Antiziganismusbeauftragte Thüringen: „Niemand nimmt uns ernst“
Hass auf Sinti und Roma ist weit verbreitet. Trotzdem streicht Thüringen die Landesbeauftragte dagegen. Bundesweit kritisieren Verbände diesen Schritt.

Schon 2021 forderte die Unabhängige Kommission Antiziganismus am Deutschen Institut für Menschenrechte in ihrem Abschlussbericht unter anderem, die Bundesländer sollten Beauftragte gegen Antiziganismus einsetzen. Deren Aufgabe sei, die Überwindung von Antiziganismus zu koordinieren.
In Thüringen übernahm das bis zum Dezember die Justizministerin und Antiziganismus-Beauftragte Doreen Denstädt (Grüne). Die neue Landesregierung in Thüringen plant hingegen, dass sich jedes Ressort „fachspezifisch“ der Bekämpfung von Antiziganismus widmet, heißt es auf taz-Anfrage aus dem Justizministerium, das mittlerweile Beate Meißner (CDU) leitet. Das Thema sei eine „Querschnittsaufgabe“, statt einer seien mehrere Stellen verantwortlich.
Guillermo Ruiz sieht das anders. Der Geschäftsführer der bundesweiten Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (Mia) warnt: „Wer glaubt, Antiziganismus ließe sich ohne klare Zuständigkeiten und politische Verantwortung bekämpfen, verkennt die Tiefe und Tragweite des Problems.“
Angst vor zunehmendem Rechtsextremismus
Laut Mia gab es vergangenes Jahr bundesweit 1.678 antiziganistische Vorfälle. Ob in der Schule, am Arbeitsplatz, im Krankenhaus oder bei den Behörden, immer wieder wurden Sinti und Roma demnach ausgegrenzt, beleidigt oder benachteiligt. In Thüringen äußerte sich unter anderem der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Gera rassistisch über Sinti und Roma – bislang ohne Folgen.
Seit Jahrhunderten leben Sinti und Roma auf dem Gebiet, das heute Deutschland heißt. Immer wieder wurden sie vertrieben, verfolgt, angefeindet. Während der deutschen NS-Diktatur gipfelte das in einem Völkermord, der auf Romanes „Porajmos“ genannt wird. Erst vor etwa 30 Jahren erkannte die Bundesrepublik Sinti und Roma als eine von vier nationalen Minderheiten an. Der Staat ist seitdem verpflichtet, ihre Kultur zu fördern und sie vor Diskriminierung zu schützen. Die Entscheidung gegen eine Beauftragte in Thüringen sende „ein fatales Signal“ an die Betroffenen, findet Ruiz.
Kelly Laubinger, bundesweit bekannte Aktivistin und Geschäftsführerin der Sinti Union Schleswig-Holstein, ärgert sich zudem über die Äußerung des Thüringer Justizministeriums, es gehe bei der Beauftragten um die „Integration“ von Sinti und Roma. „Wir sind nicht das Problem, sondern der Rassismus der Mehrheitsgesellschaft, der uns bis heute strukturell Zugänge verwehrt“, sagt Laubinger. Ziel solle daher der Abbau von Rassismus sein. „Die Verlagerung der Verantwortung auf verschiedene Ministerien, in denen sich am Ende des Tages niemand richtig verantwortlich fühlt, ist keine geeignete Maßnahme.“
Während die Landesregierung in Rheinland-Pfalz im Juni ihren ersten Antiziganismusbeauftragten berufen hat, schien der Posten nicht nur in Thüringen in Gefahr. Bei der neuen Bundesregierung von Friedrich Merz (CDU) tat sich einige Zeit nichts bei der Neubesetzung, bis das Kabinett im Juni Michael Brand (CDU) zum Beauftragten berief. Nun ist Thüringen das einzige Bundesland, dass die Stelle wieder abgeschafft hat.
Auch vom Zentralrat der Sinti und Roma kommen deshalb warnende Worte. Der langjährige Vorsitzende Romani Rose beobachtet mit großer Besorgnis den bedrohlich zunehmenden Nationalismus, Rechtsextremismus und Antiziganismus in Deutschland. In dem Kontext zeigt er sich besorgt, dass es keine Beauftragte mehr gibt. Rose hat den Thüringer Ministerpräsidenten Mario Voigt (CDU) deshalb um ein Gespräch gebeten und einen Termin im September vereinbart.
Als eines von wenigen Bundesländern erklärte Thüringen 2017 die Zusammenarbeit der Landesregierung mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Man wolle der Ausgrenzung von Angehörigen der nationalen Minderheit entgegenwirken und Antiziganismus ächten, unterschrieb der damalige Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Es dauerte allerdings noch gut sechs Jahre, bis der Freistaat eine Beauftragte gegen Antiziganismus benannte. Am 7. März 2023 trat die damalige Justizministerin Denstädt als erste die Stelle an.
Denstädt telefonierte regelmäßig mit Romnokher, dem Thüringer Landesverband der Sinti und Roma, und setzte sich in der Regierung für die Perspektive der Minderheit ein. Wer heute mit den Vertreter:innen spricht, hört vor allem Lob über ihre Arbeit. Der einzige Minuspunkt: Ihre Amtszeit sei zu kurz gewesen.
Eine, die so lobt, ist Renata Conkova vom Vorstand des Verbands Romnokher. „Die Arbeit der damaligen Antiziganismusbeauftragten hat sich sehr gelohnt.“ Conkova berät von ihrem Büro in Eisenberg aus Sinti und Roma in Thüringen. Dafür springt sie immer wieder ins Auto, ist von Nordhausen bis Sonneberg im ganzen Freistaat unterwegs.
Reduzierte Unterstützung der Landesregierung
Nach Russlands Überfall auf die Ukraine seien von dort auch einige Roma nach Thüringen geflohen, berichtet Conkova. Sie übersetzt, organisiert Termine bei Ärzt:innen, hilft beim Ausfüllen von Formularen oder unterstützt, wenn Angehörige der Minderheit diskriminiert werden. In manchen Fällen erhoffe sie sich dabei Unterstützung von der Landesregierung. Mit Denstädt habe das funktioniert.
Schnelle Unterstützung bei akuten Problemen, Kontakt in die Politik, Rücken stärken. Durch die Beauftragte sei es für den Thüringer Landesverband der Sinti und Roma leichter gewesen, ins Gespräch zu kommen. Eine ansprechbare Person, die sie nicht von Tür zu Tür schicke, sondern direkt handle. „Wir brauchen das“, betont Conkova. Ohne Beauftragte sei das anders. „Niemand nimmt uns ernst.“
Allerdings haben sich Romnokher und das Justizministerium in diesem Jahr im Mai bereits getroffen. Im Mittelpunkt des Gesprächs mit Ministerin Meißner und ihrem Staatssekretär Christian Klein habe laut Justizministerium der Austausch zu Integrationsprojekten von Kindern und zur Frauenförderung gestanden. Beide Seiten hätten Interesse an einer kontinuierlichen Zusammenarbeit, auch bei gemeinsamen Projekten, geäußert.
Conkova bestätigt das Treffen, weist aber darauf hin, dass sie schon im Januar um einen Termin gebeten habe. Zudem gebe es ihres Wissens keine Projekte. Das bestätigt das Justizministerium: Derzeit seien keine Projekte geplant, aber das Ministerium fördere Romnokher weiterhin. 2024 waren es 130.000 Euro, dieses und nächstes Jahr sind es nur noch 106.000 Euro.
Doch trotz des Gesprächs und des Geldes: Conkova habe nicht das Gefühl, sich mit kurzfristigen Anliegen bei Einzelfällen an die Landesregierung wenden zu können – anders als früher.
Aus dem Justizministerium heißt es dazu zunächst, die Antiziganismusbeauftragte habe sich um Hilfe in Einzelfällen gekümmert. Nachgefragt: Wer übernimmt das nun? Da widerspricht das Ministerium seiner ersten Antwort: Die Beauftragte habe doch nicht bei Einzelfällen geholfen. Die Hilfe in Thüringen übernehme, damals wie heute, Romnokher allein.
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