Anklage im Mordfall Lübcke: Heikle Erkenntnisse

Der Bundesgerichtshof hält das verworfene Geständnis des Tatverdächtigen weiter für gültig – und sieht auch einen Mitbeschuldigten schwer belastet.

Auf einem Pappschild steht "Nun töten sie wieder".

Auch die Zivilgesellschaft erhebt Anklage – auf einer Demonstration in Kassel im Juli 2019 Foto: dpa

BERLIN taz | Seit dem 15. Juni sitzt Stephan Ernst in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Der Rechtsextremist soll zwei Wochen zuvor den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen haben. Inzwischen läuft alles auf eine Anklage hinaus. Denn der Bundesgerichtshof hält das verworfene Geständnis von Ernst weiter für gültig: Es gebe „kein Anlass, an dem Wahrheitsgehalt der Einlassung zu zweifeln“, heißt es in einem aktuellen Beschluss.

Ernst hatte nach seiner Festnahme die Tat zunächst eingeräumt. Er habe Lübcke im Herbst 2015 auf einer Bürgerversammlung in Kassel-Lohfelden, nahe seinem Wohnort, erlebt, als es um die Unterbringung von Geflüchteten ging. Der CDU-Politiker hatte damals für die Aufnahme der Aslysuchenden geworben und zu deren Gegnern gesagt, sie könnten „jederzeit dieses Land verlassen“. Dies, so Ernst zu den Ermittlern, habe ihn „richtig emotional aufgeladen“. Er habe „einen Hass bekommen“ und sich „da reingesteigert“. Nachdem er bereits früh das Haus von Lübcke ausgekundschaftet habe, habe er ihn am 1. Juni dieses Jahres schließlich mit einem Kopfschuss getötet.

Dieses Geständnis widerrief Ernst allerdings nach kurzer Zeit wieder. Warum, war bisher nicht bekannt. In dem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) aber heißt es nun, Ernst habe sich bei der Vernehmung unter Druck gesetzt gefühlt. Auch habe er angeblich unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln gestanden. Die BGH-Richter folgen den Einwänden nicht. Die Aussage mit dem Druck habe Ernst selbst später relativiert. Und zu den Beruhigungsmitteln habe die Ärztin seiner JVA, mit Blick auf den Zeitpunkt der Verabreichung und der eingesetzten Dosis, „eine Beeinträchtigung der Vernehmungsfähigkeit ausgeschlossen“.

Das ursprünglich Geständnis sei somit weiterhin glaubwürdig, resümieren die BGH-Richter. Zudem verweisen sie auf eine DNA-Spur von Ernst, die an der Kleidung von Lübcke gefunden wurde und den Tatverdacht ebenso erhärte. Der benannte Beschluss beschäftigt sich eigentlich mit der Haftbeschwerde eines Mitbeschuldigten: des Kasseler Markus H., ebenfalls ein Rechtsextremist. Er soll Ernst die Tatwaffe vermittelt haben, mit der dieser Lübcke erschoss. Und auch Markus H. wird durch die Ermittlungsergebnisse inzwischen schwer belastet.

„Geschäftsbeziehung“ mit Waffen

Schon vor Jahren habe Markus H. Stephan Ernst kennengelernt, schreibt der BGH. 2013 seien sich beide wieder am Arbeitsplatz begegnet, bei einer Kasseler Bahntechnikfirma. Zwischen den Männern entwickelte sich laut Ermittlern eine „enge Freundschaft“, geprägt von der „beiderseitigen rechtsnationalen Gesinnung“, die „immer radikaler“ wurde. Auf Initiative von Markus H. sei Ernst auch dessen Schützenverein eingetreten. Beide hätten damals wiederholt über eine Bewaffnung gesprochen, weil sie „bürgerkriegsähnliche Zustände“ befürchteten – ausgelöst durch zugewanderte Migranten.

Markus H. habe Ernst schließlich eine Schrotflinte verkauft und mit ihm Schießübungen in Wäldern und auf dem Schützenvereinsgelände durchgeführt. Anfang 2015 habe H. ihn zudem an einen weiteren Beschuldigten – Elmar J. aus Nordrhein-Westfalen – vermittelt, mit dem Ernst fortan eine „Geschäftsbeziehung“ mit Waffen pflegte und dort auch seine spätere Tatwaffe, einen Trommelrevolver, Kaliber 9 mm, kaufte.

Im Oktober 2015 seien Stephan Ernst und Markus H. dann gemeinsam zu der Bürgerversammlung von Walter Lübcke gegangen. Beide seien über den CDU-Politiker „in hohen Maße verärgert“ gewesen, so die BGH-Richter. Markus H. habe den Auftritt auch gefilmt und die Passage mit dem „Auswandern“-Ausspruch online gestellt – sie kursierte darauf breit in rechten Kreisen. Ernst wiederum habe wenig später die Adresse Lübckes recherchiert und H. mitgeteilt: „Vielleicht könne man da mal was machen.“

Beide hätten danach weiter im Schützenverein Schießübungen durchgeführt, vor allem mit Waffen des Kalibers 9 mm, so die Ermittler. Auch hätten die Männer zusammen rechte Demonstrationen besucht. Beides sind heikle Erkenntnisse: Denn die Sicherheitsbehörden hatten bisher mitgeteilt, Ernst habe sich seit 2009 nicht mehr offen politisch betätigt und sei deshalb von ihrem Radar verschwunden. Und auch der Schützenverein beteuerte bisher, Ernst sei dort nur als Bogenschütze tätig gewesen – ohne Zugang zu Schusswaffen.

Zudem belastet den 43-Jährigen auch seine frühere Partnerin. Diese bezeichnete Markus H. als „Denker“ und Stephan Ernst als „Macher“

Die Ermittler werfen Markus H. nun vor, Stephan Ernst durch die Schießtrainings für dessen Mordplan „Zuspruch und Sicherheit“ vermittelt zu haben, ihn darin „bestärkt“ zu haben. Auch wenn Ernst den Plan nicht klar ausgesprochen habe, sei es zu „Andeutungen“ gekommen. Vor allem die Silvesternacht 2015 und das islamistische Lkw-Attentat in Nizza im Juli 2016 seien für Ernst weitere „Schlüsselereignisse“ gewesen. Ernst und Markus H. hätten sich zudem „klandestin“ über den Messenger Threema ausgetauscht, so der BGH weiter. H. habe somit den Mordanschlag auf Lübcke „billigend in Kauf genommen“.

Die Ermittler sehen Markus H. zudem belastet, weil bei ihm ein Buch des rechten Skandalautors Akif Pirinçci gefunden wurde. Dort wird auch Walter Lübcke erwähnt – dessen Name mit einem Textmarker markiert gewesen sei. Zudem belastet den 43-Jährigen auch seine frühere Partnerin. Diese bezeichnete H. als „Denker“ und Ernst als „Macher“. Zudem habe H. einmal gesagt, sollte er irgendwann schwer erkranken, werde er sich mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft sprengen und möglichst viele „Kanaken“ mitnehmen.

Auch wegen der neuen Ermittlungsergebnisse hat der Haftbefehl gegen Markus H. weiter Bestand. Dessen Verteidiger bestreitet hingegen, dass der Kasseler in die Mordpläne gegen Lübcke eingeweiht war: Er habe vielmehr geglaubt, Ernst sei es um etwas wie das Beschmieren einer Hauswand gegangen. Bei Stephan Ernst werten die Ermittler derzeit noch aufgefundene Datenträger aus und prüfen, ob er weitere politische Kontakte hatte. Mit Anklagen wird noch in diesem Jahr gerechnet.

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