Annäherung an einen Begriff: Differenz, ein Lebenselixier?

Differenz oder die Lust an der Differenz, was ist das überhaupt? Wir haben unsere Referierenden gefragt und sie antworteten: Unterschiedlich und differenziert.

Vielfalt, Differenz, Unterschiede - was versteht man darunter? Bild: dpa

Die Lust an der Differenz – so lautet die Unterzeile des taz.lab 2016. Doch unter Differenz versteht jedeR etwas anderes. Und was verbinden eigentlich unsere taz.lab ReferentInnen mit dem Wort „Differenz“? Wir haben sie gefragt, ihre Antworten sind vielfältig und auch inspirierend:

»Mely Kiyak: Für Differenz braucht es Grips und Zeit. Differenz nervt und ist das Slow Food unter den Denkschulen. Differenz ist alternativlos. #immereineArmlängeAbstandzumThema

»Claus Leggewie: Multikulti ist, dass man auch anders leben kann. Und dass wir der Geschichte des Niedergangs eine der offenen Gesellschaft und des Zutrauens in die Zukunft entgegensetzen. 

»Katrin Gottschalk: Grundsätzliche Offenheit? und die Anerkennung, dass diese ein Luxus ist, den sich nicht alle leisten können. 

»Rebecca Maskos: Gesellschaftliche Verhältnisse zu schaffen, in denen wir ohne Angst verschieden sein können.

»Joachim Klöckner: Ich genieße die Differenzen, sie sind Lebendigkeit mit ihrer Bewegung Richtung Ausgleich und der ständigen Erneuerung durch Neugier und Mitwelt. Erkenne, verstehe und begreife sie, damit sie Teil meiner Wahlmöglichkeit werden und ich den Ausgleich entscheide.

»Kübra Gümüşay: Die Lust an der Differenz bedeutet herauszufinden, wo wir alle stehen. Oftmals näher als man glaubt, oft man weiter weg als man vermutet. 

»Harriet Wolff: ... gerne mit Freu(n)den zu fremdeln!

»Martin Unfried: Gerade die kulturelle Differenz macht den Alltag in einem EU Kontext so anregend. Leider muss heute nicht so sehr um die Idee der Verschiedenheit, als um die Vorstellung und den Willen zur Gemeinsamkeit gekämpft werden. Nationalisten definieren wieder munter "nationale" Interessen, als ob es die in modernen Gesellschaften tatsächlich gäbe. Die Frage ist, ob die Freundinnen der EU stark genug sind, um überzeugend deutlich zu machen, warum Verschiedenheit und Einheit zusammen gehören.

»Andreas Krüger: Menschen fürs Neue zu wappnen. Soziale Innovationen anregen und als große Chance begreifen. Wirksamkeit erfahrbar machen. Initiativen bündeln.

»Lisa Kerlin: Das Gegenteil von Ideologie.

»Sabine Fuchs: Die Vielfalt von Trans/Gender-Identifizierungen und Arten des Begehrens anzuerkennen und queere Grenzüberschreitungen zu genießen. Geschlechtliche und sexuelle Differenzen über Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität hinaus zu denken und ihre vielgestaltigen Verkörperungen zu feiern.

»Orkan Kösemen: Die Bedürfnisse des Gegenübers wahrnehmen und die Gründe dafür verstehen (wollen), auch wenn es nicht immer leicht ist. 

»Polly Fannlaf: Vulvarische Vielfalt durch Etablierung einer sex-positiven Kultur und den Abbau von Kasten und Kategoriendenken.Viva la Vulva!

»Ahima M. Beerlage: Grenzenlose Neugier auf Vielfalt, unterschiedliches Leben und den nie endenden Versuch, auf andere mit einem leeren Blatt zuzugehen, das mein Gegenüber selbst mit Inhalt füllen soll. Dabei geht es mit nicht um "Friede, Freude, Eierkuchen", sondern um fruchtbare Auseinandersetzungen. Reibung erzeugt Wärme. Zugleich ist es ein Abenteuer, die anerzogenen und erworbenen Vorurteile zu identifizieren und abzubauen. Differenzierung ist das Heranrücken an ein Bild, die Details zu erkennen, die Technik dahinter zu erkennen, um dann zurückzutreten mit noch größerem Respekt vor der Komposition. Es gibt Niemand, dem ein einziges Wort gerecht werden kann. 

»Pia Frankenberg: Lebenslust

»Ulrich Winterhager: The spice of life

»Ingo Arzt: Was Differenz als Lustprinzip angeht hab ich eine gewisse innere Differenz, die Lust macht. Schwarz-weiß gedacht würde ich sagen: Ja. Aber nicht immer.

»Laura Méritt: Freude und Genuss von Pussybilities als Basic Vibration der Frauenbewegungen. Der Weg in eine offene Gesellschaft führt über sex-positives Denken, Handeln und Lieben. 

»Rudolf Giesselmann: Die Differrenz ist eine Produktivkraft. Sie kann Gewalt gegeneinander oder aber fruchtbare Kooperation bedeuten. Wenn der Kontakt in der Differenz gelingt kann etwas entstehen, was alle Beteiligten bereichert. ein friedliches Nebeneinander, ein Interesse aneinander, ein neuer Gedanke, ein Stolz: Veddel, Hamburg, 70 Prozent Migranten: "Wir sind die neue Welt. Wir lieben uns nicht, wir gehen uns immer wieder auf die Nerven, aber wir leben friedlich nebeneinander. Darauf sind wir stolz, denn in den Ländern, aus denen wir kommen, tun wir das oft nicht. Irgendwann werden überall in Hamburg Menschen aus der ganzen Welt nebeneinander wohnen. Wir leben jetzt schon so. Wir sind die neue Welt.

»Valentin Groebner: Die eigenen Möglichkeiten vergrößern. Das eigene Gepäck verkleinern. Zeug loswerden, um beweglich zu sein. Und zwar im Alltag, diesseits der "wir müssen"-Predigten.

»Dinah Riese: Die Chance, voneinander zu lernen und sich dabei auch aneinander zu reiben. Genau dieses Aushandeln ist es, was ich als bereichernd für mich selbst, aber auch für die Gesellschaft empfinde.

»Enno Heidtmann: Die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen, Werten und Normen. Austausch von Erfahrungen und das Erlebnis neuer Sichtweisen.

»Urs Hofer: Stetige Motivation und Herausforderung.

»Marion Bergermann: Neugierig und offen zu bleiben, an den eigenen Ansichten zu arbeiten und sie zu hinterfragen. 

»Michael Ringel: Die Lust an der Differenz erinnert mich an irre Mathematiklehrer aus meiner Schulzeit, die subtrahierten und subtrahierten, bis sie ganz heiß und heißgelaufen waren.

»Elisabeth Tietmeyer: Neugierde, Toleranz, Respekt und Empowerment.

»Susanne Fischer: Toll, dass andere anders sind als ich. Meine Katze hat zum Beispiel vier Beine. Echt der Hammer.

»Leila El-Amaire: Herausforderung. Im positiven Sinne. Die Lust an der Differenz bedeutet sich selbst auch immer wieder aus der eigenen Komfort-Zone hinaus zu drängen, um im besten Fall mit größerem Horizont zurück zu kehren.

»Ulrich Schulte: Die taz, immer wieder.

»Edith Kresta: Widersprüche auszuhalten.

»Youssef Adlah: Die Lust an der Differenz bedeutet für mich, die Lust an der Möglichkeit Sachen aus einer anderen Perspektive, die mir nicht bekannt sein kann, weil mir Erfahrungen oder Informationen fehlen, betrachten zu können.

»Sami El-Ali: Einen Perspektivwechsel vorzunehmen und die Welt mit anderen Augen zu betrachten.

»Ambros Waibel: „So geht es. Aber anders geht es halt auch.“

»Olav Westphalen: Weitermachen wollen koennen.

»Laila Oudray: Erst durch die Differenz kommt man der Eigenart einer Sache überhaupt nahe. Man kann nie sagen, was etwas ist, wenn man nicht auch sagt, was es eben nicht ist. Beides gehört zusammen.

»Resa Memarnia: Keine Angst vor der Differenz zu haben, sondern darin den Mehrwert von Diversität gegenüber Einheitlichkeit zu erkennen. Voraussetzung dafür sind demokratische Spielregeln, die für alle gelten.

»Hermann Ott: Das Fremde ist reizvoll und manchmal gefährlich. Aber auf jeden Fall unbedingt erforderlich um die Schranke der eigenen Wahrnehmung zu erweitern. Wie sagte schon Joseph Beuys in seiner Anleitung zu guten Leben: "...laden Sie jemand Gefährlichen zum Tee ein...

»André Taubert: Die Lust an der Differenz gehört zu den wichtigsten Grundelementen eines lebenswerten Lebens.

»Kemal Calik: Differenzen sind eine wunderbare Gelegenheit, seine eigenen Werte und Überzeugungen in Frage zu stellen. Im Idealfall ist man noch glücklicher, wenn man eine Balance zwischen dem Sich-selbst-treu-bleiben und dem Kompromiss hinsichtlich der Differenz geschafft hat. Schaft aber nicht jeder Mensch.

»Stefanie Lohaus:  Die Lust an der Differenz bedeutet für mich der Erkenntnisgewinn durch unterschiedliche Perspektiven, Meinungen und Haltungen. 

»Martin Kloke: Spannende Debatten, die uns weiterbringen - frei nach dem Motto: "The proof of the pudding is in the eating.

»Dinah Riese: Differenz bedeutet für sie die Chance, voneinander zu lernen und sich dabei auch aneinander zu reiben. Michael Schmidt-Salomon: Die Lust an der Differenz ist der Motor des gesellschaftlichen Fortschritts. Nur weil wir unterschiedlich sind, können wir voneinander lernen. Allerdings liegen diese Unterschiede auf der Ebene der Individuen ? nicht auf der Ebene vermeintlich stabiler "Gruppenidentitäten". Ich bin überzeugt, dass Frieden auf Dauer nur möglich sein wird, wenn wir uns nicht mehr vorrangig als Juden, Christen, Muslime, Atheisten bzw. als Deutsche, Türken, Kurden oder Syrer wahrnehmen, sondern als gleichberechtigte Mitglieder einer aufrechtgehenden Spezies nackter Affen, die mit sich und ihrem kleinen, blauen Planeten sehr viel behutsamer umgehen sollte, als sie es in der Vergangenheit getan hat.

»Philipp Gessler: Differenz ist nicht immer Lust. Manchmal ist sie sehr anstrengend, manchmal aber auch bereichernd. Wenn ich jedoch die Wahl habe zwischen mehr Differenz oder mehr Gleichheit, wähle ich das Mehr an Differenz. Differenz kann schön sein, man sollte sie nur nicht glorifizieren.

»Heinrich Popow: Jeder von uns macht den Unterschied. Und das macht meistens Spaß. Differenz klingt immer so negativ. Aber eigentlich ist es doch spannend, wenn alle anders sind als die anderen. Ich mag keine Gleichmacherei. Aber ich will, dass alle diegleichen Chancen haben oder bekommen. Ich selber hatte nie ein Problem, "anders" zu sein. Das Problem hatten höchstens die anderen. Langweilig wird es, wenn alles stromlinienförmig ist. Dann gibt es keine Auseinandersetzung, keinen Wettkampf. Deshalb gibt mir der Sport so viel Kraft. Da werde ich gefordert, nicht nur von meinen Gegnern, sondern am meisten von mir selbst. Jeden Tag trete ich gegen mich selbst an. Und jeden Tag will ich gewinnen.

»Luise Tremel: Sich es in der Sicherheit, die Gleichheit suggeriert, nicht zu schön einzurichten. Wach, offen und eben lustvoll durch die Welt zu gehen. Bereit zu sein, sich überraschen, aufregen und bereichern zu lassen, von Gedanken, die man nicht selbst gehabt haben könnte, von Traditionen, die einem nicht bis ins Mark geläufig sind. Sich zu entwickeln, in die Unsicherheit hinein.

»Nirit Sommerfeld: ... genau, was es besagt: Lust zu haben und zu verbreiten über die Differenzen, die unser Leben so bunt und spannend machen. Und auch mal Differenzen friedlich auszuhalten, wenn sie denn nun gar nicht zu überbrücken sind.

»Hans Hütt: Sie ist mir Lebenselixier.

»Armin Nassehi:  Immer das Selbe!

»Irina Serdyuk: ...die Lust auf Leben, mit all seiner Vielfalt, Neugier, Interesse, Offenheit.

»Ronny Müller: Wer nicht auf einer Linie liegt oder "verschieden" voneinander ist, hat einen Grund sich auszutauschen. Im Gespräch liegt dann die Chance für neue Ideen, Denkansätze, Inspiration. Differenz kann also Spannendes hervorbringen, das gilt für nahezu alle Lebensbereiche. Es kommt nur auf das "Wie" des Austauschs an ? also ohne Hass oder Gewalt.“ 

Sammlung: Tillmann Bauer, Marion Bergermann, Adrian Schulz, Luis Willis, Sophie Fedrau