Die traurigen Geschäftemacher

Dienstagabend wollte einer ein Angebot für ein Bad. Ein Schwimmbad! Jetzt! Heide schüttelt den Kopf.

aus Dresden BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ
CASANOVA
und ANDREAS SCHOELZEL (Fotos)

Zwölf Uhr mittags bricht in der Drogerie Panik aus. Die beiden Verkäuferinnen haben rote Flecken im Gesicht. „Ich komme mir vor wie im Krieg“, sagt eine, während sie hektisch den Scanner über die Einkäufe zieht. „Dieses Gefühl, etwas Schreckliches passiert und man kann nicht weg.“ Kunden kommen herein und erzählen von gebrochenen Dämmen. Sie decken sich in der letzten Minute mit dem Nötigsten ein. Kerzen, Batterien, Kaffee, Wasser, Zigaretten. „So geht das schon den ganzen Morgen“, keucht eine der Verkäuferinnen. Wenige Minuten später macht sie dicht. „Der Malter Damm ist gebrochen!“, ruft sie immer wieder, während ihre Kollegin an der Tür steht und niemanden mehr reinlässt. „Jetzt geht es nur noch darum, sich in Sicherheit zu bringen.“ Wenige Minuten später hängt ein Schild an der Tür: „Wegen technischer Störungen vorübergehend geschlossen“.

Fast alle Geschäfte haben schon zugemacht in Friedrichstadt, dem am stärksten vom Hochwasser betroffenen Stadtteil Dresdens. Konsum und Aldi sind Anfang der Woche abgesoffen und Geschäfte, die Blumen, Reisen ans Meer und andere unwichtige Sachen verkaufen, bleiben geschlossen. Der Stadtteil westlich des Stadtzentrums gleicht einer Geisterstadtkulisse. In den Straßen, die nicht unter Wasser stehen, sind Krater und aufgerissenes Straßenpflaster zu sehen. Autos stehen im Wasser. Aus fast jedem zweiten Haus kriechen lange Schläuche heraus, aus denen braune Brühe sprudelt. Ein Teil des Stadtteils ist evakuiert, ebenso das Krankenhaus. Vor dem verschlossenen Amtsgericht steht ratlos ein Mann, der wegen einer Mietsache aus Westdeutschland angereist ist. Die Stille wird in regelmäßigen Abständen vom Martinshörnern oder Hubschrauberlärm durchbrochen.

Wenige Meter neben der Drogerie liegt die Fleischerei Kroker. Die Tür steht weit offen, die Kunden stehen bis auf den Gehweg hinaus. Der kräftige Fleischermeister Kroker sieht nicht so aus, als ob er seinen Laden so schnell zumachen würde. Warum auch. Strom ist da, Wurst ist da und Fleisch auch. Der Fußboden ist trocken. „Die Leute müssen doch was zu essen haben“, sagt Heike Hundeck, die hinter der Theke bedient. „Solange wir hier nicht absaufen, lassen wir offen.“ Außerdem, sagt sie, könne sie sich nicht vorstellen, dass wirklich eine Riesenwelle kommt. Bis zum Dienstag hat die 39-Jährige im nahe gelegenen Krankenhaus im Labor gearbeitet. Dann wurde die Klinik evakuiert. Sie tauschte ihren Laborkittel gegen einen Fleischerkittel. Weil die Frau vom Chef schließlich ihre Freundin ist und im Moment alle Hände voll zu tun hat.

Geduldig warten die Kunden, bis sie an der Reihe sind. Alle reden über das Wasser, den fehlenden Strom und die Dämme. Die Stimmung ist ruhig. Einige kommen, um einen Kaffee zu trinken, andere, um ihr Handy aufzuladen – die vier Steckdosen neben der Tür sind fast immer belegt –, und wieder andere, um sich mit Kartoffelsalat, Kassler oder Nudelsalat einzudecken. Fleisch hat die Fleischerei weniger im Angebot. „Wir haben kaum Fleisch eingekauft, weil viele ja keinen Strom haben“, erklärt der 40-jährige Frank Kroker mit hochrotem Kopf. „Da geht bei Wurst alles“, sagt er erfreut. Blutwurst, Leberwurst, Sülzwurst, Rohpolnische, Knacker. „Und wenn die Kunden zufrieden sind“, fügt er hinzu, „ist das noch mal eine Motivation.“ Er spricht vom Glück, ein Stück weiter oben zu liegen, und vom Glück, verkaufen zu können.

Viel Gedanken um die traurigen Folgen des Hochwassers macht er sich nicht. Zum einen, weil er kaum zum Luftholen kommt. Und zum anderen, weil er zu Hause zwar Strom hat, aber die Fernsehantenne nicht funktioniert und er die Bilder von Menschen auf ihren Dächern und von dramatischen Rettungsaktionen nicht sehen kann. Für ihn zählt das Geschäft. Am frühen Nachmittag weiß er, dass am Abend alles verkauft sein wird. Dann will er zum Großmarkt fahren und für den nächsten Tag einkaufen. Ganz unvermittelt betont der Fleischermeister, dass der Spirelli-Gulasch „immer noch“ 3 Euro 20 kostet. „Das wollte ich nur gesagt haben.“

Im Nordwesten der Stadt, im höher gelegenen Gohlis, sind kaum Straßen gesperrt. Obwohl die Menschen dort größtenteils auf dem Trockenen sitzen, spüren sie die Auswirkungen der Flut. Zumindest Ulrich Melzig spürt sie. Der 51-Jährige sieht übernächtigt aus, er verkauft Schläuche. Sein Geschäft läuft gut. Die gängigen Längen von 20 Meter waren schnell weg. Melzig hat lange Schläuche gekürzt und Schellen drangesetzt. Am Montag hat er in Holland zwei Paletten mit Abpumpschläuchen bestellt. Ob die bestellte Ware wie geplant eintrifft, ist unklar. Der Ingenieur für Informationsverarbeitung kann nur spekulieren, welche Autobahnen befahrbar sind. Melzig erzählt, wie eine seiner Angestellten dem holländischen Lieferanten scherzhaft riet, mit dem Schlauchboot zu liefern: „Schläuche im Schlauchboot, das fand der total komisch.“ Der Geschäftsmann schmunzelt, richtig lachen kann er nicht. „Wenn dem Gärtner 18.000 Pflanzen abgesoffen sind, geht einem das schon nahe.“

Das große Geschäft macht Melzig trotz der vielen überfluteten Keller nicht. Seit Montag, so schätzt er, hat er etwa 70 Schläuche für Tauchpumpen, die für 30 bis 40 Euro zu haben sind, verkauft. „Mit Wasserschläuchen kann man sich nicht dumm und dämlich verdienen“, sagt er. Andererseits, so ist er sich sicher, wird es, „wenn alles vorbei ist“, noch einmal eine verstärkte Nachfrage geben. „Jetzt fangen ja alle an mit Katastrophenplänen und Vorräten.“ Dass sein Geschäft durch das Hochwasser Auftrieb bekommen hat, findet er „eigentlich traurig“. Er sagt: „Es gibt aufgrund der Situation keinen Grund, sich zu freuen.“ Ihm wäre es lieber, die Bauindustrie funktionierte und er könnte mit den wesentlich teureren Bauschläuchen einen Schnitt machen.

Kroker sieht nicht aus, als ob er so schnell zumacht. Warum auch? Strom ist da. Fleisch ist da. Wurst auch.

Einer der besten Kunden Melzigs ist zurzeit Bill Heide, der wenige Kilometer weiter einen Pumpenservice samt Schwimmbadbau betreibt. Heide hat seine Frau bis zu fünfmal am Tag mit dem Kombi zum Schläuchekaufen geschickt. Bei ihm ist die Freude übers Geschäft mit dem Hochwasser nicht zu übersehen. Leicht übermüdet, aber mit strahlenden Augen sagt der 40-jährige Installateurmeister: „Klar ist das das Geschäft meines Lebens. Alles andere wäre gelogen.“ Am Montag, als alle 40 Mietpumpen weg waren, hat er „angefangen, sich zu drehen“, und jede Menge Bestellungen aufgegeben. Wie viele Pumpen, wie viele Meter Schlauch, Bill Heide hat längst den Überblick verloren. Ununterbrochen klingelt das Telefon, stehen Kunden mit Gummistiefeln und Regenjacke im Laden, die geliehene oder kaputte Pumpen abgeben oder eine neue kaufen wollen, liefern Paketdienste bestellte Ware. Der Mitarbeiter in der Werkstatt kommt kaum mit dem Reparieren kaputter Pumpen nach. Weil der zweite Mitarbeiter ausgerechnet jetzt krank geworden ist, verlängern sich die Reparaturzeiten und Heide muss den einen oder anderen Kunden vertrösten. Dienstagabend rief ihn ein Kunde an, der unbedingt ein Angebot für ein Schwimmbad haben wollten. Ein Schwimmbad in Dresden! Jetzt! Heide schüttelt den Kopf. Er hat das Angebot dann in der Nacht geschrieben.

„Bei uns ist Polen offen“, „Nee, wir haben nichts mehr da“, „Ich habe jetzt keine Zeit, weil ich 120 Leute hier habe“ – diese Sätze wiederholt Bill Heide an diesem Morgen wie eine Maschine. Aber ihm ist anzumerken, dass er gerne viel zu tun hat. Da ist seine Frau Anja zurückhaltender. Die 39-Jährige ist erst seit April im Pumpengeschäft. Sie hat Maßschneiderin gelernte, hat zuletzt in einem Sanitätshaus mit Orthopädietechnik gearbeitet und ist nach langer Überlegung in den Betrieb eingestiegen, „weil es besser ist, wenn die Buchhaltung in der Familie bleibt“. Hochwasserzeit ist keine günstige Zeit, um sich in ein fremdes Metier einzuarbeiten. „Es nervt total, dass ich den meisten Anrufern nur sagen kann, Moment bitte, und den Hörer an meinen Mann weiterreiche“, klagt sie. Statt sich mit Kapazitätswerten oder Gleitringdichtungen vertraut zu machen, hat sie sich notgedrungen auf die Preise beschränkt. „Ja, die kenne ich mittlerweile ganz gut“, sagt sie etwas verlegen. „Was den Leuten passiert, geht mir sehr nahe“, ergänzt sie leise. Tagsüber, wenn sie im Geschäft steht, blende sie die Bilder aus, die sie im Fernsehen gesehen hat. „Aber wenn man abends zu Hause zur Ruhe kommt, wird einem das wieder bewusst.“ Zu Hause war sie am Vorabend zusammen mit ihem Mann im Haus der Schwiegereltern. Anja und Bill Heide konnten nicht in ihre Wohnung in der Innenstadt. Die Straßen waren gesperrt. Doch sie wissen über die 17-jährige Tochter, die zu Hause geblieben ist, dass alles in Ordnung ist.

„Komisch“ nennt ihr Mann das Gefühl, vom Hochwasser zu profitieren. Aber das liege ja in der Natur der Sache. „Wo Wasser ist, braucht man Pumpen.“ Er betont jedoch, fair zu bleiben. „Draufschlagen tue ich nichts.“ Er räumt sogar Rabatte ein. Kostet eine Pumpe 348 Euro, gibt er sie schon mal für 20 Euro weniger weg. Oder statt zwölf Meter Schlauch berechnet er nur zehn. Das tut ihm nicht weh.

Bill Heide hat in den letzten Tagen viel an seinen Vater gedacht. Der hat das Pumpengeschäft vor über 40 Jahren gegründet und sitzt zurzeit in Tschechien auf dem Rückweg von einer Urlaubsreise fest. „Mein Vater wird bedauern, nicht hier zu sein.“