Anklage gegen Turntrainerin: Das Ende der Automaten

Um psychische Gewalt zu verhindern, stellt Alfons Hölzl, Präsident des Turnverbands, ein Konzept vor dem Sportausschuss des Bundestags vor.

Die Chemnitzer Trainerin Gabriele Fehse bei der EM 2017.

Übte sie psychische Gewalt aus? Die Chemnitzer Trainerin Gabriele Fehse bei der EM 2017 Foto: Catalin Soare/dpa

Man muss sich nicht erst in die Machenschaften von solch berüchtigten Trainern wie Béla Károlyi vertiefen, der einst „Automatenmädchen“ im sozialistischen Rumänien und später auf einer Ranch in Texas trainierte – oder sollte man sagen: abrichtete –, um zu wissen, dass es im Leistungsturnen um Schmerzen, Verbiegen und Unterordnung geht. Der Drill gehört zum täglichen Geschäft.

Kinder liefern sich dem Willen von Übungsleitern aus, die schon sehr starke Charaktere sein müssen, damit sie das Machtgefälle und den von Eltern ins fragile Geschöpf eingepflanzten Ehrgeiz nicht zu ihren Gunsten ausnutzen. Der Rubikon ist schnell überschritten. Aus Fürsorge kann (Diät-)Zwang werden, aus Nur-das-Beste-Wollen ein Tal der Tränen. Um die Frage, was statthaft ist im Trainingsbetrieb und was nicht, ging es auf der Sitzung des Bundestags-Sportausschusses am Mittwoch. Die Politiker wollten sich anhören, was da eigentlich gerade in Chemnitz am Olympiastützpunkt (OSP) passiert.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht die Trainerin Gabriele Frehse. Sie trainiert seit Jahren die besten Turnerinnen des Landes. Wer etwas konnte und noch mehr wollte, begab sich unter die Fittiche der gestrengen Dame. Ihre Kompetenz wird nicht angezweifelt, ihr Umgangston schon, vor allem von der ehemaligen Weltmeisterin auf dem Schwebebalken, Pauline Schäfer. Sie, ihre Schwester Helene und weitere Turnerinnen hatten Frehse vor­geworfen, sie im Training schikaniert, ihnen Medikamente ohne ärztliche Verordnung verabreicht und keinen Widerspruch zugelassen zu haben. Von psychischer Gewalt ist die Rede.

Die 62 Jahre alte Trainerin setzt sich gegen die Vorwürfe zur Wehr. In Interviews hat Frehse wiederholt behauptet, es handele sich um haltlose Vorwürfe und Unwahrheiten. Die Turntrainerin, die in der Sache bereits im Jahr 2018 vom Arbeitgeber abgemahnt wurde, behält sich juristische Schritte vor. „Ich war schockiert, konnte es nicht fassen, dass so erfolgreiche Turnerinnen über mich derart urteilen und Unwahrheiten verbreiten. Ich fühlte mich benutzt“, sagte Frehse der Freien Presse: Im Leistungssport müsse man sich eben quälen und schinden, ab und zu falle ein härteres Wort. Ist alles nur Ansichtssache?

Fokus auf Kindeswohl

Der Deutsche Turner-Bund (DTB) hat im vergangenen Jahr eine Frankfurter Anwaltskanzlei mit einem Gutachten beauftragt. Nach dessen Fertigstellung wurde Frehse nicht nur vom OSP suspendiert, die Staatsanwaltschaft in Chemnitz nahm im Dezember auch Ermittlungen gegen sie und einen Arzt wegen des Verdachts der Körperverletzung auf. DTB-Präsident Alfons Hölzl entschuldigte sich bei den Sportlerinnen und nahm sich der Sache persönlich an, indem er dem Leistungsturnen einen „Kulturwandel“ verordnete.

An Mittwoch steht dieser Mann im vierten Stock des Paul-Löbe-Hauses auf einer Brücke in fast schon schwindelerregender Höhe und gibt Interviews. „Das Kindeswohl liegt uns ganz besonders am Herzen“, sagt Hölzl der taz, „wir haben uns darauf verpflichtet. Wir müssen es allerdings schaffen, dass das, was in unseren Konzepten steht, in der Halle auch konkret gelebt wird.“ Der DTB hat den Ernst der Lage erfasst.

Hölzl kündigt an, dass Trainer künftig von den Spitzensportverbänden angestellt werden sollen und nicht von den Olympiastützpunkten. „Dann muss man nicht ums Eck marschieren, und es ist leichter, Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.“ Darüber hinaus möchte der DTB, dass der im Zuge der Leistungssportreform abgeschaffte Sonderkader für verletzte Sportler wieder eingeführt wird. Und noch einen Vorschlag macht Hölzl: Mehr Bundesstützpunkte müssten her, damit vor allem junge Athleten öfter und länger zu Hause sein können.

Wie der Fall Frehse – vor allem arbeitsrechtlich – ausgeht, ist ungewiss, nur eines steht fest: Als Trainerin von DTB-Kaderathletinnen wird sie wohl keine Chance mehr haben, deutet Hölzl an. Linke-Politiker André Hahn findet das merkwürdig: „Einerseits soll die Unschuldsvermutung für Frehse gelten, andererseits steht in dem Papier, das uns der DTB vorgelegt hat, sie muss sofort entlassen werden.“

Frehse wird zwar von ihrem Heimatverein und den Eltern vieler jüngerer Turnerinnen unterstützt, aber das soll nichts am Reformkurs des Turnerbunds ändern. „Überall dort, wo Minderjährige sehr früh mit dem Sport anfangen und es Abhängigkeitsverhältnisse gibt, müssen wir besonders draufschauen, weil die Athletinnen in dem Alter nicht allein entscheiden können, was ist gut und richtig“, sagt Alfons Hölzl.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.