Angriffe in vier Provinzen Afghanistans: Propaganda-Sieg der Taliban

Der Großangriff ist eine politische Niederlage der afghanischen und der Nato-Truppen. Die Taliban kopieren die Strategie der USA: gleichzeitig kämpfen und verhandeln.

Erst in den frühen Morgenstunden waren die Kämpfe in Kabul beendet. Bild: dapd

BERLIN taz | Der Großangriff der afghanischen Taliban am Sonntag kann man mit einem alten anarchistischen Begriff bezeichnen: „Propaganda der Tat“. Niemals vorher haben sie synchron Kabul und drei weitere Städte angegriffen. In Kabul waren die Kämpfe erst nach 18 Stunden am Montagmorgen beendet.

Mit diesem großen Knall haben sie klargemacht, dass sie trotz aller gegenteiligen Behauptungen der Nato weiter in der Lage ist, überall im Land mit großer Wirkung zuzuschlagen. Und zwar einschließlich der Hauptstadt, die eigentlich durch einen „Ring aus Stahl“ afghanischer Sicherheitskräfte – und Isaf/Nato-Rückendeckung aus der zweiten Reihe – gesichert sein sollte.

Dadurch ist der Angriff eine krasse Niederlage der Nato und der afghanischen Regierung. Die in Afghanistan aktiven Geheimdienste – auswärtige wie einheimische – haben kläglich versagt, indem sie offenbar keine Ahnung von diesem Plan hatten.

Noch in der vergangenen Woche hatten höchste Nato-Vertreter sich zuversichtlich gegeben. „Jeden Tag werden die afghanischen Sicherheitskräfte stärker und fähiger“, erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Kabul. Und der dortige Isaf-Sprecher, Brigadegeneral Carsten Jacobson, hatte die Taliban nur noch zu Einzelaktionen fähig erklärt. Taliban-Sprecher Zabihullah Mudschahed hatte sich am Sonntag in seiner Stellungnahme zu den Angriffen ausdrücklich auf Rasmussens Äußerung bezogen.

Nur wenig zivile Opfer

Dabei kamen die Angriffe nicht einmal völlig aus dem Nichts. In den Tagen zuvor hatten Selbstmordattentäter in den Provinzen Herat, Helmand und Kundus mindestens 20 Polizisten und Zivilisten getötet. Dem wiederum war eine ganze Serie gezielter Morde auf afghanische Amtsträger vorausgegangen, darunter ein Senator und zwei Distriktratsmitglieder in Urusgan, ein Richter in Dschalalabad, ein Distriktgouverneur in Kandahar, der Leiter des Friedensrates von Kunar. Der Vizegouverneur der Provinz Kapisa überlebte nur knapp einen Anschlag.

Erstaunlich ist auch die geringe Zahl der zivilen Opfer am Sonntag. Die Taliban haben offenbar, mit Blick auf ihr Ansehen in der Bevölkerung, darauf verzichtet, ein Massaker anzurichten – was durchaus möglich gewesen wäre, angesichts der zentralen Lage vieler Angriffsziele.

Insgesamt kopieren die Taliban die Strategie der USA: kämpfen und verhandeln gleichzeitig. Auch wenn sie gerade die Gespräche suspendiert haben, mit der Begründung, Washington bewege sich nicht genug. Stimmt: Im Wahljahr kann Präsident Obama schlecht eine ihrer Hauptforderungen erfüllen und hochrangige Taliban aus Guantanamo freilassen. Aber die Suspendierung ist – wie auch der Angriff am Sonntag – keine generelle Absage an Verhandlungen.

Für die überheblichen Nato-Statements vor dem Großangriff allerdings kommen nur zwei Erklärungen in Frage: entweder sind sie krasse Fehleinschätzungen oder man erzählt der Öffentlichkeit etwas anderes, als man intern weiß. Seitdem im Januar ein interner Bericht der Isaf über die Taliban in die Medien durchsickerte, der ihren Einfluss in Teilen der Bevölkerung belegt, spricht eigentlich alles für die zweite Erklärung.

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