücklagen bilden können (siehe oben) sich ausrechnen können, dass es an ihre Rücklagen geht.



    Was manches Wahlverhalten erklären könnte...

  • Natürlich macht das ökonomisch keinen Sinn. Allerdings hat man in Deutschland erfolgreich Arbeitgeber als "die Wirtschaft" und deren Interessen als ökonomische Vernunft etabliert.

  • Was wird den konsumiert? Essen, das kommt teilweise aus Deutschland, Klamotten aus China, das ganze andere Geraffel aus China, Netlfix USA, etc. für wirkliches Wirtschaftswachstum in Deutschland sorgt das nicht. Der Mittelschicht der muss man weniger Geld aus der Tasche ziehen dann kaufen die sich Autos, legen Geld an und bauen Häuser.

  • Der Vorschlag des Autors stellt aber auch nur eine Form der Umverteilung dar unter dem Aspekt der Gerechtigkeit.



    Ideologisch nachvollziehbar, wirtschaftlich weniger.

    Während ärmere ihre Gelder in den Verbrauch investieren, tätigen Vermögende Investments. Und diese tragen wiederum zur Wertschöpfung bei, bringen Steuereinnahmen und stärken den Binnenmarkt und somit den Wirtschaftsstandort. Wer sein Geld nicht unter dem Kopfkissen bunkert, führt es nämlich auf unterschiedliche Art und Weise dem Wirtschaftskreislauf wieder zu. Sei es durch Konsum oder Aktien.

    Der Autor hat die wesentlichen Faktoren schon genannt. Niedriglohnsektor, Markteinkommen hinsichtlich der Vermögensbildung/Altersversorgung. Dazu eine Umverteilung/Bezuschussung des Staates in den Sozialsystemen einzig auf Steuermittel gestützt.

    Egal ob Beitrags- oder Steuererhöhung es bleibt Kapital was zur Minderung der Wertschöpfung in Deutschland beiträgt. Deutschland hat dieses Jahr einen Staatsfond angelegt, um Kapital für die Rentenkasse zu generieren. Das norwegische Pendant erzielt eine Rendite auf dem Kapitalmärkten von 6,1%, davon werden anteilig die Sektoren bezuschusst, ohne Belastung der Marktteilnehmer.

  • Laut dem Ökonom Zumann haben Deutsche im Ausland 360 Mrd. (im Jahr 2014) auf Offshore-Konten gebunkert.



    Der Bundesregeriung liegen aber laut einer Anfrage der Linken Lötsch keinerlei Zahlen dazu vor. Keinerlei Zahlen!!! Ob es mittlerweile eine Bestandaufnahme gibt? Mit Sicherheit nicht.

    Laut Bundesfinanzministerium hat es allein im Jahr 2023 deutschlandweit 34.600 Fälle gegeben, für die die Steuerfahndung zuständig war. Die Summe der entgangenen Steuern habe sich auf rund 2,5 Milliarden Euro summiert. Doch wie hoch ist die Dunkelziffer? Wieviel Steuerfahnder fehlen?

    Spiegel

    "Influencerinnen und Influencer sollen allein den Fiskus in Nordrhein-Westfalen um rund 300 Millionen Euro betrogen haben. Das bestätigte das Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität (LBF NRW) auf Anfrage".

    • @Lindenberg:

      Wie soll sich denn die Bundesregierung diesen Überblick verschaffen? Die hat ja nicht mal innerhalb der EU die Kompetenzen, Informationen einzufordern (zumindest nicht bei Ländern, in denen auch Ausländer ihre Einkünfte versteuern müssen wie z. B. luxemburgische Quellensteuer auf Zinsen u. ä)

      Und bezüglich den Thema "Steuern und Influencer" hat ja NRW inzwischen zugeben müssen, dass es um Steuern auf Umsätze in Höhe von 300 Mio geht - und nicht um Steuern in dieser Höhe...

  • Der Angriff auf den Sozialstaat ist gleichzeitig auch ein massiver Angriff auf die Demokratie.

  • Intelligenz und Logik ist innerhalb unserer Gesellschaft längst Geschichte, deswegen wird die Bildung immer mehr gegen die Wand gefahren, weil man Menschen mit irgendeinen Bullshit, der nur der gesellschaftlichen Zersetzung dient, manipulieren kann. Einfach zu glauben, wenn es Ärmere schlechter geht, dann würde es irgendein anderen besser gehen, daran können nur geistig manipulierte minderbemittelte glauben.

  • Die spinnen doch total: wichtig wäre es zu schaun, welche Teile von Deglobalisierung ökologisch Sinn machen und die nötige Transformation mit zu denken, also Zölle für Öko Resillienz bei Globalisierung der Menschenrechte und Migrationshilfen mit Willkommenzentren, da können sie dann auch sowas wie Assad Chergen rausfiltern. Wenn die ökologische Kompetenz zentral würde, wären auch die Frage nach welche KI ist eigentlich nötig und welche Jobs soll die denn überhaupt verdrängen nötig, wenn dann mehr regenerative Ökonomien auch Arbeitsplätze mit Degrowth zusammen denken von Krieg und den Fossilen weg kommen ist schwierig genug, geht aber mit passender Priorisierung eher, also auch Ersatzdienst zur Moorvernässung und Kitahilfe, statt nur Kriegszentriert zu werden...Die Reichen haben eh zuviel, das ist nicht mehr demokratisch vermittelbar, Spitzensteuersatz unter 50% ? geht gar nicht mehr! Wenn alles putt ist, habt ihr doch auch nix mehr davon...care-share-repair brächte Sicherheit sicherer als die Bombenjungs uns einschwören wolln auf ihren Tellerrand.

    • @R.L.:

      Die Zölle für PKW aus China liegen zum Teil bis zu 65 %, bei Einfuhr nach Deutschland, da die Chinesen inzwischen technisch hochwertigere PKW so günstig produzieren können , dass unsere Automobilindustrie, da jahrelang in Bezug auf innovative Entwicklungen gepennt hat, nicht mehr Konkurrenzfähig sind. Darum geht die Kohle jetzt in die Rüstungsindustrie, damit unser Bundesinlandsprodukt [ BIP ] gehalten werden kann.

  • Weil der Sozialstaat zu teuer geworden sei, will der Friedrich Merz den Sozialstaat reformieren. Gemessen am Bundesinlandsprodukt [ BIP ] lagen die Ausgaben laut Statistischem Bundesamt 2024, mit 5,53 % vom BIP etwas niedriger als 2015, mit 5,64 % vom BIP.