Anlassloses Speichern von Daten: Altes Theater in neuer Verkleidung

Die Bundesregierung versucht wieder, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Warum müssen Gerichte für Datenschutz sorgen?

Eine Demonstrantin mit einem Strichcode auf der Stirn protestiert gegen die Vorratsdatenspeicherung

Die Vorratsdatenspeicherung ist wieder da und verwandelt den Menschen in eine Datenschleuder. Foto: dpa

Am Freitagnachmittag wird sie wieder da sein: die Vorratsdatenspeicherung. Auch wenn sie jetzt „Höchstspeicherfrist“ heißen soll, bedeutet sie noch immer, dass anlasslos und verdachtsunabhängig Daten über die digitale und mobile Kommunikation aller Bundesbürger gespeichert werden – Verbindungsdaten zehn Wochen lang, Standortdaten vier. Außerdem wird es – das ist neu – einen Paragrafen geben, der „Datenhehlerei“ unter Strafe stellt.

Viele Beobachter sind sich sicher, dass dieser Gesetzeswiedergänger schon jetzt ein lebender Toter ist. Weil er in kaum anderer Form bereits 2010 von den Karlsruher Bundesverfassungsrichtern gekippt wurde. Weil der Europäische Gerichtshof die dazu passende EU-Richtlinie 2014 kippte.

Damals hofften Netzaktivisten, sie seien die Maßnahme endlich los. Hatten aber offenkundig nicht mit der Hartnäckigkeit der Strafverfolgungsbehörden gerechnet, die die Maßnahme unbedingt wollen. Und so kommt sie nun wieder, obwohl eine gern zitierte Studie des Max-Planck-Instituts ergab, dass die 2010 gekippte Vorratsdatenspeicherung in Deutschland die Aufklärungsquote von Straftaten nicht verbessert hat.

Auch in Frankreich taugte die Vorratsdatenspeicherung nicht dazu, die Anschläge auf Charlie Hebdo zu vereiteln. Ebenso, wie die Terrorverdächtigenlisten der CIA, auf der auch einer der Tsarnaev-Brüder stand, nicht halfen, die Anschläge auf den Bostoner Marathon zu vereiteln. Obwohl Datenschützer von Bund und Ländern, Bürgerrechtler, der wissenschaftliche Dienst des Bundestages, die EU-Kommission und diverse Internetverbände Bedenken angemeldet haben – verfassungsrechtliche, handwerkliche, ökonomische. Und obwohl die Bundesnetzagentur vorrechnet, dass der ganze Spaß ziemlich teuer wird – schon allein die Investitionskosten für Telekomprovider, um sie umzusetzen, betrügen 260 Millionen Euro.

Spiel mit den Grundrechten

Netzaktivisten laufen sich schon jetzt für eine neue Verfassungsklage warm. Was richtig, aber unsäglich ermüdend ist – denn seit 2010 dreht sich das Gezerre um die Vorratsdatenspeicherung im Kreis. Weil sich Befürworter und Gegner seit Jahren wie in einer dieser dämlichen Gerichtsshows gegenüberstehen und immer wieder die gleichen Argumente auspacken, die sie selbst langweilen.

Was ein Problem ist. Ein politisches.

Weil das Einhalten von Grundrechten so zum Kasperletheater verkommt: Die Datenprinzessin muss gerettet werden, großes Geschrei, die Richter kloppen dem Gesetzeswiedergänger Vorratsdatenspeicherung einmal feste mit der Verfassung auf den Kopf, dass sie von der Bühne plumpsen. Nur um kurz später, neu verkleidet, wieder aufzutauchen.

Immer häufiger müssen oberste Gerichte eingreifen, um datenbezogene Grundrechte zu verteidigen: von der Vorratsdatenspeicherung über die Onlinedurchsuchung bis zum jüngst gekippten Safe-Harbor-Abkommen mit den USA. So wird zur Normalität, was eigentlich die letzte Verteidigungslinie für Grundrechte sein sollte.

Hilflose Gesetzgeber

Was nicht sein kann: Eigentlich müsste die Legislative fähig sein, Gesetze auf den Weg zu bringen, die nicht kassiert werden. So langsam grenzt es an Peinlichkeit, wenn die Judikative ihr ständig erklären muss, wie sie ihren Job zu machen hat – so, dass sie mit den Gesetzen und Abkommen, die sie beschließen, die Verfassung nicht verletzen. Was für Parlamentarier und Ministerien Handwerk sein muss. Weil in Karlsruhe und Brüssel inzwischen engagierter datenbezogene Grundrechte der Bürger gestaltet werden als in den Parlamenten.

Was seitens der Gesetzgeber mehr als hilflos wirkt. Natürlich ist die Welt kompliziert, internationaler Kommunikationsaustausch über Netze sowieso. Küchenpsychologie, dass das Sicherheitsbedürfnis steigt, wenn die Unsicherheit groß ist. Daraus aber abzuleiten, dass man nur alles über alle wissen muss, damit die Welt nicht auseinanderfliegt, ist nicht nur falsch. Es ist auch brandgefährlich. Weil diese Urverunsicherung der eigentliche Zombie ist. Einer, den kein Gericht der Welt zur Strecke bringen kann.

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