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Anschlag auf das Stromnetz in BerlinTerror der Modernegegner

Uta Schleiermacher
Kommentar von Uta Schleiermacher

Ein Bekennerschreiben preist den Stromausfall für Tausende als Kollateralschaden ein. Von wegen. Getroffen wurde die offene Gesellschaft.

Der beschädigte Strommast am Königsheideweg Foto: picture alliance/dpa | Jens Kalaene

D as Bekennerschreiben liest sich, als ob es Geg­ne­r*in­nen der Moderne verfasst haben, aus einer Perspektive des 19. Jahrhunderts. „Tausende Städte erwachen zum Leben, Millionen Menschen werden von dem schrillen Piepen ihres Weckers aus dem Schlaf gerissen, welcher den Beginn eines weiteren Tages der Monotonie und Apathie einläutet“, heißt es in dem auf der Plattform indymedia veröffentlichten Beitrag. „Einige Anarchist:innen“ bekennen sich darin zu dem Brandanschlag auf zwei Strommasten, der den mehrtägigen Stromausfall in Berlins Südosten ausgelöst hatte. Rund 50.000 Menschen waren damit zeitweise ohne Strom, der Notruf fiel flächendeckend aus. Die Polizei stuft das Schreiben als authentisch ein.

Weiter ist in dem Text von Menschen die Rede, die zur Arbeit hetzen, die es in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr schaffen, Kontakt zueinander aufzubauen, weil alle auf ihre Bildschirme starren. Vom Blaulichtläm, der wiederum „die wenigen Vögel, die noch über der Stadt kreisen“ letzlich „erschrickt“ ist die Rede. Hier tropft aus jeder Zeile eine pathetisch vor sich hergetragene Überforderung mit einem Stadtleben, bei dem Menschen mit verschiedensten Lebensrealitäten aufeinanderprallen. Hier entlarvt sich die zutiefst spießige, nostalgisch-verklärende Sehnsucht nach einem Leben jenseits von irgendwelchen Komplexitäten und unberührt von real existierenden sozialen Unterschieden. Es klingt so, als sei den Ver­fas­se­r*in­nen letztlich schon die Etablierung von Eisenbahnen und das Einsetzen von Telegrafenmasten zu viel gewesen.

Und tatsächlich offenbart sich nicht nur in diesem Schreiben, sondern auch in der Tat ein großes Scheitern an der Komplexität vom Zusammenleben in der Stadt. Denn dass sie ihre Mitmenschen mit dem Anschlag in Gefahr gebracht haben, das ist den Ver­fas­se­r*in­nen des Schreibens komplett egal. „Wir bitten die Anwohner:innen, die davon in ihren privaten Haushalten betroffen waren, um Nachsicht“, heißt es in dem Bekenntnis zum Anschlag. „Trotzdem sehen wir diesen Kollateraltschaden als vertretbar an, im Gegensatz zur faktischen Zerstörung der Natur und der oft tödlichen Unterjochung von Menschen.“ Für beides machen sie die im Technologiepark Adlershof ansässigen Firmen verantwortlich.

Auch die RAF huldigte der Idee, dass der Zweck die Mittel heiligt. Aus Sicht der Be­ken­ne­r*in­nen verkörpert Adlershof den „militärisch-industriellen Komplex“ und ist damit ein legitimes Anschlagsziel auf dem Weg zu einem besseren Leben für alle. Zerstört haben sie Kabel, getroffen aber haben sie die offene Gesellschaft.

Vertrauen ausgenutzt

Denn die Strommasten, die angezündet zu haben die „Anarchist:innen“ sich rühmen, stehen in der Regel unbewacht. Allein das zeigt, wie sehr der Alltag und die Strukturen, die ihn ermöglichen, auch auf gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Dass die Ter­ro­ris­t*in­nen dieses Vertrauen ausgenutzt haben, macht ihre Tat noch abgerückter von den Bedürfnissen der Menschen, für die sie irgendwie zu kämpfen vorgeben. Denn nicht einen militärisch-industriellen Komplex haben sie getroffen, sondern die Grundlagen des Zusammenlebens empfindlich gestört. Und damit genau das, was sie angeblichen Kriegstreibern vorwerfen.

Auf der Suche nach dem guten Leben nehmen die Verantwortlichen des Anschlags sich heraus, den Alltag von Tausenden abzuwerten und Menschen in ihrer Sicherheit zu gefährden. Das ist verantwortungslos. Es ist eine brachiale Missachtung linker Ideen. Hier hat sich in den vergangenen Jahren etwa die Idee von „Care“ etabliert. Das meint, gegenseitig füreinander einzustehen und füreinander zu sorgen.

Es ist das Gegenteil davon, die eigene abstruse Weltsicht auf Kosten von anderen durchzusetzen. Es erfordert Kompromisse, einen offenen Blick füreinander und für die gegenseitigen Bedürfnisse und die Erkenntnis, dass viele Dinge vielschichtig sind und Realitäten nebeneinander stehen können. Terroristen dagegen wollen nur reinrocken. Auch das diskreditiert sie als Kom­pli­z*in­nen im Kampf für das gute Leben.

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Uta Schleiermacher
Redakteurin für Bildung und Feminismus in der taz-Berlin-Redaktion
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