Nicht mehr ohne mein Internet

Die deutschen Parteien haben von den Wahlkampfstrategen der USA gelernt: Spezielle Websites sollen spezielle Wählergruppen erreichen. Online werden die Parolen der Gegner entzaubert – und es darf gespendet werden

von FIETE STEGERS

Online ist der Wahlkampf 2002 professionell geworden. „Die im Bundestag vertretenen Parteien nutzen das Internet weitaus besser als 1998“, beobachtet Gerd Strohmeier, Politikwissenschaftler der Uni Passau. „Damals war das Internet nur eine Spielwiese, um sich als modern zu präsentieren. Inzwischen müssen Parteien deutlich mehr leisten, um ernst genommen zu werden.“

An Design, Umfang und Aktualität haben sie alle zugelegt und sich an den Auftritten von Onlinemedien und Großunternehmen orientiert. Schließlich surft gut die Hälfte der Wahlberechtigten. „Wir führen eine integrierte Kampagne,“ sagt Stefan Scholz, Leiter des Onlineteams der CDU, und meint damit, dass Netzaktivitäten genau auf den übrigen Wahlkampf abgestimmt sind. Ähnliche Konzepte verfolgen die anderen Parteien: „Der Offlinewahlkampf wird onlinespezifisch aufbereitet“, sagt Michael Scharfschwerdt, Internet-Verantwortlicher der Grünen. Bei der PDS berichtet Angela Marquardt in einem Onlinetagebuch von ihrer Bootspartie im Namen des Sozialismus. Auch das „Guido-Mobil“ rollt im Web, und die SPD hält ihre Tradition hoch: Sie zeigt ein wechselndes „Flugblatt der Woche“.

Am liebsten aber widmen sich die beiden großen Parteien ihrer jeweiligen Konkurrentin: „Negative Campaigning“ und „Rapid Response“ heißt das nach US-Vorbild. Auf „http://wahlfakten.de“ wollen die Christdemokraten Äußerungen des gegnerischen Personals als Propaganda entlarven und zitieren dazu Presseberichte und offizielle Dokumente. Viel haben sie dabei offenbar bisher nicht gefunden: Das Angebot ist noch nicht sehr umfangreich.

Auf der SPD-Site www.nicht-regierungsfaehig.de zeigen dagegen animierte Karikaturen, warum der Kandidat aus Bayern nicht für Berlin geeignet sei, und machen sich über das „Empörungsstadl“ der CDU-Riege im Bundesrat lustig. „Witz und Attacke gehören dazu“, sagt Kajo Wasserhövel, der den Onlinewahlkampf der SPD leitet.

In einem zweiten Bereich werden die CDU-Argumente mit Worten widerlegt . Auch hier ist der Ton lockerer als bei der CDU, die sich auf ihrer Hauptseite nur einen Cartoon-Kanzler gönnt, der das Lied von der roten Laterne singt. Bei der PDS liegen im Flash-Spiel „Wer wird Koalitionär?“ User mit den Fachgebieten DDR und Sozialismus vorn.

Postkarten für Anhänger

Beliebt sind bei allen Parteien elektronische Postkarten: Ein Motiv der Grünen wurde in zehn Tagen rund 7000-mal verschickt, berichtet Michael Scharfschwerdt. Insgesamt ist der Anteil von Multimedia-Entertainment aber gering. Politikwissenschaftler Gerd Strohmeier wundert sich nicht: „Die Websites erreichen ja nicht den Wechselwähler, sondern politisch Interessierte, die schon eine Neigung zur Partei haben.“ Auch Video- und Audioelemente werden nur zurückhaltend angeboten. Das Interesse ist angesichts der Übertragungsgeschwindigkeiten gering, musste Stefan Scholz lernen. Bei live im Netz übertragenen CDU-Parteiveranstaltungen haben nur 400 bis 600 Nutzer zugeschaut.

Amerikanische Profis setzen längst auf speziell zugeschnittene „Channels“ für Zielgruppen. George W. Bush etwa wandte sich eigens an die hispanische Minderheit – die SPD bietet eigene Kanäle für Junge, für Journalisten und für Pominente. Weitere Spezialseiten versprechen Hintergrundinformationen aus der Zentrale der „Kampa“. Die CDU versucht unter www.zeit-fuer-taten.de Eltern oder Arbeitnehmern zu erklären, warum gerade sie Stoiber wählen sollen. Die PDS bietet erste Hilfe für 18-Jährige. Bei der FDP ist die Zielgruppenspezialisierung so weit fortgeschritten, dass man in der Fülle der Unterseiten des Parteiportals leicht den Überblick verliert. Für den WWW-Verantwortlichen Uwe Ewers kein Problem: „Das ist nicht die übliche Nutzungsweise.“ Die meisten suchten keinen Überblick, sondern spezielle Informationen und gingen dabei schnell in die Tiefe.

Spendenmuffel

Wenig Interesse zeigen die Internetsympathisanten aber offenbar daran, die Parteien online mit der Kredikarte zu unterstützen. Obwohl alle Bundestagsparteien die Möglichkeit dazu anbieten, wird sich die Erfolgsgeschichte des letzten US-Wahlkampfs hierzulande kaum wiederholen – Präsidentschaftskandidat John McCain sammelte mehrere Millionen Dollar über seine Website. Nur rund 10.000 Euro haben seit Jahresbeginn die Grünen eingeheimst – sie sammeln schon am längsten. „Meist sind es 50 oder 100 Euro, typische Kreditkartenbeträge“, sagt Michael Scharfschwerdt. Ähnliche Beträge („von 18 bis 180 Euro“) meldet der „Bürgerfonds“ der Liberalen. Rund 1 Prozent von 2,8 Millionen liberalen Wahlspendenkamen über das Netz. Kein Geldregen online auch bei der CDU, was nicht einmal die Parteiführung selbst wundert.

Aber auch das moralische Engagement des Parteivolks bleibt hinter dem amerikanischen Vorbild weit zurück, wo die meisten Aktivisten heute über das Netz gewonnen werden. „In den USA gibt es ja überhaupt keine funktionierende Parteiorganisation“, erklärt sich das der Grüne Scharfschwerdt. Imerhin meldet das „Online Campaigning Team“ der SPD mehr als 600 User, die sich in Netzforen für Schröder stark machen oder Banner auf ihre Homepages setzen wollen. Aber unter den rund 700.000 potenziellen Plakatklebern mit Parteibuch fallen sie kaum auf. Bei den „E-Volunteers“ der CDU haben seit dem 10. Juni spärliche 250 Unterstützer eingetragen.

Insgesamt seien die großen Volksparteien den Kleineren deutlich voraus, resümiert Politikwissenschaftler Gerd Strohmeier: „Die FDP kann noch einigermaßen mithalten, aber die PDS und Bündnis 90/Die Grünen haben mich enttäuscht.“ Scharfschwerdt sieht eine „Zweiklassengesellschaft“: „Die Großen haben ganz andere Möglichkeiten.“ Dass die relativ geringen Kosten für Internetpräsenzen zu mehr Chancengleichheit führen, hält auch Strohmeier für „einen der größten Irrglauben.“ Das beweisen vor allem die Internetauftritte der Kleinstparteien. Ob Graue Panther oder DVU – ein Hobbywebdesigner in der Bekanntschaft reicht nicht mehr. Sogar die für ihre Medienkompetenz viel gelobte Pogo-Partei APPD widmet sich lieber lustvoller Selbstzerfleischung als ihrer Website. Auch die „Mitfickzentrale“ ist abgeschaltet.

fiete@stegers.de