Apnoe-Taucher über Grenzerfahrungen: „Mach es nicht!“

Tom Sietas taucht als Apnoe-Taucher ohne Sauerstoffflasche. Auch zehn Jahre nach Ende seiner Karriere sind seine Rekorde ungeschlagen.

Tom Sietas steht vor einer Hecke.

Beherrscht das Tauchen in einem Atemzug: Tom Sietas Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr Sietas, wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Sohn oder Ihre Tochter auf Sie zukäme und sagte: „Papa, ich will auch Apnoe-Taucher*in werden“?

Tom Sietas: Das ist eine gemeine Frage, aber ich habe mir auch schon gestellt und mich dann darauf ausgeruht, dass ich ja noch ein paar Jahre Zeit für die Antwort habe.

Antworten Sie doch jetzt mal.

Wenn ich ehrlich bin, würde ich sagen: Mach es nicht!

Wieso?

Dieser Sport kann auch gefährlich werden. Besonders wenn man sich nur auf die Jagd nach Rekorden konzentriert und dabei die Warnsignale seines Körpers ignoriert.

Auch Sie haben in Ihrer aktiven Karriere immer wieder neue Rekorde aufgestellt, waren mehrfacher Weltmeister, halten nach über zehn Jahren immer noch den Deutschen Rekord in verschiedenen Disziplinen. Wieso macht man das: immer wieder an seine Grenzen gehen?

Mhh, das ist wohl ein menschlicher Trieb. Wer Ehrgeiz hat, versucht halt mehr. Und ich war ehrgeizig.

2004 wurden Sie Weltmeister mit der Nationalmannschaft. Sie erreichten in der Disziplin Tieftauchen mit Flossen damals eine Tiefe von 70 Metern. Der Weltrekord liegt mittleiweile bei 130 Metern. Der tiefste Tauchgang eines Menschen mithilfe eines Schlittens bei 214 Metern. Ist das nicht alles ein bisschen krank?

Ich finde, ja. Ich habe das einmal versucht und ich bin nicht weiter getaucht, als zu einer Tiefe, wo ich hätte selber wieder hochkommen können. Das waren 122 Meter. Apnoe-Tauchen ist immer mit Risiken verbunden und wenn sich Leute dessen bewusst sind, dann sollen sie das gerne tun. Ich frage mich allerdings, was mache ich mit der Verantwortung, die ich habe, denn dieser Sport landet ja auch in den Medien. Ich weiß, dass schon jede Menge Unfälle passiert sind und ich verleite unter Umständen Leute das nachzumachen. Diesen Aspekt finde ich problematisch.

42, ist ehemaliger Apnoe-Taucher. Er hat mehrere Weltrekorde aufgestellt. Die von ihm aufgestellten Deutschen Rekorde in den Disziplinen Zeittauchen und Streckentauchen im Pool sind bisher ungeschlagen. Sietas hat seine Apnoe-Karriere 2008 beendet und unterrichtet Deutsch, Englisch und Elektrotechnik an einer Berufsschule in Hamburg. Er ist Vater eines Sohnes und einer Tochter.

Hat Ihr Verantwortungsbewusstsein auch mit Ihrer Rolle als Vater zu tun?

Das auf jeden Fall. Ich kann nicht mehr die großen Risiken eingehen, da es nicht nur um mein Leben geht, sondern auch um das meiner Kinder. Und ich habe auch eine andere Vorbildfunktion als früher, ich bin mir dessen jedenfalls mehr bewusst. Das was ich mache, macht mir mein Sohn nach. Es funktioniert nicht, wenn ich sage, der Papa macht das jetzt, aber du bitte nicht.

Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee mit dem Apnoe-Tauchen?

Im Jahr 2000 war ich auf Jamaika und bin dort auch das erste Mal mit Geräten getaucht. Dann dachte ich: Das muss doch auch ohne Gerät gehen. Ich bin nur mit dem Schnorchel los und habe das erste Mal auf 20 Meter Tiefe im Meer gesessen, ein Rochen schwamm um mich herum und ich habe mich zugehörig gefühlt zu der Unterwasserwelt.

Das klingt erst mal irgendwie romantisch…

Naja, Apnoe-Tauchen hat verschiedene Facetten: da ist einmal das Freitauchen, dieses Naturerlebnis, warum ich überhaupt damit angefangen habe. Das andere ist der Sport. Eine Angelegenheit, die mit dieser Schönheit gar nichts mehr zu tun hat. Ich bin dann ja auch im Pool gelandet letzten Endes. Das ist eigentlich schade.

Wieso haben Sie sich denn auf die Pooldisziplin konzentriert?

Ich habe zunächst mit allen Disziplinen angefangen. Dann habe ich gemerkt, dass ich schon sehr nah dran war am Weltrekord im Zeittauchen, so dass ich mich erst mal auf diese Disziplin konzentriert habe. Und auch die beiden anderen Pooldisziplinen, Streckentauchen mit und ohne Flossen, haben gut geklappt. Ich habe relativ schnell den Weltrekord gebrochen. Und dann ist da noch das Standortproblem.

Was meinen Sie damit?

Ich bin ja hier in Deutschland und fürs Tieftauchen muss ich immer irgendwo hinfliegen. Es gibt hier zwar einen See, den Kreidesee in Hemmoor bei Stade, aber der ist 56 Meter tief und da ist dann auch Schicht. Aus sportlicher Sicht war es vernünftiger die Hallendisziplinen zu verfolgen. Aber ich bin trotzdem im Urlaub noch ganz gern Freitauchen gewesen.

Im Jahr 2008 haben Sie im Zeittauchen den damaligen Weltrekord aufgestellt. Sie haben 10 Minuten und zwölf Sekunden die Luft angehalten. Was passiert mit dem Körper, wenn man über zehn Minuten die Luft anhält?

Wenn ich die Luft anhalte, geht die innere Atmung weiter. Viele denken ja, wenn man die Luft anhält, hat man noch drei Minuten bis die ersten Hirnschäden auftreten. Ich atme aber so viel Luft ein und habe auch in den Geweben zusätzlichen Sauerstoff, dass es eben noch eine Weile dauert, bis die Atemnot überhaupt erst einsetzt.

Das Apnoe-Tauchen, auch Freitauchen genannt, bedeutet, so tief oder so weit wie möglich innerhalb eines Atemzugs zu tauchen. Der Wettkampfverband der Apnoe-Taucher*innen AIDA (Association Internationale pourle Développement de l‘Apnée) wurde 1992 in der Schweiz gegründet. Dort sind die verschiedenen Disziplinen festgelegt, etwa das Zeittauchen, Streckentauchen oder Tieftauchen.

In der Regel wird zu zweit getaucht, um Unfälle zu vermeiden, dabei sichert man sich wechselseitig.

Beim Apnoe-Training lernt man zunächst bewusste Atmung und den Umgang mit dem Atemreiz. Später geht es darum, die Anzeichen beginnenden Sauerstoffmangels zu erkennen, um die eigenen Grenzen wahrzunehmen.

Umstritten ist das Tieftauchen mit unbegrenztem Gewicht oder No Limits: Der Taucher darf zum Abstieg einen Schlitten mit unbeschränktem Gewicht verwenden. Dabei ist es im Gegensatz zu anderen Disziplinen immer wieder zu Unfällen gekommen.

Wie lange?

Ich verspüre erst nach vier Minuten den Drang zu Atmen. Bei einigen fängt das sogar erst nach fünf Minuten an. Der Kohlendioxidgehalt steigt, das löst den Atemreiz aus, woraufhin das Zwerchfell sich immer wieder zusammenzieht. Wenn dieser Reflex häufiger wird, macht sich ein brennendes Gefühl breit, der Körper spannt sich an. Das versucht man zu unterdrücken, so dass man nicht zu sehr verkrampft. Ich versuche dabei an was Schönes zu denken. Manchmal klappt’s. Und kurz vor Schluss wird es dann irgendwann eng, dann muss man sich stark darauf konzentrieren, dass man die ersten Anzeichen von Sauerstoffmangel wahrnimmt.

Und woran merkt man das?

Das ist ein diffuser Prozess. Es gibt kein bestimmtes Signal, sondern mehrere. Als erstes leidet die Wahrnehmung, der Blick kann sich verengen. Wenn das passiert, ist man eigentlich schon einen Schritt zu weit gegangen. Dann kann es sein, dass du beim Auftauchen noch mehr in eine Mangelsituation kommst. Dadurch kann ein sogenannter Loss of motor control auftreten, man bekommt Bewegungsschwierigkeiten, ein Zucken etwa. Das will man vermeiden, weil man für so etwas in Wettkämpfen disqualifiziert wird.

Klingt unangenehm.

Ist es auch, aber erst wenn man bewusstlos wird, fängt es an gefährlich zu werden, dann beginnt die Sauerstoffnot, die Schäden im Gehirn verursachen kann. Deswegen versuche ich, es nicht soweit kommen zu lassen, sondern achte darauf, ob ich noch scharf denken kann. Gerade als Anfänger habe ich die Grenze auch mal überschritten. Gottseidank immer nur wenig, da ich immer schon vorsichtig war.

Was war passiert?

Ich erinnere mich an zwei, drei Situationen, wo ich an die Wasseroberfläche gekommen bin, ein leichtes Zucken verspürt habe und einmal ist mir auch schwarz vor Augen geworden. Das ist irgendwie beängstigend, das will man nicht erleben und versucht es zu vermeiden.

Sie unterrichten als Lehrer an einer Berufsschule. Ist ihr Sport da ein Thema?

Als Lehrer muss ich immer wieder neu überlegen, ob ich davon erzähle oder nicht. In der Schule fühle ich mich damit gar nicht so wohl, weil ich dort eine ganz andere Rolle einnehme. Da bin ich kein Sportler. Ich will von den Schülern nicht als eine Art Youtubestar wahrgenommen werden.

Die finden das aber sicher cool, was Sie machen.

Ja, schon. Aber den Starbegriff den mag ich sowieso überhaupt nicht. Ich finde das so überbewertend. Ich habe vielleicht gute Leistungen im Sport gebracht, aber deswegen bin ich ja nicht mehr wert.

Der Lehrerberuf ist ja im Vergleich zum Weltklasse-Apnoe-Taucher eher etwas Bodenständiges…

Ja, das stimmt wohl. Aber ich hatte das schon als Kind irgendwie diesen Impuls anderen etwas erklären zu wollen. Ich habe das trotz mehrerer Umwege immer im Hinterkopf gehabt.

Umwege?

Ich habe erst eine Ausbildung als Industriemechaniker gemacht, komplett orientierungslos…ich war ein absoluter Hallodri, habe die Schule abgebrochen und bin erst mal gereist. Aber irgendwann kam mir dieses Lehrerding wieder in den Kopf und dann habe ich die Hochschulreife nachgeholt und studiert.

Sie haben vor rund zehn Jahren ihre aktive Sportkarriere beendet. Verfolgen Sie noch, was in der Szene geschieht?

Weil ich den Wunsch verspürte ins Meer zu kommen, hab ich vor kurzem Facebook aktiviert, und dann habe ich gesehen, was da los ist. Mir war nicht bewusst, wie viele Leute mittlerweile Apnoetauchen betreiben. Gefühlt jeder zweite Taucher hat eine professionelle Website. Und die Freitaucher haben heute immer Kameras dabei und dann werden gleich die Fotos und Videos gepostet. Das haben wir früher gar nicht gemacht. Ich habe kaum Fotos, es gab einmal jemanden, der bei einem Wettbewerb gefilmt hat, und so habe ich jetzt zwei Minuten meiner aktiven Karriere auf Video. Das war’s.

Mittlerweile sind fast alle Weltrekorde, die Sie aufgestellt haben, überboten. Juckt es Sie nicht?

Ein bisschen schon. Ich habe das versucht auszuhalten jahrelang und jetzt reizt mich das tatsächlich nochmal, auch wenn ich wenig Zeit zum Trainieren habe. Falls ich noch einmal die Gelegenheit bekomme stelle ich vielleicht nochmal einen Poolrekord auf.

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