Anstößiges Denken: „Revoluzzer bin ich nie gewesen“

Thomas Hoffer gehört zu jenen Christen, die bei den Grünen noch über ethische Fragen nachdenken. Und er hat etwas gegen Aluminium.

Hier wird Aluminium produziert: Fabrik in Ägypten Foto: Mohammed Hossam (epa)

taz: Herr Hoffer, was haben Sie gegen Aluminium? Es ist ein natürliches Element, das müsste doch eigentlich unter dem göttlichen Schutz der Schöpfung stehen – vielleicht auch unter Naturschutz, wie man sich das als grüner Christ wünscht.

Thomas Hoffer: Natürlich sollen wir die Schöpfung pflegen und bewahren; aber nicht alles, was in der Natur vorkommt, ist gut für die Menschen. Es gibt ja auch giftige Pilze und radioaktiv strahlendes Uran.

Und was sind die Probleme beim Aluminium?

Es sind vor allem gesundheitliche und ökologische. Die MedizinerInnen sind sich einig, dass Aluminium in größeren Mengen schädliche Auswirkungen auf Blut, Knochen und Gehirn hat. Darum sollten Nahrungsmittel nicht direkt mit Aluminium in Berührung kommen. Aber viele Menschen benutzen immer noch Aluminiumfolie, um damit Lebensmittel zu verpacken. Vor allem, wenn diese Lebensmittel salzig, säurehaltig oder fettig sind, entstehen giftige Aluminium-Salze, die dann ahnungslos mitgegessen werden. Folien, Töpfe, Backbleche und Kaffeekapseln aus Aluminium sollten unbedingt vermieden werden. Aluminium wird vom Körper nicht gebraucht. Kleinere Mengen kann der Körper zwar wieder ausscheiden, aber der Rest wird gespeichert und wirkt dann lange Zeit auf den Körper ein.

Weil es leicht recycelbar ist, reden PR-Abteilungen der Aluminium-Industrie gern von einem „grünen“ Metall.

„Grün“ ist da gar nichts. Beim Abbau von Bauxit, dem Aluminium-Erz, werden hochgiftige Stoffe frei. Der Abbau geschieht meist im Tagebau, und zwar in China, Brasilien, Guinea und anderen Ländern. Dort gibt es leider keine strengen Umweltvorschriften – oder sie werden einfach nicht eingehalten. Der Abraum wird oft nur in die Landschaft gekippt. Das bedeutet: Der Wind weht die giftigen Stoffe über das Land und so kommen sie zum Beispiel über die Getreidefelder in die Nahrung. Oder sie versickern mit dem Regen ins Grundwasser, das dann als Trinkwasser benutzt wird. Das Recyceln von Aluminium ist übrigens recht schwierig. Denn dem Alu werden, je nach Verwendungszweck, andere Metalle beigemischt, sodass recht verschiedene Legierungen entstehen. Diese müssen für eine Wiederverwertung erst mal wieder getrennt werden. Trotzdem sollte ein verstärktes Recycling von Aluminium gefordert und gefördert werden.

Und was ist mit der Produktion von Aluminium? Ist die nicht auch problematisch?

Das Schmelzen des Aluminium-Erzes ist höchst energieintensiv. Denn die zum Schmelzen erforderliche Temperatur kann man durch Verbrennen von Kohle nicht erreichen. Man leitet darum einen extrem starken Strom hindurch. Es gab früher in der Nähe von Nordenham eine Aluminium-Hütte. Dass ganz in der Nähe, bei Esenshamm, ein Atomkraftwerk gebaut wurde, ist sicherlich kein Zufall. Ich finde es übrigens unverantwortlich, dass ausgerechnet die Großverbraucher von Strom weniger Ökosteuer dafür bezahlen müssen als andere. Verantwortungsvolle Politik müsste den Problemstoff Aluminium teurer (und damit unattraktiver) machen, indem die volle Ökosteuer auch für Großverbraucher eingeführt wird.

Hat die Arbeitsgemeinschaft „Umwelt“ der Bremer Grünen sich schon mit den Aluminium-Problemen befasst?

Soweit ich weiß, nein. Die Arbeit an diesem Thema wollten wir mit unserem Antrag ja gerade anstoßen.

Mit was für Themen befassen sich die ChristInnen bei den Grünen sonst?

Wir beschäftigen uns nicht, wie manche vielleicht denken, mit religiösen, theologischen oder kirchlichen Fragen. Stattdessen interessiert uns der ethische Aspekt von aktuellen politischen Themen. So versuchen wir überkonfessionell, das christliche Gedankengut, das bei der Parteigründung ja noch eine große Rolle gespielt hat, wieder in die Diskussion einzubringen. Dazu kommen Themen, wo staatliches und kirchliches Handeln sich eng aufeinander beziehen.

Zum Beispiel?

Wir haben uns mit der Neugestaltung des Religionsunterrichts befasst, mit dem Einzug der Kirchensteuer durch den Staat, mit der Regelung der Sterbehilfe und mit einem ganz schwierigen Thema, der Organverpflanzung.

Was ist daran schwierig?

Bei der Organverpflanzung wird meist moralisch argumentiert: Wenn man gestorben ist, sollte man doch mit einer Organspende einem schwerkranken Menschen helfen! Das ist natürlich richtig, aber manche Dinge werden in der öffentlichen Diskussion darüber meistens ausgeklammert. Ein großer Nutznießer jeder Organverpflanzung ist zum Beispiel die Pharmaindustrie beziehungsweise deren Aktionäre. Die Medikamente für eine Nierenverpflanzung werden auf 20.000 Euro geschätzt, die für eine Leberverpflanzung sogar auf 160.000 Euro. Im Jahr 2011 kamen so etwa 250 Millionen Euro zusammen. Es gibt also ein massives finanzielles Interesse daran, die Anzahl der Organverpflanzungen zu erhöhen. Das sollte alle Menschen nachdenklich machen, wenn sie eine hübsch aufgemachte Werbung für das Organspenden sehen. Ein weiteres großes Problem ist die Frage, ab wann ein Mensch als tot eingestuft werden darf. Das Sterben ist nämlich ein längerer Prozess, seelisch und auch körperlich. Auch über den internationalen Organhandel sowie über Organraub wird fast nie informiert.

Sind die grünen ChristInnen gegen Organverpflanzungen?

Nein, aber wir weisen auf diese Probleme hin; jeder muss sich selber entscheiden. Dazu muss man aber alle Pro- und Contra-Argumente kennen.

Wie kam das Aluminium-Problem in die Arbeitsgemeinschaft der grünen ChristInnen?

Eher durch Zufall. Als ich die Tragweite dieses Problems begriffen habe, habe ich mich gewundert, dass kaum jemand davon weiß. Da ich ein Sprecher dieser Landes-Arbeitsgemeinschaft bin, habe ich das Thema dort eingebracht.

Wie kommt der Mensch Thomas Hoffer dazu, ein Thema, das ihn beschäftigt, gleich anderen mitzuteilen und zum Thema der Grünen machen zu wollen? Das ist ja eine Lehrermentalität.

Das glaube ich nicht; aber in der Tat bin ich Lehrer gewesen, inzwischen bin ich im Ruhestand. Ich habe das Thema bei den Grünen eingebracht, weil das „meine“ Partei ist. Und Bündnis 90/Die Grünen ist ja nun auch, neben vielem anderen, die Partei für Umwelt- und Gesundheitsschutz. Ich habe vor Jahren mal einen Spruch aufgeschrieben, der zu dem Aluminium-Antrag passt. Er lautet:

Wirkliches Denken

nimmt Anstoß,

gibt einen Anstoß

und wird darum auch

von bestimmten Leuten

als anstößig empfunden.

Wann haben Sie das geschrieben?

Das ist lange her, 1978.

Sind Aphorismen eine literarische Form, solche Anstöße zu geben?

Ja, aber natürlich ist nicht jeder Mensch für jeden Aphorismus offen. Ich habe Anfang der 1970er-Jahre die Aphorismen des polnischen Satirikers Stanislaw Jerzy Lec gelesen; das hat mich richtig umgehauen. Wie da jemand mit wenigen harmlos erscheinenden Wörtern gegen ein diktatorisches Regime angeschrieben hat! In Polen kursierten seine „Unfrisierten Gedanken“ nur handschriftlich, auf Zetteln. Seine Aphorismen waren für mich ein ganz starker Anstoß.

Wie sind Sie zum Revoluzzer geworden?

Revoluzzer bin ich nie gewesen. Ich begann mein Lehrerstudium 1968 an der Pädagogischen Hochschule Oldenburg und bekam dort die ersten Ausläufer der Studentenbewegung mit. Eine Zeit lang war ich in einer linksliberalen Hochschulgruppe aktiv, dann im Sozialistischen Hochschulbund SHB. 1970 bin ich in die SPD eingetreten, wurde also Juso.

Diese Erfahrung, dass es sinnvoll sein kann, gegen den Strom zu schwimmen, kann jemanden ein Leben lang prägen.

Ich habe natürlich manche utopischen Gedanken von damals inzwischen beerdigt. Aber übrig geblieben ist das Gefühl: Ich möchte nicht nur Objekt der Politik sein. Ich möchte selber aktiv sein mit den kleinen Mitteln, die ich habe.

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