Auf Blankopapier

Vida Nueva: In ihrer Videodoku „Ima“ forscht Caterina Klusemann nach den Leerstellen ihrer Familiengeschichte

Man könnte meinen, dass der Hang zum Geständnis inzwischen universell ist, und staunt, in Caterina Klusemanns Videodoku „Ima“ Menschen zu sehen, auf die das nicht zutrifft. Es ist die Verfolgung und Ermordung der Juden durch die Deutschen, die hier einen Riegel zwischen Vergangenheit und Gegenwart schiebt: Bis vor wenigen Jahren lebte Klusemann in dem Glauben, einer katholischen Familie venezolanisch-polnischer Herkunft anzugehören. Hinweise wie die Abwesenheit von Verwandtschaft, Leerstellen in der Familiengeschichte und ein Sprachgemisch aus Spanisch, Englisch und Polnisch im privaten Umgang verdichteten sich aber zu dem Eindruck, dass da etwas nicht stimmen würde. Also nahm sie ihre kleine Videokamera zur Hand und machte sich auf, die Untergründe der eigenen Familie zu erforschen.

Damit stieß sie auf wenig Gegenliebe, gerade bei ihrer Großmutter. Das ist auch der Grund, warum der Film zunächst nur eine barsche Achtzigjährige festhält, die sich aus dem Bild dreht, Türen zuschlägt und sich diese Inquisition verbittet. Sie, Caterina, würde sich ja selbst wie ein Nazi verhalten. Da also von dieser Seite keine Hilfe kommt, reist Klusemann nach Lvov in der Ukraine, dem früheren Lemberg, um mehr zu erfahren. Das Resultat ist mager, aber Klusemann lässt nicht locker und so bringt sie nach 45 Filmminuten ihre Großmutter doch noch zum Sprechen. Die alte Frau deutet auf eine Stelle unter einem Schrank. Dort hat sie eine Kunststofftüte versteckt, in der sie das aufhob, was sie eigentlich vergessen wollte. „Ist es das, was du sehen willst?“ – „Ja.“ – „Okay.“ Dann erzählt sie aus diesem bisher beschwiegenen Teil ihres Lebens, dass sie etwa ihr Überleben als Jüdin der Gelegenheit verdankte, in einem unbeobachteten Moment Blankopapiere von einem Schreibtisch stehlen zu können.

Aber die Hoffnung, unter anderem Namen und Religion auch eine neue Zukunft zu erwerben – das Versprechen jeder neuen Welt – hat sich in diesem Fall nicht nur deshalb nicht erfüllt, weil die übernächste Generation diese Methode mit Nachdruck in Frage stellt. Zwischen dem Schweigen und dem einsetzenden Erzählen bleibt eine Kluft. Einmal wehrt die Großmutter das Bohren ihrer Enkelin mit der Gegenfrage ab, was sie denn mit ihren Worten anfangen könne, diese Dinge müsse man am eigenen Leib erfahren haben. Caterina Klusemann hingegen inszeniert ihren Film als Familientherapie und trägt die reinigenden Effekte des Sprechens dick auf. Immerhin hat sie als Halterin der Kamera damit das letzte Wort behalten.

MANFRED HERMES

Zu sehen am 8. 10. um 19 Uhr im Babylon Mitte (in Anwesenheit der Filmemacherin), am 9. 10. um 20 Uhr