Arbeitsmarktintegration seit 2015: Viele in systemrelevanten Jobs
Der Großteil der 2015 Geflüchteten hat inzwischen Arbeit. Das gilt aber nicht für alle – und nicht überall.

„Nicht zufriedenstellend“ – so nannte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann in der Neuen Osnabrücker Zeitung jüngst die Beschäftigungszahlen der Geflüchteten, die 2015 nach Deutschland kamen. Ein Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt hingegen: Die Arbeitsmarktintegration hat weitestgehend gut funktioniert, auch wenn es Herausforderungen gibt.
„Mit Blick auf den Arbeitsmarkt zeigt sich ein positiver Trend“, erklären die Autoren des Berichts „10 Jahre Fluchtmigration 2015: Haben wir es geschafft?“ Die Beschäftigungsquote der seit 2015 Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter lag demnach 2024 bei 64 Prozent – nur knapp unter dem Bevölkerungsdurchschnitt. Männer waren mit 76 Prozent sogar leicht über dem Durchschnitt der männlichen Bevölkerung. Bei Frauen lag die Beschäftigungsquote allerdings mit 35 Prozent weit dahinter und nur bei knapp der Hälfte des weiblichen Durchschnitts (69 Prozent). Die Gründe hierfür sind vielschichtig, laut IAB-Bericht ist aber besonders der „teils unzureichende Zugang zu Kinderbetreuung“ ausschlaggebend. Hier gebe es viel Verbesserungspotenzial.
Geflüchtete arbeiten häufig in systemrelevanten Jobs: Frauen oft in medizinischen und Gesundheitsberufen, Männer im Verkehrs- und Logistikbereich. Insgesamt gehen Geflüchtete überdurchschnittlich häufig Engpassberufen nach, also Berufen, in denen eine hohe Nachfrage auf ein geringes Angebot trifft.
Knapp unter der Niedriglohnschwelle
Neben der Beschäftigungsquote ist auch der Verdienst der 2015 zugezogenen Geflüchteten mit der Zeit gestiegen. Im ersten Jahr nach der Flucht lag bei Vollzeitbeschäftigten der mittlere Monatsverdienst bei 1.398 Euro, 2023 waren es dann 2.675 Euro. Das sind jedoch nur 70 Prozent des mittleren Verdienstes aller Vollzeitbeschäftigten – und liegt damit knapp über der Niedriglohnschwelle.
Wie viele Geflüchtete arbeiten und was sie verdienen, unterscheidet sich stark nach Bundesländern und Regionen. Um genügend Fallzahlen zu haben, bezieht sich das IAB hier auf alle Geflüchteten, die zwischen 2013 und 2022 nach Deutschland kamen, und legt einige Bundesländer zu Regionen zusammen. Besonders gut lief es demnach in Baden-Württemberg, am schlechtesten dagegen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Und auch der mittlere Bruttotagesverdienst unterscheidet sich dort enorm: 63 zu 36 Euro. Zusammengefasst: In Regionen mit günstiger Arbeitsmarktlage und hohen Durchschnittslöhnen sind auch die Einkommen und Beschäftigungsquoten von Geflüchteten höher.
Rechtsextreme schaden der Arbeitsmarktintegration
Und noch etwas wirkt sich negativ auf die Arbeitsmarktintegration aus: ein ablehnendes gesellschaftliches Klima. „Schon geringe Teilnehmerzahlen bei rechtsextremen Demonstrationen gehen mit einer deutlich verringerten Beschäftigungswahrscheinlichkeit und geringem Verdienst von Geflüchteten einher“, so die Autoren des IAB-Berichts.
Die Untersuchung blickt auch zurück auf Veränderungen seit 2015 und ihre Auswirkungen. So habe sich die Beschleunigung der Asylverfahren günstig auf die Integration in den Arbeitsmarkt ausgewirkt. Allerdings dauerten die Verfahren immer noch zu lange. Auch Integrations- und Sprachkurse, Arbeitsmarkt- und Berufsberatung und die private oder dezentrale Wohnsituation hätten sich positiv ausgewirkt. Bei Letzterem zeigte schon ein IAB-Bericht aus dem Jahr 2024, dass Gemeinschaftsunterkünfte belastend und integrationshemmend wirken. Das gleiche gilt für Wohnsitzauflagen.
„Erfolgreiche Arbeitsmarktintegration ist möglich“, heißt es abschließend in dem Bericht. „Aber sie braucht Zeit, Ressourcen und politische Weichenstellungen, die auf Teilhabe statt Ausgrenzung setzen.“
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