„Die billigen Klingen sind furchtbar“

Interview mit einem Barbier: Der Friseur Hans-Jürgen David in Ruhleben rasiert seit 1954 professionell

taz: Herr David, der technische Fortschritt hat uns alles zum Selbermachen geschenkt, vom Wegwerf-Rasierer bis zum Hightech-Apparat. Nennen Sie bitte einen Grund, sich von einem Barbier rasieren zu lassen!

Hans-Jürgen David: Meine Kunden lassen sich eben gerne verwöhnen. Sie bekommen eine heiße Kompresse aufgelegt, um das Barthaar gut aufzuweichen, dann eine gründliche Rasur mit einem guten Rasiermesser, nochmal eine heiße Kompresse, etwas Rasierwasser, damit die Hautrötungen weggehen, dann noch eine Gesichtscreme – das ist doch schön!

Wie viele Kunden leisten sich denn heute noch den Luxus, von Ihnen rasiert zu werden?

Fünf bis sechs kommen regelmäßig. Da sind auch einige jüngere dabei, denen rasieren wir auch oft den Bart in Form. Es gibt ja jetzt wieder viele, die sich schmale Bärte wachsen lassen oder diese langen Koteletten, die so dünn sind wie ein Strich. Das bekommen Sie nur mit einer richtigen Klinge hin.

Dann müssten Sie doch mehr Kunden haben.

Der Kostenaufwand ist zu groß. Heute kostet eine Rasur mit allem Drum und Dran 5 bis 10 Euro, das zahlt kaum mehr jemand. 1954, als ich anfing, haben wir 80 Pfennig genommen.

Wer sich von einem anderen Menschen rasieren lässt, muss viel Vertrauen haben …

Na logisch, man braucht eben Erfahrung in der Handhabung so einer Klinge. Deshalb durften wir als Lehrlinge ja auch nicht gleich ran, um die dicken Bärte zu rasieren. Wir haben immer mit einem eingeseiften Luftballon geübt. Wenn man heute auf Lehrlings-Leistungsschauen sieht, wie die die Rasierklinge halten – da muss man manchmal ganz schnell weglaufen.

Sie schneiden Ihre Kunden nie?

Na ja, früher ist mir das auch passiert. In den 50er-Jahren, da hatten wir zwanzig bis dreißig Rasuren am Tag. Dann hast du mal zu viel Seife drangehabt, bist abgerutscht, hast die Haut nicht mehr genug gespannt, und schon warst du drin. Und dann die Wirbel: Da muss man gucken, wie die Barthaare wachsen: nach oben, nach unten, kreuz und quer. Aber das Grausigste waren für mich immer die Mundwinkel: Wenn man da nicht besonders aufpasst, hat man ganz schnell mal wen geschnitten.

Lehnen Sie denn ordinäre Supermarkt-Rasierer völlig ab?

Die billigen Klingen sind ganz furchtbar. Oft erwischt man bei diesen Massenklingen eine, die gar nicht schneidet oder schon beim zweiten Mal stumpf ist und dann zwickt wie verrückt. Aber wenn man die guten Klingen nimmt, dann sind die Nassrasierer schon in Ordnung.

Und Elektroapparate?

Die vertragen viele Leute ja gar nicht, die bekommen Reizungen am Hals oder Pickel. Außerdem ist eine Nassrasur glatter und hält länger. Da braucht man ja bloß mal auf einen Ball zu gehen und zu gucken, wie die Männer nachts ihre Smokinghemden lockern, weil die Bartstoppeln scheuern.INTERVIEW: THOMAS GOEBEL