Immer mehr Teilzeitarbeit

von TON VEERKAMP

Die niederländische Arbeitsmarktpolitik ist seit 1982 neoliberal und so kompromisslos, wie sie sich nannte: „No-nonsense“. Das hieß: Die realen Löhne sanken, denn die Lohnsteigerungenlagen oft unter dem Inflationsausgleich. Ab 1994 setzte die Regierung von Wim Kok dann auch auf eine aktive Arbeitsmarktpolitik: Bei Arbeitslosen wurden die Sozialabgaben und der Lohn subventioniert; gleichzeitig wurde dereguliert. So gab es bei neuen Arbeitsverträgen keinen Kündigungsschutz mehr; Nacht- und Wochenendarbeit stiegen.

Offiziell sieht die niederländische Arbeitslosenzahl gut aus, und das „Poldermodell“ galt im Ausland lange als Vorbild. Doch die Zahlen sind geschönt. Denn die Arbeitslosen wurden massenhaft als arbeitsunfähig deklariert oder in die Frührente geschickt. So bezogen 1973 7,7 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ein so genanntes Sozialeinkommen, 1985 waren es 15,4 Prozent, 1994 dann 16,6 Prozent – und jetzt sind es immer noch 14,3 Prozent. Knapp eine Million der Niederländer gilt als arbeitsunfähig, was nur zeigt: Die Niederlande betreiben keine bessere Arbeitsmarktpolitik als Deutschland – aber sie haben eine geschicktere Statistik.

Das gilt auch für das „Jobwunder“. Zwischen 1994 und 2001 nahm die Zahl der Arbeitsplätze von 5.400.000 auf 7.356.000 zu, gleichzeitig stieg die Bevölkerungszahl von 14,5 Millionen auf 16 Millionen. Die offizielle Arbeitslosigkeit verschwand; in einigen Branchen herrschte Arbeitskräftemangel; das Wirtschafswachstum lag einige Jahre über dem europäischen Durchschnitt.

Aber erstens war das Wunder kein Wunder und zweitens war der soziale Preis hoch. Die niederländischen Daten berücksichtigen bereits Arbeitsplätze von nur 12 Stunden pro Woche. Und so erklärt sich das „Jobwunder“ dadurch, dass seit 1995 vor allem die Teilzeitarbeit zugenommen hat. Dabei gilt die Faustregel: Je geringer der Lohn und die Zahl der Wochenstunden, umso mehr Frauen sind beschäftigt. Das durchschnittliche Arbeitslohn der Männer betrug 25,51 Gulden im Jahr 1994, die Frauen verdienten nur 19,82 Gulden brutto. Gleichzeitig hatten 85,7 Prozent der beschäftigten Männer, aber nur 37,7 Prozent der Frauen einen Vollzeitjob. Die „männliche“ Arbeitswoche hat daher 36,6 Stunden, die „weibliche“ nur 26,5 Stunden. Konsequenz: Zwei Drittel aller Frauen können keine nennenswerte Pensionsberechtigung aufbauen.

Was hat das Poldermodell gebracht? Für gering Qualifizierte sieht es nur einen bescheidenen Lebensstandard und später Altersarmut vor. Frauen sind den Männern weder auf dem Arbeitsmarkt noch im Rentenalter gleichgestellt. Zugenommen haben sicherlich die gut bezahlten Arbeitsplätze vor allem im IT- und Finanzsektor, aber vor allem gibt es jetzt mehr schlecht entlohnte Jobs sowie Zeit- und Leiharbeit. Das Poldermodell hat nicht erreicht, wofür es eigentlich stand: „gesellschaftliche Integration“.

Zudem ließen sich die Arbeitsmarktprogramme nur durch eine rabiate Privatisierung des öffentlichen Sektors finanzieren – und weil das weltwirtschaftliche Klima günstig war. Die Bahn wurde privatisiert und der staatliche Zuschuss heruntergefahren. Krankenhäuser müssen nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten arbeiten, was vor allem eine Reduzierung des Personals bedeutet. Auch die Schulen sollen sich als Dienstleistungsunternehmen mit dem Produkt Bildung begreifen. Das klingt gut, doch dahinter verbarg sich ein Sparprogramm.

Inzwischen zeigen sich die unangenehmen Folgen der Privatisierungen: Züge kommen kaum noch pünktlich; viele fallen aus oder sind überfüllt. Die Arbeitszeiten in den Krankenhäusern sind so belastend, dass das Pflegepersonal ständig wechselt; zudem werden die Wartelisten für Operationen immer länger. In den Schulen gibt es zu wenig Lehrer; es fehlen die Förderkurse für Migrantenkinder.

Besorgt nehmen die Niederländer wahr, dass die Gewaltkriminalität bei Jugendlichen sprunghaft zunimmt und traditionelle Wohnviertel verludern. Hinzu kommt, dass die offenen Stellen wieder abnehmen und die Arbeitslosigkeit steigt – all dies zeigt das Ende eines „Wunders“ an.