So fucking hysterical

Vater und Sohn auf der Straße der Verdammnis: Sam Mendes’ neuer Film „Road to Perdition“ handelt von Gangsterimpressionen und vom komplizierten Zusammenwachsen einer Restfamilie

Am Ende der Straße ist es beängstigend ruhig. Nur das Prasseln des Regens ist zu hören

von ANDREAS BUSCHE

Sam Mendes’ Familienfilme bedeuten noch lange nicht den Untergang der amerikanischen Gesellschaft, auch wenn es den Anschein hat, dass sie ihn zumindest gerne einläuten würden. Der Wertekanon seiner Filme „American Beauty“ und „Road to Perdition“ ist – vielleicht – unmöglich bis ins Detail, in der bürgerlichen Tragik der geschilderten Familienkonstrukte dann aber doch irgendwie schon wieder gesellschaftsfähig.

Die defigurierte Familie Burnham lieferte Kevin Spacey in „American Beauty“ den Hintergrund für seinen Höllentrip durch das Obszönitätenkabinett des amerikanischen Suburbia-Spießers – bis er schließlich wieder zu Hause angekommen war. Das Ankommen ist bei Mendes offenbar unvermeidlich. Es ist auch der am wenigsten interessante Aspekt an seinem zweiten Film „Road to Perdition“.

Daran, dass der Weg das Ziel ist, hat schon 1972 Kenji Misumis „Okami“, die sechsteilige Verfilmung von Kazuo Koikes Samurai-Manga „Lone Wolf and Cub“, keinen Zweifel gelassen. Bei Koike wird die Familienbande mit dem Blut des Feindes besiegelt. Der Intrige eines verfeindeten Clans zum Opfer gefallen, ist der Schwertmeister Itto Ogami, nachdem seine Frau von Killern getötet wurde, dazu verdammt, mit seinem Sohn durch das von politischen Unruhen geplagte Land zu ziehen; ohne Ziel, aber die Schergen seines ehemaligen Shoguns im Nacken. An eine Ankunft ist nicht zu denken.

„Road to Perdition“ hat sich diese rührende Vater-Sohn-Geschichte zum Vorbild genommen, folgt aber nicht Koikes straffer Narration. Denn Mendes’ Familienfilme wollen immer auch Gesellschaftsbilder entwerfen und, wenn möglich, gleich noch ein paar Archetypen mitliefern. John Rooney ist so einer, ein Kleinstadtpate in der Depressionsära, mit guten Kontakten nach Chicago. Paul Newman spielt den Gottvater mit liturgischer Schwermut. Der Grad seiner Konsternation steigt mit jedem weiteren Fehltritt seines Sohnes Connor. Auch zu seinem Gunman Michael Sullivan (Tom Hanks) pflegt Rooney ein fast väterliches Verhältnis, sehr zum Missfallen Connors.

Was diese Familienformen auszeichnet, ist ihre maskuline Saturiertheit. Geschäfte werden hier unter Männern ausgemacht, und die steigen dazu runter in die Kirchengruft. Nicht nur in seiner Geschlechterhermetik erinnert „Road to Perdition“ an „Es war einmal in Amerika“. Auch seine Bilder wirken wie Restaurationen der rauen Patina von Leones Gangster-Impressionen: In den edlen Brauntönen, dem schweren Regen, der keinen der Männer reinwaschen kann, und der verdrucksten Optik – es wird mehr gespäht als geschaut – drängt sich ein verdrängter Schuldkomplex auf, der viel mit der nächsten Generation – der der Kinder – zu tun hat, die eigentlich in die Fußstapfen ihrer Väter treten sollen/müssten. Connor aber kann nicht, weil er zu blöd ist, und Michael Sullivan jr. soll nicht, weil der Kreislauf der Gewalt ein Ende finden muss.

In diesem schuldbeladenden Familienumfeld der Verschwiegenheit hat auch die Sprache ihre eigenen Codes entwickelt. Wenn Sullivans jüngerer Sohn Peter seinen Vater fragt, was er eigentlich für Mr. Rooney arbeite, antwortet der: „Deine Mutter weiß, dass ich Mr. Rooney liebe.“ Unter diesem Sprachduktus gerät die Begräbnisfeierlichkeit eines „Familien“-Mitgliedes natürlich zur Farce, wenn alle Anwesenden wissen, dass der im Auftrag von Rooney beseitigt wurde. Die Kinder verstehen das noch nicht. „Warum grinst du denn ständig?“, wird Connor von Peter gefragt. „Weil alles so verdammt lächerlich (fucking hysterical) ist.“ Ein zutiefst irischer Katholizismus und räudiger Pub-Humor sind die Ingredenzien dieser Familienzusammenkunft: Während oben die Gemeinde trauert, würfelt Rooney in der Toilette mit Sullivans Kindern um Geld.

Mendes’ eigentliche Familiengeschichte beginnt jedoch erst mit der Reise von Vater und Sohn, von Michael Sullivan senior und junior, durch das amerikanische Hinterland, nachdem Connor Sullivans Frau und seinen jüngeren Sohn auf eigene Rechnung getötet hat. Die Restfamilie kann erst zusammenwachsen, als Vater und Sohn – ohne Frau/Mutter – ganz unter sich sind und sich mit Banküberfällen ihren Lebensunterhalt verdienen. Doch ihr Weg ist bereits vorgezeichnet, der Ort der Ankunft bekannt und in seiner Symbolik auch wenig subtil: der Ort Perdition, die „Verdammnis“, im Schoß der Familie.

Bis es allerdings so weit ist, sieht sich Sullivan noch ein letztes Mal mit Rooneys Profikiller, einem psychotischen, fast comichaften Kriminalfotografen mit den makellosen Gesichtszügen Jude Laws, konfrontiert, der in seiner Wohnung die gerahmten Fotografien seiner Lieblingsopfer aufgehängt hat und nach Sullivans Notwehrmaßnahmen aussieht wie nach einem Splitterbombenanschlag. Am Ende (der Straße) ist schließlich alles ruhig, beunruhigend ruhig. Nur noch das Prasseln des Regens ist zu hören oder das Rauschen der Wellen. Kein Schrei, kein Schuss. „Es gibt nur eine Garantie“, hat Paul Newman zu Tom Hanks gesagt, „keiner von uns wird je in den Himmel kommen.“ Und noch einmal grient Connor wie irre. It’s all so fucking hysterical.

„Road to Perdition“. Regie: Sam Mendes. Mit Tom Hanks, Paul Newman, Jude Law u. a. USA 2002, 119 Min