Wache Kinderblicke mit Visionen

Eine Ausstellung mit Kinderfotografien aus aller Welt, Momentaufnahmen eines Tages. Die Bilder zeigen Themen, die über alle Grenzen hinweg im Leben von Kindern eine wichtige Rolle spielen, aber sie werden ganz unterschiedlich eingefangen

von KATRIN SCHNEIDER

Stellen Sie sich vor: Jemand kommt zu Ihnen, drückt Ihnen einen Fotoapparat und einen Film in die Hand und fordert Sie auf, an einem festgelegten Tag Bilder zu machen, mit denen Sie anderen Menschen mitteilen können, was Ihnen in Ihrem Lebensumfeld wichtig ist. Würden Sie Ihre Kollegen fotografieren, Ihre Familie, Kinder beim Spielen auf der Straße oder einfach nur die Wolken?

Die 500 Kinder und Jugendlichen aus 45 Ländern, die an dem Fotoprojekt „Imagine – your photos will open my eyes“ (siehe taz vom 26. 8.) beteiligt waren, haben einen eigenen Blick auf die Welt, die sie umgibt, und der unterscheidet sich von dem der Erwachsenen. Auf den 80 Fotos, die mit Klammern an einem dicken Bindfaden aufgehängt sind, der quer durch den Raum gespannt ist, sehen wir eine Momentaufnahme der unterschiedlichen Lebensrealitäten von Kindern, wie sie facettenreicher nicht sein könnte. Die Bilder zeigen Themen, die über alle Grenzen hinweg im Leben von Kindern eine wichtige Rolle spielen, wie Freunde, Familie, Spiel und Sport. Aber sie zeigen auch sehr deutlich unterschiedliche Werte, verschiedene Perspektiven auf die gleichen Themen und die krassen Unterschiede in den Lebensbedingungen von den Kindern. Diese kommen von allen fünf Kontinenten; es sind Jungen und Mädchen; Kinder aus der Stadt und vom Land. Sie stammen nicht nur aus Entwicklungsländern, sondern auch aus Industrieländern und nicht immer aus Ländern, in denen es friedlich zugeht, sondern auch aus Krisenregionen.

Viele Bilder lassen ein großes Bewusstsein für problematische Themen und Ungerechtigkeiten erkennen. So erklärt zum Beispiel die 14-jährige Shruti Pandey aus Kathmandu, die zu den 20 Kindern gehörte, die zur Eröffnung des ersten Zyklus der Ausstellung nach Berlin eingeladen worden waren, warum sie vier Schulkinder fotografiert hat: „Auf diesem Bild kann man zwei Kinder sehen, die zur Schule gehen und zwei andere, die in der gleichen Schule arbeiten. Bei uns müssen einige Kinder den anderen dabei zusehen, wie sie in die Schule gehen, ohne dass sie nach dem gleichen Recht für alle verlangen.“

Es sind berührende Bilder entstanden, die von der Wachheit und den Visionen von Kindern zeugen und auf denen es immer wieder neue Details zu entdecken gibt. Und auch akustisch werden wir an die unterschiedlichen Orte der Kinder versetzt. In den Ausstellungsräumen hören wir im Hintergrund hupende Autos, eine Schulklasse, die die Worte eines Lehrers nachspricht, Kinderreime und das Klatschen von Händen. Die schwedische Klangkünstlerin Hanna Hartmann hat sich von Kindern aus fünf Ländern an Orte führen lassen, an denen es Geräusche gibt, hat diese aufgenommen und aus den O-Tönen eine Klanginstallation komponiert, die die Atmosphäre der Orte einfängt.

Die Ausstellung soll innerhalb Deutschlands in verschiedenen Städten gezeigt werden, in Schulen, in Rathäusern oder in Jugendbibliotheken. Auch international soll mit Kooperationspartnern zusammengearbeitet werden, wie den Botschaften oder den UN-Organisationen. Vor allem aber soll die Ausstellung in den 45 Ländern gezeigt werden, aus denen die Fotos stammen.

Die Kinder, die selbst fotografiert haben, sollen auch die Bilder von den anderen Kindern sehen, damit dadurch das Neugierigwerden auf andere Kulturen und Länder angestoßen wird. Auf einer interaktive Internetseite ist bereits jetzt möglich, sich über sich selbst und die Bilder auszutauschen und die Fotos als elektronische Postkarten zu verschicken. Allen beteiligten Kindern soll der Internetzugang über die GTZ-Büros in den jeweiligen Ländern ermöglicht werden. Dadurch ergibt sich für viele Kindern die Möglichkeit, mit dem Medium des Internets vertraut zu werden.

Die Kinder inszenieren ihre Bilder nicht. Sie zeigen ein Stück Normalität, die eine Brücke schlagen soll zwischen den Kindern und den Kulturen.