App für Amateur-Fotografen: Knackärsche und Schlaglöcher

Die Firma Scoopshot bietet Leserreportern eine Verkaufsplattform und Redaktionen Billigbilder. Fotojournalisten geraten unter Druck.

„Ein Handybild innerhalb von fünf Minuten ist allemal besser als ein professionelles Foto zwei Tage später.“ Bild: dpa

BERLIN taz | Vor einigen Monaten flog Eric Siereveld hochkant aus der taz-Fotoredaktion. Kein Interesse habe man an seinem Produkt, erfuhr der Holländer und trollte sich. Was Siereveld im Rudi-Carrell-Singsang anbot, waren massenhaft Bilder, geschossen von Handy-FotografInnen in Berlin, Bamberg und dem Rest der Welt. Der Vizechef der kleinen finnischen Firma Scoopshot ist deshalb verhasst unter professionellen Fotojournalisten. Ihnen raubt der Zehn-Mitarbeiter-Betrieb aus Helsinki mit seiner Armada an Amateur-Knipsern einen beträchtlichen Teil ihrer Existenzgrundlage.

Scoopshot bietet Medien weltweit //www.scoopshot.com/:eine Plattform, über die sie an das Material von LeserreporterInnen herankommen können. Diese laden ihre Bilder vor Ort in eine App und Redaktionen können zum Spottpreis direkt zuschlagen. Sierevelds Vorteil: Geschwindigkeit. „Ein Handybild innerhalb von fünf Minuten ist allemal besser als ein professionelles Foto zwei Tage später.“

Bei Oliver Multhaupt hatten die Vertreter von Scoopshot Erfolg. Multhaupt ist Geschäftsführer der Onlinetochterfirma der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, derzeit eifrigster deutscher Scoopshot-Kunde. Der Tagesspiegel und die Potsdamer Neuesten Nachrichten testen zaghaft.

14.000 der 70.000 deutschen Nutzer leben laut Multhaupt im Verbreitungsgebiet der WAZ. Ihnen stellt die Redaktion regelmäßig Aufgaben und lobt Extraprämien aus – ein weiterer Pluspunkt von Scoopshot. Zielgenau kann sogar die Lokalredaktion Essen Leserreportern in der eigenen Stadt Aufgaben per Push-Nachricht aufs Display schicken, etwa: „Fotografiert die schlimmsten Schlaglöcher!“

Knackarsch für 1.000 Euro

Im Oktober startete die Bild-Zeitung mit der 1414-App ein ganz ähnliches eigenes Projekt. Unglaubliche 190.000 Fotos luden Nutzer bis Monatsende in die Community, oft auf direkte Aufforderung. Bei der „Mission Knackarsch“ zum Beispiel suchte die Redaktion die schönsten (Frauen-)hintern in Tanga, Strumpfhose oder Strapsen. Tatsächlich pumpten NutzerInnen tausendfach die gewünschten Wichsvorlagen auf die Plattform, um wenig später ihren Allerwertesten in der Zeitung oder in einer Bildergalerie wiederzufinden. Der Hauptpreis waren 1.000 Euro.

Rainer Steußloff bekommt Bauchschmerzen, wenn er an die Apps denkt. Gegen Schlagloch-Knipserei und Popo-Bildchen hat der Vorsitzende des Fotografenverbandes Freelens nichts. Er sieht damit verbunden aber einen „schleichenden Prozess“.

Das Unheil begann in seinen Augen schon vor 20 Jahren, als Verlage ihren LokalreporterInnen Kameras in die Hände drückten. Das Smartphone eröffnet nun jedem die Möglichkeit, immer und überall Fotos zu machen und an Medien zu senden. Viele nehmen sie gierig ab. „Für diese Entwicklung sind in erster Linie die Buchhalter und die Controller verantwortlich. Denen geht es um billigen Einkauf, nicht um die journalistische Qualität“, klagt Steußloff. Auch Redaktionen macht er einen Vorwurf. Mit Aktionen, in denen es um Unfälle, Katastrophen oder Promis geht, schicken sie LeserreporterInnen in rechtliche Grauzonen.

„So passiert es dann, dass Amateure loslaufen, knipsen und die Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten verletzen.“ Zu allem Überfluss drückt der Billigcontent die Preise für alle Beteiligten. Steußloff hat früher für Zeit, Spiegel und Stern fotografiert. Mittlerweile ist er umgeschwenkt auf PR und Werbung. „Vom Pressemarkt allein kann kein freier Fotograf mehr leben.“

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