„Kind, was machst du?“

aus Berlin MICHAEL RINGEL

Auf den Gängen des Berliner Landgerichts kursierte gestern Morgen immer wieder eine Frage: Kommt er, oder kommt er nicht? Nein, Kai Diekmann erschien nicht. Dafür wurde der Bild-Chefredakteur hochkarätig vertreten. Professor Peter Raue, der weißhaarige Kopf der renommierten Anwaltskanzlei „Hogan & Hartson Raue“, trat höchstpersönlich an, um die Schmerzensgeldforderung Diekmanns gegen die taz vor Gericht durchzusetzen. Der „Penis-Prozess“ konnte also beginnen, und das zur frühen Morgenzeit noch leicht verschlafene Publikum sollte eine hellwache juristische Aufführung mit Unterhaltungswert erleben. Denn Raue hatte in taz-Anwalt Johannes Eisenberg einen würdigen Gegner gefunden.

Unstrittig sei, eröffnete der Vorsitzende Richter Michael Mauck die Verhandlung, dass es sich bei dem Artikel um eine Satire handele. Das könne jeder Leser erkennen, die satirischen Mittel seien mehr als eindeutig. Geklärt werden müsse allerdings, ob eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliege und wie gravierend sie gegebenenfalls sei. Ein Punkt, an dem es sich Eisenberg nicht nehmen ließ, das Wort zu ergreifen. Nicht allein um die Persönlichkeit Diekmanns gehe es, erklärte der taz-Anwalt. Vielmehr sei der publizistische Kontext zu berücksichtigen. „Schweinejournalismus“ betreibe Bild, und das „halbamtliche Untenrum-Organ“ sei verantwortlich für eine „Verseuchung“ des öffentlichen Raums, so Eisenberg. Betrachte man sich die Entwicklung der Bild seit den Achtzigerjahren, so habe das Blatt eine enorme Sexualisierung erlebt, wie sich zum Beispiel in der aktuellen Werbung zeige: Auf Plakaten würden minderjährig erscheinenden Frauen stark sexualisierte Slogans zugeordnet: „Ich mag’s ganz sanft. Hinterher.“ Die taz-Satire sei eine entsprechende Kritik an der Vorgehensweise des Blatts.

Raue konterte sofort: Sexualisierung könne man in der gesamten Werbelandschaft erleben. Das sei hier nicht der Punkt, meinte der Springer-Anwalt. Es gehe nur um den Angriff auf die Persönlichkeit Diekmanns, um die Verletzung der Menschenwürde. Aber spätestens als Raue anmahnte, was denn wäre, wenn Diekmanns Kinder ihn auf die Penisverlängerung ansprechen würden, konnten die Zuschauer ihr Lachen nicht mehr unterdrücken. Nur noch Kopfschütteln erzeugte dann Raue, als er später in die Mikrofone erklärte, es sei nicht hinzunehmen, wenn Diekmanns Mutter ihren Sohn wegen der Penisverlängerungsgeschichte anrufen und entsetzt fragen sollte: „Kind, was machst du denn?“ Dass Mutter Diekmann taz-Leserin ist – erstaunlich! Warum sie aber nicht anruft, wenn Diekmann die Penisbrüche Dieter Bohlens auf die Seite eins der Bild hievt, bleibt ein Springer-Geheimnis.

„Herr Diekmann ist durch diese Geschichte betroffen. Er ist tief verletzt“, bemühte sich Raue wieder, die persönlichen Konsequenzen für den Bild-Chef in den Mittelpunkt zu rücken. Die Satire konzentriere sich allein auf die angeblichen Unterleibsprobleme seines Mandanten, meinte Raue und zitierte eine Textpassage über die Untenrum-Operation. Ein Leser im Ausland, der den taz-Text per Internet aufrufe, könne diesen als Tatsachenbericht verstehen, so der Anwalt. Demnächst müsse sich Herr Diekmann im Ausland fragen lassen, was denn da mit ihm passiert sei. Hier solle ein Mensch „vernichtet“ werden. Dies sei doch nur ein Hilfskonstrukt, entgegnete Eisenberg. Nein, man könne den Text nicht aus dem Zusammenhang reißen. Würde man sich den gesamten Text ansehen, so werde doch gerade in der Einleitung ein deutlicher Bezug zur Rolle und Funktion des Bild-Chefredakteurs hergestellt.

Dass die Verhandlung länger als angesetzt dauerte, bereute schließlich niemand – jedenfalls bei der taz. Die das Urteil des Berliner Landgerichts gern annahm. Denn die taz hat gewonnen, und Kai Diekmann nicht verloren. Das Berliner Landgericht entschied, dass die Veröffentlichung des Artikels zwar unzulässig war und in die Persönlichkeitsrechte des Klägers eingreift. Deshalb darf der Artikel in keiner Form mehr veröffentlicht werden. Allerdings sei die Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht so schwerwiegend gewesen, dass ein Wiedergutmachungsanspruch nötig sei. Die taz müsse daher keine 30.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Kurz nach der Urteilsverkündung hörte man in der Berliner Kochstraße ein lautes und erleichtertes Aufatmen, zumindest auf der einen Straßenseite.