Anhaltende Proteste in Sibirien: Russlands Ferner Osten hält durch

Die Massenproteste in Chabarowsk gegen die Festnahme des populären Gouverneurs Sergei Furgal reißen nicht ab. Moskau stellt sich taub.

Viele Menschen zeigen Transparente mit kyrillischer Schrift

Demonstration für den festgenommenen Gouverneur Sergei Furgal am Samstag im Chabarowsk Foto: Igor Volkov/AP/dpa

MOSKAU taz | In Chabarowsk rund 6.200 Kilometer östlich von Moskau sind auch an diesem Wochenende wieder mehr als 20.000 Demonstranten auf die Straße gegangen. Vor einer Woche waren Zehntausende spontan durch die sibirische Stadt gezogen. Zwei Tage zuvor war Sergei Furgal, der populäre Gouverneur der Region, festgenommen und nach Moskau verbracht worden.

Dort droht ihm ein Prozess wegen angeblicher Mordaufträge 2004 und 2005. Der 50-Jährige weist die Vorwürfe zurück.

Die Fernostler an der Grenze zu China fordern die Freilassung Furgals sowie einen „fairen Prozess“ in Chabarowsk. Seit Tagen halten die Proteste die 600.000-Einwohner-Stadt in Atem.

Die Region ist eine Hochburg der Nationalisten aus der LDPR um Wladimir Schirinowski. Der Ultranationalist kommt mit seinen ungeschminkten Sprüchen dort besonders gut an. Auch das Regionalparlament und die Stadtverordnetenversammlung werden von der LDPR beherrscht.

Siegreich gegen Kremlpartei

2018 hatte Furgal bei den Gouverneurswahlen fast 70 Prozent der Stimmen geholt und den Kandidaten der Kremlpartei Geeintes Russland geschlagen.

Gewöhnlich zählt die LDPR zu den willfährigen Steigbügelhaltern der Kremlpartei. Als Belohnung darf sie sich schärfere Töne erlauben, ist in der Praxis aber eher lammfromm. Schirinowski und der Kreml reagieren jetzt hilflos. Schirinowski will die guten Beziehungen zum Kreml nicht verlieren. Und Moskau weiß nicht, wie es den Konflikt handhaben soll, ohne weiteren Staub aufzuwirbeln.

Bislang stellt sich Moskau taub. Kein zentraler Sender berichtet über die Ereignisse. „Moskau weiß nicht, was es machen soll“, meint der Politologe Dmitri Oreschkin. Er vergleicht die Mentalität der Menschen im Fernen Osten mit der des Wilden Westens. „Dort gehen Leute mit dem Colt im Gürtel hin, kurzum Menschen, die nur auf sich selbst setzen.“ Sie seien unabhängiger und verdienten selbst ihr Geld, so Oreschkin.

Bürgermeister der Kremlpartei sorgt für schlechte Stimmung

Für schlechte Stimmung sorgte die Behauptung von Chabarowsks Bürgermeister Sergei Krawtschuk, dass die Demonstranten nur „für Geld“ protestierten. Kaum hatte er dies gesagt, ruderte die Administration zurück. Das sei nicht so gemeint gewesen. Krawtschuk gehört der Kremlpartei an. Er hatte dazu aufgefordert, wegen der Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus zu Hause zu bleiben. Auch der Geheimdienst wurde aktiv und vereitelte angeblich einen geplanten Anschlag in Chabarowsk.

Die Polizei vor Ort ließ sich davon nicht beirren. Sie verteilte Masken gegen das Virus an die Demonstranten und nahm trotz fehlender Marscherlaubnis niemanden fest. Die Ordnungshüter hatten schon im Vorfeld Verständnis für die Proteste gezeigt. „Lieber sollen die Regionen arm sein als unabhängig. Dem Kreml gefällt diese Selbstständigkeit nicht“, meint Politologe Oresch­kin.

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