Arbeitsbedingungen an Hochschulen: Der lange Atem der Gimena V.

Wissenschaftliche Mitarbeiter leiden unter prekären Verhältnissen. Doch sie organisieren sich nur selten in Gewerkschaften. Warum?

Dozentin und Studenten im Hörsaal

Prekäre Zone: Beschäftigte an deutschen Unis sind selten in Gewerkschaften organisiert Foto: dpa

BERLIN taz | Für ihre Promotion an der Technischen Universität Berlin hat Gimena V. alles zurückgelassen: Job, Familie, ihren Freund. So verlockend war das Angebot für die Argentinierin, für eine deutsche Hochschule in ihrem Nachbarland Uruguay zu forschen. Erstmals sollten dort die ökologischen Folgen der Landwirtschaft untersucht werden. Für das Projekt „Rural Futures“ stellte die TU Wissenschaftler aus Chile, Ecuador und Bolivien an. Das Bildungsministerium schoss 2 Millionen Euro zu.

Im Februar 2015 unterschrieb Gimena V. in Berlin ihren Arbeitsvertrag. Mit der halben Stelle am Institut für Ökologie hatte sie ein regelmäßiges Einkommen und eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre in der Tasche. Jetzt kann nichts mehr schiefgehen, dachte sie.

Es ist aber, aus Sicht der heute 29-Jährigen, einiges schiefgegangen. Die Planung des Forschungsprojekts war chaotisch, während des Aufenthalts in Uruguay verbot ihnen der Ehemann der Projektleiterin, Wochenenden freizunehmen oder in Hotels zu schlafen – obwohl die TU ein Budget für Übernachtungen genehmigt hatte. Sie und ihre Kolleginnen mussten zelten.

Am schlimmsten war für die Frauen jedoch, wie wenig sie die Hochschule nach ihrer vorzeitigen Rückkehr unterstützt hat. Als sie sich über die Arbeitsbedingungen in Uruguay beklagten, wurden sie nicht mehr zu Teamsitzungen eingeladen. Die Projektleiterin weigerte sich, die Promovendinnen weiter zu betreuen. Als sie sich daraufhin über Mobbing beschwerten, wurde je ein individuelles Teamcoaching mit ihnen einberufen. Sonst passierte nichts.

So erzählt es Gimena V. Zu den Vorkommnissen will am Institut für Ökologie gegenüber der taz niemand Stellung nehmen. Die Projektleiterin antwortet nicht auf eine Anfrage.

5.000 Euro Schmerzensgeld

Hat die TU ihre Fürsorgepflicht verletzt? Die Frage wird an diesem Montag am Arbeitsgericht Berlin verhandelt. 5.000 Euro Schmerzensgeld fordert V.s Anwalt sowie ihre Versetzung an ein Institut, in dem die Promovendin wieder arbeiten kann. Seit Anfang September ist Gimena V. stressbedingt krankgeschrieben.

Dass der Fall überhaupt vor Gericht gelandet ist, ist der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) zu verdanken. Die Anarcho-Gewerkschaft, die in Berlin 350 Mitglieder hat, unterstützt die zwei Wissenschaftlerinnen im Rechtsstreit. Das kommt, gemessen an der Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter an deutschen Hochschulen, selten vor.

Norbert Konkol, Verdi

„Wir können nur handeln, wenn die Leute mit uns in den Konflikt gehen“

Dabei sind in kaum einem Berufsfeld die Bedingungen so prekär wie im Wissenschaftsbetrieb. Neun von zehn wissenschaftlichen Uni-Mitarbeitern sind befristet angestellt. Tausende Privatdozenten geben Vorlesungen oder Seminare, ohne dafür einen Cent zu bekommen. Und viele Promovenden wehren sich nicht gegen unbezahlte Überstunden oder Aufsätze, die der Prof unter eigenem Namen herausgibt.

Angst vor Rauswurf

Warum gibt es so wenige Proteste gegen Unis, die keine Verträge entfristen, Abhängigkeitsstrukturen tolerieren und die Selbstausbeutung ihres Nachwuchses einkalkulieren? Oder anders gefragt: Warum organisieren sich Wissenschaftler nicht stärker?

Spricht man mit den beiden an Hochschulen aktiven gewichtigen Gewerkschaften – Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) –, wird klar, warum. „Wer als Wissenschaftler den Weg der Klage geht, muss Konsequenzen für seine Karriere befürchten“, sagt Norbert Konkol, der bei Verdi die Arbeitsgruppe „Bildung Wissenschaft und Forschung“ leitet. Konkol beobachtet seit Jahren, wie sich Uni-Mitarbeiter „freiwillig“ ausbeuten lassen.

„Ein Großteil erleidet und erduldet die Arbeitsbedingungen“. Wer befristet angestellt ist, hat Angst, keinen neuen Vertrag zu bekommen. Und wer als Privatdozent unentgeltlich lehrt, um seine Lehrbefugnis nicht zu verlieren, nimmt dies in Kauf, um in den Wissenschaftsbetrieb zu kommen.

Gewerkschaften nennen keine Zahlen

Bei beiden Gruppen sei es schwer, Interessenvertretung zu organisieren, sagt Konkol. Zahlen zu Verdi-Mitgliedern an Unis will er nicht nennen. Es seien deutlich weniger als in anderen Bereichen. Dabei seien im öffentlichen Hochschulbereich wesentlich mehr Arbeitnehmer befristet angestellt als in der Privatwirtschaft. „Wir können nur handeln, wenn die Leute dazu bereit sind, mit uns in den Konflikt zu gehen.“

So sieht man das auch bei der GEW. Auch dort lässt man sich nicht gern in die Karten gucken. Von den rund 280.000 Mitgliedern seien Hochschulangestellte jedoch die kleinste Gruppe, räumt Andreas Keller ein. Das Vorstandsmitglied beobachtet, dass neben Verfahren im öffentlichen Dienst rund um Eingruppierung und Arbeitszeiten vor allem die Klagen zu Zeitverträgen zugenommen haben. Seit 2007 beschränkt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz befristete Arbeitsverträge bei Nachwuchswissenschaftler auf maximal zwölf Jahre.

In diesem Bereich habe die GEW Erfolge mit erstritten, sagt Keller. So urteilte das Bundesarbeitsgericht 2011, dass eine Fremdsprachenlektorin nicht – wie etwa Promovenden – befristet angestellt werden dürfe. „Für befristet angestellte Lektoren, Wissenschaftsmanager oder Lehrkräfte für besondere Aufgaben heißt das, dass sie heute gute Klagechancen haben.“ Vielen sei das gar nicht bewusst. Deshalb seien Beratungsangebote und Rechtsschutz der Gewerkschaften so wichtig.

Dafür ist Gimena V. ein gutes Beispiel. Über private Kontakte nahm sie noch in Uruguay Kontakt zur FAU Berlin auf. Die Gewerkschaft riet ihr zur Beschwerde – und letztlich zur Klage. Jetzt wünscht sich Gimena V., einfach ihre Doktorarbeit fertig zu schreiben. „Wenn mir die TU keine alternative Stelle anbietet, kehre ich nach Argentinien zurück.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.