Arbeitskampf an NRW-Unikliniken: Klatsche für die Arbeitgeber

Streikaufrufe der Gewerkschaft Verdi am Uniklinikum Bonn bleiben zulässig. Das Arbeitsgericht Bonn wies einen Eilantrag der Klinik auf Unterlassung ab.

Demonstration mit Plakaten und Fahnen.

Mit­ar­bei­te­r:in­nen der Uniklinik Bonn bei einer Demonstration am 14.6 Foto: Oliver Berg/dpa

BOCHUM taz | Im Kampf um mehr Personal und erträgliche Arbeitsbedingungen an den nordrhein-westfälischen Universitätskliniken hat die Arbeitgeberseite eine heftige Niederlage einstecken müssen.

Das Arbeitsgericht Bonn hat am Dienstag einen Eilantrag zurückgewiesen, mit dem der Vorstand der Bonner Unikliniken den Streik der nichtärztlichen Beschäftigten zumindest in der laufenden Woche verbieten lassen wollte. „Wir haben auf ganzer Linie gewonnen“, erklärte der zuständige Verdi-Gewerkschaftssekretär Jan von Hagen am Dienstagnachmittag auf taz-Nachfrage.

An den sechs nordrhein-westfälischen Klinikstandorten Bonn, Köln, Aachen, Düsseldorf, Essen und Münster kämpfen Pfleger:innen, The­ra­peu­t:in­nen wie die Mit­ar­bei­te­r:in­nen von Service-, Reinigungs- und Transportbereichen schon seit dem 4. Mai für einen Tarifvertrag Entlastung (TVE).

Dabei fordern sie nicht mehr Geld – sondern schlicht Arbeitsbedingungen, die sie nicht selbst krank machen und eine menschenwürdige Betreuung der Pa­ti­en­t:in­nen sichern sollen. Die Klinik-Vorstände klagen zwar seit Wochen über ausgefallene Operationen, geschlossene OP-Säle und damit über tägliche finanzielle Verluste in Millionenhöhe.

Ein erstes, aus Sicht der Beschäftigten „vergiftetes“ Angebot haben sie aber erst nach 36 Streiktagen am vergangenen Donnerstag vorgelegt. Danach sollen nur „bettennahe“ Pfle­ge­r:in­nen Unterstützung durch neue Kol­le­g:in­nen erhalten. Keine Entlastung bekommen sollen dagegen Mit­ar­bei­te­r:in­nen etwa in den Notaufnahmen, in den Ambulanzen – und in Service, Reinigung und Transport erst recht nicht.

Am Montag hatte der Vorstand des Bonner Uniklinikums dann die nächste Eskalationsstufe gezündet. Der Arbeitskampf sei rechtswidrig und aus medizinischer Sicht „im Interesse der Patienten nicht mehr vertretbar“, hieß es zur Begründung des Eilrechtsschutzverfahrens, mit dem die Bonner Uniklinik ihre Beschäftigten zunächst bis zum 17. Juni zur Arbeit zwingen wollte.

Entsprechend entsetzt reagierte die Gewerkschaft. Die Arbeitgeberseite lege „die Axt an das Streikrecht der Beschäftigten“, erklärte die nordrhein-westfälische Verdi-Landesleiterin Gabriele Schmidt – und falle damit nicht nur der gerade entstehenden neuen schwarz-grünen Landesregierung, sondern auch „den demokratischen Parteien im Landesparlament“ in den Rücken.

Streik ist ein Notruf

Schließlich hätten sich nicht nur die Abgeordneten von CDU, Grünen, SPD und FDP für einen TVE ausgesprochen. Mit Nordrhein-Westfalens CDU-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann habe auch der Bundesvorsitzende des Arbeitnehmerflügels der Christ­de­mo­kra­t:in­nen „eigenhändig die Petition für einen Tarifvertrag Entlastung unterschrieben“, ärgert sich die Gewerkschaftschefin Schmidt.

Doch vor Gericht kassierte der Bonner Klinikvorstand eine heftige Klatsche: Sein Antrag auf ein einstweiliges Streikverbot wurde überdeutlich als unbegründet zurückgewiesen. „Verdi verstößt nicht gegen die Friedenspflicht“, sagte Gerichtssprecherin Sarah Dempke der taz am Telefon, „weil die Tarifforderungen der Gewerkschaft nicht Gegenstand eines laufenden Tarifvertrags sind.“

Auch verstoße der Arbeitskampf für mehr Entlastung durch zusätzliche Kol­le­g:in­nen nicht gegen „bestehende gesetzliche Regelungen, weil diese nur Mindeststandards darstellen“, erklärte Arbeitsrichterin Dempke – schließlich dürfe auch für Lohnerhöhungen gestreikt werden, obwohl es eine gesetzliche Mindestlohnregelung gebe. Auch gegen den „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ verstoße der Streik nicht, denn „Notfallvereinbarungen“, durch die alle unmittelbar notwendigen Behandlungen und Operationen sichergestellt sind, würden „eingehalten“, so Dempke.

Ein verzweifelter „Notruf“ sei der Streik, betonte Sandy Heikamp-Pommer, Leiterin einer Pflegestation an der Bonner Uniklinik. Denn ohne TVE dürften noch mehr Mit­ar­bei­te­r:in­nen die Unikliniken ausgebrannt verlassen. „Das kann niemand wollen“, sagt Heikamp-Pommer – schließlich fehlen allein an den Krankenhäusern in NRW nach Schätzung der Gewerkschaft schon heute 20.000 Fachkräfte.

Grundrecht auf Streik gilt auch in Krankenhäusern

Im nächsten Landtagsplenum Ende Juni wollen die So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen als größte Oppositionsfraktion deshalb Druck auf die designierte schwarz-grüne Landesregierung machen: CDU und Grüne müssten den sechs landeseigenen Unikliniken endlich „zusichern, dass das Land die vollständige Refinanzierung des Tarifvertrags Entlastung sicherstellt“ – also schlicht mehr Geld für zusätzliche Mit­ar­bei­te­r:in­nen herausrückt, fordert SPD-Fraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat: „Schluss mit dem Gerede, her mit konkreten Lösungen.“

Verdi-Landesleiterin Schmidt warnte die Arbeitgeber gleichzeitig davor, weiter auf die Gerichte zu setzen. Besonders der Bonner Klinikvorstand, der trotz der Klatsche vom Dienstag noch immer in die zweite Instanz gehen kann, müsse endlich „den Konfrontationskurs gegen die eigenen Beschäftigten beenden“ und stattdessen mehr Personal für alle Klinikbereiche anbieten, fordert die Gewerkschaftschefin. „Die Beschäftigten haben keinerlei Verständnis für juristische Winkelzüge und Einschüchterungsversuche“, sagt Schmidt. Schließlich habe das Bonner Arbeitsgericht am Dienstag klargestellt: „Das Grundrecht auf Streik gilt auch in Krankenhäusern.“

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