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Angst vor Spinnen überwindenWillkommen im Netz!

Mit dem Herbst kommen die Spinnen ins Haus. Früher graute es unserer Autorin vor ihnen – heute lässt sie sie sogar im Schlafzimmer wohnen.

Die Hauswinkelspinne, auch bekannt als Kellerspinne Foto: imago

Es ist Abend, zwei Fenster im Wohnzimmer stehen zum Lüften etwas offen, leicht bauschen sich die Vorhänge im Wind. Ich knipse das Licht an und da sehe ich sie: die Spinnen. Eine große dunkle hockt in einer Ecke, eine hellbraune mit extra langen Beinen hängt an der Decke und eine kleine zarte direkt über dem Sofa. Ups – so viele, schon wieder? Was wollen diese Spinnen hier bei mir?

Im Herbst, wenn die Tage kühler und die Nächte rauer werden, kommt die Spinne häufig in unsere Häuser und Keller, Garagen und Schuppen. Auf acht Beinen huscht sie durch Fenster und Türen. Mit ihren vier Augenpaaren bleiben ihr auch kleinste Mauerritzen nicht verborgen. Geschwind schlüpft sie hindurch und sitzt danach gerne dort, wo es noch etwas feucht ist, mit etwas Glück haben sich hier auch Insekten eingenistet. Auf sie hat es die Spinne abgesehen.

Uns Menschen gegenüber lässt die Spinne niemals auch nur eine kleinste Freundlichkeit oder ein Zeichen des Wunsches nach Kontakt erkennen. Ob sie als neue Mitbewohnerin willkommen sei, danach fragt sie nicht. Mit ihrer stillen unbekümmerten Frechheit hat sie es geschafft: Die Spinne ist unser häufigstes Haustier.

Ich hole ein Trinkglas und ein Stück festes Papier, platziere einen Stuhl unterhalb der Spinne in der Ecke und steige hinauf. Mit der rechten Hand stülpe ich das Glas über sie, mit der linken schiebe ich vorsichtig die Pappe zwischen Wand und Glas. So setze ich die Spinne fest. Den Fang in Händen steige ich, ohne mich irgendwo festhalten zu können, zurück zum Boden. Geschafft! Heil auf meinen beiden Beinen wieder angekommen, schaue ich genauer hin.

wochentaz

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Da ist ihr dunkelbrauner, ungefähr einen Zentimeter großer Körper. Auf ihren dicht behaarten Beinen rast sie aufgescheucht im Glas umher. Es ist eine Winkelspinne. Wir Menschen haben ihr diesen Namen verpasst, weil sie oft in Ecken sitzt. Gerne auch im Keller, wo sie in feuchter Umgebung auch Asseln zum Verzehr findet. Das helle Licht und die Enge im Glas – da will sie nur eines: Raus hier! Ich ziehe mir Schuhe an, gehe in den nächtlichen Garten und leere das Glas über einem Strauch aus. Tschüss!“ rufe ich hinterher. Zweimal noch gehe ich so in den Garten, danach sind alle Spinnen raus. Zumindest für heute.

Nicht immer war mein Verhältnis zu Spinnen im Haus entspannt. Als Jugendliche schauderte es mich, wenn eine Spinne überm Bett saß. Dann überkam mich die Vorstellung, die Spinne könnte sich im Dunkeln an ihrem Faden herablassen und mir mit stachligen Beinen fies übers Gesicht krabbeln. Ich rief meine Mutter um Hilfe, sogar spät nachts, wenn sie schon schlief. Die stöhnte müde, stand aber auf und kam die Treppe hoch in mein Zimmer. Genervt ließ sie sich die Spinne zeigen und grummelte dann oft: „Das ist doch gar keine Spinne, das ist ein Weberknecht.“

Etwa je­de:r Zwanzigste hat Arachnophobie

Angst und Ekel vor Spinnen ist eine weit verbreitete Phobie. Nach Schätzungen der AOK sind hierzulande fünf Prozent der Bevölkerung betroffen, vor allem Frauen. Psy­cho­lo­g:in­nen vermuten, dass auch bei der Arachnophobie – so der Fachausdruck – ein Verhaltensmuster vorliegt, das im sozialen Kontakt mit anderen nachgeahmt und erlernt wird. Ein Grund für Spinnenangst sei, so wird gemutmaßt, dass wir seit dem industriellen Zeitalter fernab der Natur leben und im Gegenzug romantische Gefühle und Vorstellungen für sie hegen und pflegen. Spinnen aber eignen sich mit ihrer Gestalt und ihrem Verhalten nicht dafür, verniedlicht zu werden, wie wir es mit kleinen Tieren sonst gerne machen. Bei Naturvölkern ist Arachnophobie übrigens nicht bekannt. Obwohl es vor allem in tropischen Gegenden große Giftspinnen gibt, deren Biss einen Menschen tatsächlich verletzen kann.

Aus meinem kleinen Dorf am Waldrand mit vielen Spinnen zog ich für Studium und Beruf nach München und nach Berlin. Mal zweites, mal fünftes Stockwerk, immer Innenstadt. In diese Wüsten aus Stein, Beton und Glas verirrte sich niemals eine Spinne zu mir. Irgendwann wurde diese Umgebung aber auch für mich zu öde. Mein Mann und ich gingen nach Norddeutschland, hier leben wir am Rande einer Stadt und haben uns einen naturnahen Garten rund ums Haus angelegt. Unser edles Motiv: einen Lebensraum schaffen nicht nur für uns allein. Wir dachten dabei an Vögel, Wildbienen, Igel und andere possierliche Tierchen – und es kamen die Spinnen.

Die Zitterspinne – bitte nicht verwechseln mit dem Weberknecht Foto: Rolf Poss/imago

Wenn in unserem Garten im Morgensonnenschein Tautropfen in langen Ketten in den fein gesponnen Netzen glitzern, gehe ich in die Hocke und betrachte das faszinierende Werk. Mit etwas Glück entdecke ich die Spinne, die am Rand sitzt und regungslos wartet. Bis es vibriert – das ist für sie das Zeichen. Lautlos bewegt sie sich zu dem Insekt, das an ihrem Netz reißt, weil es sich darin verfangen hat. Spinnen spritzen mit ihren beiden Kieferklauen ein wenig Gift ins Beutetier, wickeln es mit ihrem elastischen, etwas klebrigen Faden ein und schleppen es an den Rand des Netzes um es in Ruhe zu verzehren. Spinnen sind Raubtiere.

Mehr als 46.000 Spinnenarten haben Wissenschaftler bisher auf der ganzen Welt entdeckt. Rund 1.000 davon leben in Deutschland. Nur wenige kommen auch ins Haus, am bekanntesten sind dabei die Große Winkelspinne und die Zitterspinne. Welche und wie viele Spinnen genau in unseren Wohnungen ihren Lebensraum gefunden haben, weiß man allerdings nicht, denn es gibt dazu keine systematische Forschung und keine gesicherten Daten. Für Spinnenarten, die ans Leben in der Wohnung nicht angepasst sind, wird es jetzt auch gefährlich: Wenn die Heizung läuft, kann es geschehen, dass sie vertrocknen und sterben.

So gerne ich meine Beobachtungen im Garten machte, im Haus konnte ich Spinnen lange Zeit weiterhin nicht leiden. Genervt fing ich sie ein, schaute sie kaum an und warf sie leicht angewidert in den Garten. Ich wusste ja, die Tiere zu verletzen oder zu töten ist nach dem Bundesnaturschutzgesetz verboten. Sie sind ein Teil des großen Netzwerks und fressen Insekten, Milben, Asseln und vielerlei mehr und werden auch selbst zu Futter. Für Vögel, Fledermäuse – und andere Spinnen.

Kunst und Mythos der Spinnen

Neu geordnet wurde mein Verhältnis zu Spinnen in Mettingen. Am Rande des kleinen Ortes in Westfalen, zwischen biederen Einfamilienhäusern und offenen Wiesen, liegt eine großzügige moderne Kunsthalle, die Draiflessen Collection, gestiftet von der hier ansässigen Un­ter­neh­me­r:in­nen­fa­mi­lie Brenninkmeijer auf dem ehemaligen Produktionsgelände ihrer Firma C & A. Mit meinem Mann besuchte ich dort vor einem Jahr die Ausstellung „Fäden“. Ich erwartete Werke der vor allem von Frauen betriebenen Kunst des Webens – und entdeckte Kunst und Mythos der Spinnen.

Ich sah die Eisenskulptur „Spider“ der französisch-US-amerikanischen Künstlerin Louise Bourgeois. Sie zeigte die Spinne groß, angriffslustig, stark und doch auch bewahrend, mit drei Eiern aus Marmor, die sie im Bauch trägt. Dazu erklärt die Künstlerin: „Die Spinne ist ein Loblied auf meine Mutter, die meine beste Freundin war. Wie die Spinnen war auch meine Mutter Weberin. Und sie war schlau wie eine Spinne.“

Ich kann in ihnen Wesen sehen, die Unangepasstheit, Eigensinn und hohes Können verkörpern. Aus dem eigenen Leib einen Faden zu erzeugen und daraus Netze weben – das ist Kunst!

In der Ausstellung wurde auch ein mehr als 2.000 Jahre alter griechischer Mythos erzählt, doch hier aus der Perspektive der Weberin Arachne. Sie, eine Frau aus armen Verhältnissen, hat in eigener harter Arbeit ihre Webfertigkeiten perfektioniert, aber immerfort muss sie sich anhören, ihre Kunstfertigkeit habe sie der Gnade Athenes zu verdanken, der Göttin der Weisheit, des Krieges und der Webkunst. Das will Arachne nicht länger hinnehmen und sie fordert die mächtige Athene zum Wettkampf heraus. Beide, Göttin und sterbliche Frau, weben mehrere Bilder. Arachne wagt es, mit ihren Motiven Willkür und Machtmissbrauch der Götter anzuklagen. Voller Wut zerreißt Athene diese Bildnisse, bespritzt Arachne mit einem Gift und verwandelt sie so zur Spinne. Aus Arachne und ihren Nachkommen soll ein Faden quellen, den sie auf ewig weben müssen. Bis heute heißen Spinnentiere in der Wissenschaftssprache Arachniden.

Für menschliche Zwecke lassen sie sich nicht nutzen

Diese Erzählung beeindruckt mich, und sie lässt mich anders auf Spinnen blicken. Ich kann in ihnen Wesen sehen, die Eigensinn, Unangepasstheit und hohes Können verkörpern. Aus dem eigenen Leib einen Faden zu erzeugen, der extrem dünn, leicht, elastisch und reißfest ist und daraus Netze weben – das ist Kunst! Bislang sind auch alle Versuche gescheitert, Spinnen und ihre Fäden für menschliche Zwecke zu nutzen. Spinnen geben ihr Geheimnis nicht preis. Das finde ich stark.

Wenn ich nun eine Spinne in Keller, Treppenhaus oder Zimmer entdecke, betrachte ich sie freundlich. Zitterspinnen wackeln, wenn sie im Glas gelandet sind. Das ist ihr Trick: Wenn ihre Umrisse verschwimmen, kann ein Fressfeind sie nur noch schlecht erkennen. Ich muss jedes Mal lächeln, wenn ich den Tanz des Tieres auf seinen langen grazilen Beinen sehe. Meistens entferne ich jetzt die Spinnweben erst dann, wenn sich nur noch eine Hülle darin findet, wenn die Spinne sich gehäutet hat und, größer geworden, längst anderswo sitzt. Im Schlafzimmer lasse ich Spinnen ruhig hängen, sorgen sie doch für meinen guten Schlaf. In ihren Netzen fangen sie die Stechmücken, die meine Ruhe stören könnten. So ist die Spinne auch ein eigenwilliges, immer wieder verblüffendes Nutztier.

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4 Kommentare

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  • Danke für diesen schönen und einfühlsamen Text.



    Spinnen sind wirklich ein Wunder der Natur. Habe mal gelesen, dass sie sogar spüren können, dass sich das Wetter bald ändert.

  • Es muss natürlich "Fahrgäste" heißen.

  • Schöne Schilderung - wie Sie die Spinnen fangen. Das mache ich auch so. Seitdem ich vor Jahren mal gelesen habe, dass sie die Insekten in Schach halten, dürfen sie Gäste bleiben.



    Nur einmal habe ich mich fast geschämt - als nämlich eine Spinne, die sich unbemerkt in ein Hemd einquartiert hatte, in der U-Bahn ganz frech über meinen nackten Arm marschierte und mir die gegenüber sitzenden Fahrkarte entsetzt auf den Arm schauten.



    Vermutlich dachten sie - der Kerl wäscht sich nicht! Jedenfalls dachte ich, dass sie das dachten.

    • @Il_Leopardo:

      Spinnen kümmert es nicht, ob Sie gewaschen oder ungewaschen sind. Die sind da ganz locker ☺

      Die persönliche Reinlichkeit ist nicht einmal für Kopfläuse wichtig.