Geht‘s den Rentnern zu gut?

JA

Völlig zu Unrecht werden „Alter“ und „Armut“ in der politischen Rhetorik immer noch oft in einem Atemzug genannt. Von „Altersarmut“ waren mit Sicherheit viele Kriegsgeschädigte betroffen, Witwen und die Flüchtlinge, die schon voll im Erwerbsleben standen, als sie ihre gesamte Habe zurücklassen und im Westen neu anfangen mussten. Und auch heute noch gibt es Rentner, die keine großen Sprünge machen können. Was aber einen Großteil der rüstigen Sechziger und Siebziger von heute angeht, ist von Alter und Armut nicht mehr viel zu spüren. Jedes vierzehnte Kind lebt von Sozialhilfe – aber nur jeder hundertste Rentner.

Im Urlaub auf Gran Canaria oder an der Costa del Sol – oder auch auf Rügen oder Usedom – wird besonders deutlich, wie gut es den meisten deutschen Rentnern heute geht. Auf dem Campingplatz tummeln sich überwiegend Familien mit Kindern, das Dreisternehotel nebenan wird hautpsächlich von älteren Herrschaften belegt. Und wenn die Apartmentburgen aufhören und zwischen Kiefern und Pinien dezent versteckte Villen und kleine Luxusschlösser auftauchen, können Sie sich sicher sein: Hier spricht man deutsch und ist über sechzig.

Nicht nur in der politischen Rhetorik gilt Alter nach wie vor als Armutsrisiko. Auch am Bahnschalter, an der Museumskasse und im Schwimmbad scheint diese Maxime noch zu gelten – zahlen doch die älteren Leute hier oft nur die Hälfte. Die Begründung: Wer auf staatliche Rente angewiesen ist, erhält nur noch etwa zwei Drittel seines Einkommens, muss also kürzer treten.

Ein Relikt aus früheren Zeiten! In Wirklichkeit leben die wenigsten Rentner ausschließlich von ihrer staatlichen Rente, sondern von satten Betriebsrenten und Erspartem. Das ist natürlich ihr gutes Recht. Nur ist nicht einzusehen, warum dieses Recht für die Rentner von heute heilig ist, für die Berufstätigen von heute hingegen nicht. Viele Angestellte werden nämlich später keine Betriebsrente mehr bekommen, weil den Betrieben durch die hohen Verpflichtungen gegenüber den Rentnern von heute die Luft abgeschnürt wird.

Gleichzeitig wird es für die Arbeitenden von heute immer schwieriger, Geld zu sparen, weil sie immer höhere Abgaben leisten müssen: darunter der Rentenbeitrag. 1970 lag er noch bei 17 Prozent, in Kürze wird er aller Voraussicht nach auf fast 20 Prozent steigen. Und dies ist nur die offizielle Steigerung. Indirekt zahlen die Arbeitnehmer viel mehr in die Rentenkasse, weil mittlerweile rund ein Drittel des Budgets vom Staat zugeschossen wird: aus Steuergeldern. Darüber hinaus weisen Ökonomen immer wieder darauf hin, dass der Arbeitgeberanteil am Rentenbeitrag vorenthaltener Lohn ist. Denn den Arbeitgeber interessieren nur seine Gesamtkosten.

Längst ist es ein offenes Geheimnis, dass das rein beitragsfinanzierte Umlagesystem in erster Linie denen dient, die es in den Fünfzigerjahren eingeführt haben, und deren Kindern schadet. Die Deutschen, die in den Dreißigerjahren geboren wurden, konnten noch mit einer Rendite von zwei bis über drei Prozent auf die eingezahlten Beiträge rechnen, die in den Vierzigern geborenen immerhin noch mit ein bis zwei Prozent.

Spätestens für die Jahrgänge ab 1970 aufwärts jedoch wirkt die Rentenkasse wie eine Melkmaschine. Nicht nur müssen sie jeden zehnten Euro ihres Gehalts abgeben. Schlimmer noch: Viele von ihnen, die jetzt neu auf den Arbeitsmarkt drängen, finden keine Arbeit, unter anderem deshalb, weil die hohen Beiträge die Arbeitgeber davon abhalten, neue Leute einzustellen. Das ist nicht nur der Obolus an die Rentenkasse. Hinzu kommen die neu eingeführte Plegeversicherung und die Abgaben an die Krankenversicherung, die sich seit 1970 annähernd verdoppelt haben – beides Belastungen, die vor allem die Alten verursachen und die Jungen tragen müssen.

Gleichzeitig muss, wer heute arbeitet, einen Teil seines Einkommens für später zurücklegen. Denn klar ist: Von der staatlichen Rente wird in 20 Jahren niemand mehr leben können. Und mit 60 oder noch früher in Ruhestand zu gehen wird dann als Luxus gelten, den sich keiner mehr leisten kann.

Wie gesagt, kein offenes Geheimnis. Doch traut sich keine Regierung, den Rotstift auch einmal bei den Rentnern anzusetzen. Das hat wenig mit „nicht am wohlverdienten Ruhestand rütteln wollen“ zu tun, sondern schlicht mit der Tatsache, dass auch das Wahlvolk immer älter wird. KATHARINA KOUFEN

NEIN

Kaum hat Gerhard Schröder die Wahl gewonnen, geht der „Generationenkrieg“ um die Renten wieder los: Die jetzigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sollen noch mehr abführen ins „Zwangsversicherungssystem“, also in die Rente, die rein über die Beiträge der heute arbeitenden Generation finanziert wird. Rentner und Rentnerinnen sollen zum Wohle der „Jugend“ (ihrer Söhne, Töchter, Enkel) keine Rentenerhöhungen fordern.

Das ist falsch! Die laufenden staatlichen Altersrenten sind schon niedrig genug. Bei Männern liegen sie im Westen Deutschlands im Durchschnitt bei 969 Euro, bei Frauen sind es 446 Euro. Im Osten der Republik erhalten Männer durchschnittlich 782 Euro, Frauen 619 Euro. Da kommen vielleicht noch hie und da Betriebsrenten hinzu, aber in den meisten Fällen kann man die vergessen. Ein großes Unternehmen wie Bayer hat früher gerade einmal 300 Mark gezahlt. Nur bei Firmen mit staatlichem Mitspracherecht wie VW fällt die Betriebsrente überhaupt ins Gewicht; dort gibt es rund 350 Euro monatlich.

Doch das ist immer noch nichts, wenn man bedenkt, dass bei den Angestellten des öffentlichen Dienstes allein schon die Mindestrente bei Erwerbsunfähigkeit 1.250 Euro beträgt. Die erhält ein Polizist mit 28 Jahren, wenn er zu dick für sein Dienstauto geworden ist – da hat er noch keine zehn Jahre gearbeitet. Die Pensionen für die Beamten sind entsprechend viel höher. Und ein kleiner Angestellter schuftet vierzig Jahre und bekommt dann gerade mal 1.000 Euro im Monat! Hier muss der Staat noch viel tun, um gleiche Bedingungen für die Zwangsversicherten zu schaffen.

Die Rentner von heute tragen nämlich keine Schuld an der klammen Finanzlage. Sie können nichts dafür, dass die Rentenkassen immer wieder zur Finanzierung von Regierungsprojekten geplündert wurden. Die Gewerkschaften trifft hier große Schuld, weil deren Funktionäre im Deutschen Bundestag „Anpassertypen“ sind. Sie haben auch die Plünderung der Rentenkassen der zwangsversicherten Rentner mit zu verantworten.

Seit 20 Jahren fordert die Graue-Panther-Bewegung die Angleichung der verschiedenen Rentensysteme: Der öffentliche Dienst darf nicht länger bevorzugt werden! Auch muss die staatliche Zwangsversicherung umgewandelt werden, ähnlich etwa den Versorgungswerken von Journalisten, Ärzten oder Rechtsanwälten. Statt wie heute auf ein reines Umlageverfahren von einer Generation zur nächsten zu bauen, würde dann jeder Beschäftigte seine Rente selbst ansparen. Ein staatlicher Griff in eine dieser Kassen käme dann einem „Straftatbestand“ gleich. Die Kassen wären dann in sich geschützte Modelle, auf die der Staat keinen Zugriff mehr hätte.

Stattdessen versucht man, den kleinen Rentnern ein schlechtes Gewissen zu machen, nach dem Motto „Hättest du mehr gearbeitet, dann hättest du auch mehr Rente“. Und die Rentner schämen sich tatsächlich und gehen nicht auf die Straße, um gegen diese Ungerechtigkeit zu protestieren.

Die Graue-Panther-Bewegung hat mit ihren Generationen-Bildungswerken „Graue Panther“ generationengerechte Lösungen entwickelt, die der Regierung wie auch der Opposition bekannt sind. Statt die staatliche Rentenkasse immer wieder zu missbrauchen, sollte der Staat Schuldscheine bei der Kasse hinterlegen – und zur Rückzahlung notfalls auch an sein Vermögen ran. Und natürlich muss der Staat für solche „Ausleihen“ Zinsen zahlen. TRUDE UNRUH