Seifengynäkologie

„Dr. Verena Breitenbach“ ist nicht mehr ganz so jung und braucht das Geld. Anders ist ihre Talk-Soap (Mo. bis Fr., 16 Uhr, Pro7) nicht zu erklären

Das Problem heißt: „Ich will mein Jungfernhäutchen zurück!“

von SILKE BURMESTER

Wenn etablierte Schauspielerinnen wie Tina Ruhland mit ihren karriereeinleitenden Nacktfotos oder Männer wie Focus-Chef Helmut Markword mit ihren Auftritten in 70er-Jahre-Bumsfilmchen konfrontiert werden, fällt meist der zum Running Gag avancierte Satz: „Ich war jung und brauchte das Geld.“

Verena Breitenbach ist 39 Jahre alt. Sie ist Gynäkologin. Sie hat eine Praxis, einen Doktortitel. Sie schreibt in Frauenzeitschriften und kommt so sympathisch daher, dass viele Frauen sie gern als Vertraute hätten. Wir können nur mutmaßen, welche finanziellen Notwendigkeiten – Bafög-Rückzahlungen, Kinder-Patenschaften – Dr. Verena Breitenbach dazu veranlassen, sich für ein Nachmittagsprogramm herzugeben, in dem Dieter Bohlens Penisbruch als intellektuelle Leistung gelten muss.

Verenas Sendung geht so: Drei Menschen stehen an Tischen in einer Art Triangel zueinander. Einer davon ist Dr. Breitenbach, die anderen haben ein Problem. Das Problem heißt: „Ich will mein Jungfernhäutchen zurück!“, „Ist es trotz des Unfalls möglich, Sex zu haben?“ oder „Meine Tochter braucht die Pille“. Was dann kommt, ist „Medizinischer Rat und die ganze Wahrheit“. Frau Dr. Breitenbach spricht die Krux direkt an. Keine Begrüßung des Fernseh- oder Studiopublikums, keine Einführung, nichts. „Uwe, warum haben Sie eigentlich keine Lust mehr auf Ihre Frau?“ Das sitzt. Dr. Verena Breitenbach wartet, dass es losgeht. Es geht los. Zehn Sekunden, und die Spirale des Beziehungskonfliktes beginnt sich hochzuschrauben. Ein Wort ergibt das andere. Ganz so, wie in ebenjenen täglichen Talkshows, die immer weniger Menschen gucken. Doch anders als bei jenen Talkern, die man nur beim Vornamen nennt, versucht Frau Doktor mit Unterleibs- und Psychokompetenz durch den Wirrwarr zu leiten.

„Zu Ihnen: Wie sehen Sie die ganze Information, die Sie bekommen haben? Stimmt das? Schlagen Sie Ihre Frau?“ „Wir müssen Ihre Blutungen klären, das macht mir echt Kofpzerbrechen.“ Das macht sie ganz gut. Sie hört gut zu, hat als Paarberaterin sicherlich Friedemann Schulz von Thuns „Störungen und Klärungen“ gelesen oder einfach nur ihre Einsätze und den Gesprächsverlauf mit ihrer Redaktion punktgenau durchgesprochen.

Damit die Betroffenen – Impotente, Schwangere, Entzündete – den Sachverhalt auch ganz begreifen und um ihre Führungsrolle innerhalb des Trios und vor dem Publikum zu manifestieren, bietet Frau Doktor zwischendurch an, die biologische Komponente zu erläutern. Neben ihr, an der Wand, erscheint dann die bewegte, schematische Darstellung beispielsweise einer männlichen Erektion. Diese vermag sie Dank ihrer flotten Gestik so anschaulich darzustellen wie Jörg Kachelmann den Verlauf eines Hochs über Norddeutschland.

Der Zeitpunkt ist genau berechnet, zu dem der Dritte im Konflikt-Bund – im Publikum sitzend – das Wort erhebt und Licht in das Dunkel bringt. Und auch hier greift Schema F, die Hauptperson, die Problemperson, die immer rechts postiert ist, wird der Lüge in ihrer Darstellung überführt.

Und so ist die eitrige Brustentzündung nicht länger Ergebnis des Tragens eines kratzigen Pullis ohne BH, sondern eines Nadelstechens im Internat, die 16-jährige Schwangere nicht länger trächtig von Freund Asko, sondern von einem der unbekannten Tempelgötter, die im Rahmen eines spirituellen Happenings über sie stiegen.

Chemiker Olli, so stellt sich Dank der Wortmeldung seiner Nachbarin heraus, sei lediglich bei seiner eigenen Frau impotent – und die Dame mit den Unterleibsschmerzen hat, wie sie nun im Beisein ihres Ehemannes zugibt, vor drei Wochen ein Kind geboren. Heimlich natürlich.

Was jetzt passiert, ist der übliche Showdown rudimentärer Sprachakrobatik, verstümmelter Wahrheiten und gefälschter Gefühle. Denn wahre Emotionen, echtes Entsetzen, Sprachlosigkeit oder Trauer können die Menschen, die sich zum Zwecke des gynäkologischen Kammerspiels zusammengefunden haben, nicht zeigen.

Mit Hilfe von Sätzen wie „Das glaub ich jetzt nicht!“ oder „Wie konntest du mir das antun – meine eigene Schwester!?!“ versuchen sie, eine Brücke über ihre laienspielhafte Unfähigkeit zu schlagen, um den Zuschauer in das vermeintliche emotionale Drama zu führen.

Mittendrin in alledem: Dr. Verena Breitenbach. Die Einzige, die wirklich etwas vermitteln möchte. Ihr Wissen, ihre Kompetenz, ihre Wut über ihre ungehobelten Gäste – und die nimmt man ihr sogar ab.

Verena Breitenbach ist 39 Jahre jung. Sie hat einen Doktortitel, eine Arztpraxis und schreibt nebenbei für Frauenzeitschriften. Wie dringend braucht sie das Geld?