philipp maußhardt über Klatsch
: Stuttgarter Enten-Glamour

Warum Klatsch und Tratsch in der Schwabenmetropole keine Überlebenschance haben – eine Liebeserklärung

Manchmal werde ich auch deswegen bedauert, weil mein Hauptwohnsitz in der Nähe von Stuttgart liegt. Von dort bis lebenslustig müsse man ja weit fahren. Kaum einer von außerhalb kann sich vorstellen, dass man an diesem Ort außer schaffa (arbeiten) auch noch leba (fröhlich sein) könne, geschweige denn Stoff finden, aus dem man Klatschkolumnen strickt. Recht haben sie.

Stuttgart ist für den Klatschreporter das, was Lüneburg dem Deutschen Alpenverein bedeutet. Allein, wenn die Schwaben das Wort Glamour auch nur auszusprechen versuchen, klingt es stets wie Klemmer. Wie Enten-Klemmer. Ein Synonym für Geiz.

Weil das nun alle haben, hat auch die Stuttgarter Zeitung seit einiger Zeit eine regelmäßige Klatschkolumne am Samstag eingerichtet. Doch weil es nichts zu klatschen gibt, teilt der verzweifelte Redakteur seinen Lesern meist nur mit, was anderswo, in Berlin oder München so geklatscht wird. Das liest sich zwar sehr unterhaltsam, dient aber offenbar nur dem einen Zweck, den Stuttgartern die Verrücktheit dieser Welt vorzuführen und sie vor den Abgründen des Menschlichen zu warnen.

Der amtierende Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, dem die Zeit einmal die Ausstrahlungskraft „eines Aktendeckels“ bescheinigte, ist hinter Bad Cannstadt schon nicht mehr bekannt. Und fragt man in der Stadt nach einer Prominentenkneipe, wird man allenfalls ans ICE-Bordrestaurant verwiesen im Zug nach München. Immerhin fährt er stündlich. In tiefe Depression verfallen, vermeldete der bedauernswerte Klatschkolumnist der Stuttgarter Zeitung, Markus Heller, darum am vergangenen Wochenende, er habe Nina Hoss beim Überqueren des Fußgängerüberwegs am Rotebühlplatz gesehen. Anschließend hat er sich, glaube ich, erschossen. Ach so: Nina Hoss ist Schauspielerin und besucht ab und zu ihre Mutter in Stuttgart.

Dabei gibt es am Neckar mindestens so viele echte Reiche, wie es an der Isar falsche Adelige gibt. Also enorm viele. Nur zeigen die nicht, was sie besitzen. Einer der Superreichen der Stadt, der Verleger Georg-Dieter von Holtzbrinck, 61, geht, wenn es sich vermeiden lässt, niemals außer Haus essen. Stattdessen hat er sich in seine Villa eine Küche mit Ausmaßen eines Gourmetrestaurants einbauen lassen. Lieber mietet er sich einen Sternekoch und lädt Freunde dazu ein. Da sieht man einen nicht. Man genießt „hählinge“ in Stuttgart – ein Wort, das sich nicht übersetzen lässt. Eine Mischung aus heimlich und lustvoll.

Bei Starkoch Vincent Klink in der „Wielandshöhe“ wird darum an den Tischen häufiger Englisch als Schwäbisch geredet, und die Autonummern vor seinem Restaurant verraten eine lange Anreise. „Vinz“, neben Eckart Witzigmann, Alfons Schubeck und Dieter Müller einer der bekanntesten deutschen Küchenmeister, hat sogar den Geiz zum Küchenprinzip erhoben: „Schnickschnack“, sagt er, „gibt es woanders.“

Eine „Käfer-Stube“ oder eine „Paris-Bar“ sind undenkbar in einer Stadt, deren Einwohner am liebsten in niedrigen Weinstuben eng zusammen hocken und schlechten Trollinger schlürfen. Aber ja nicht zu viel, damit man am andern Morgen wieder fit zum Schaffa ist. Irgendein norddeutscher Spaßvogel hat sich sogar einmal die Mühe gemacht und die Stuttgarter Rotlichtmeile vermessen: 97,6 Meter Sünde. So lange ist die Eberhardtstraße, auf der die Prostituierten ihre Freier noch mit „Grüß Gott“ begrüßen. Mittendrin zwischen den Bars und Puffs liegt die schwäbische Weinstube „Fröhlich“, deren Wirt, bis er starb, immer sehr traurig wirkte. Dort sitzt fast allabendlich der Schauspieler Christoph Hofrichter, 54, vor seiner Apfelsaftschorle und beschimpft die Grünen.

Dabei ist Rezzo Schlauch vielleicht der einzige wirklich Prominente in der Stadt. Nur weil Schlauch in Stuttgart lebt, ließ sich bisher auch verheimlichen, dass seine albanische Freundin Ema die schönste Begleiterin eines lebenden deutschen Politikers ist. Jedenfalls hat man noch nie ein Foto von ihr in der Bunten gesehen. Den Versuch, in Stuttgart eine Boulevardzeitung zu etablieren, hat übrigens die Münchner Abendzeitung in den 80er-Jahren mit einer blutigen Nase aufgegeben. Es gibt hier keinen Boulevard, höchstens ein Trottoir, wie die Schwaben den Gehsteig nennen. Und Trott-war ist auch der Name der Stuttgarter Obdachlosenzeitung. Das passt.

Darf ich noch schnell meinen Lieblingswitz erzählen? Nach der ersten Nacht beim Geliebten fragt die Pariserin nach dem Aufwachen am Morgen: „War ich gut, Chérie?“ Und was fragt die Stuttgarterin: „Send des älles deine Möbel?“

Fragen zum Enten-Klemmer?kolumne@taz.de