Rauchzeichen aus Karlsruhe

Bundesverfassungsgericht: Gelegentliches Kiffen kein Grund zum Führerscheinentzug. Und überhaupt: Alkohol ist schlimmere Droge als Cannabis, urteilt das oberste Gericht

BERLIN taz ■ Endlich: Karlsruhe macht Schluss mit dem Verfolgungswahn. Das Bundesverfassungsgericht hat gestern in seinem Haschischurteil die gängige Praxis, Cannabisrauchern ohne Grund den Führerschein zu entziehen, für verfassungswidrig erklärt. Das Urteil bedeutet ein Stück Normalisierung im Umgang mit Drogen und eine Rückkehr zu halbwegs rechtsstaatlichen Verhältnissen.

Gelegentliches Rauchen von Marihuana und Haschisch außerhalb des Verkehrs darf nach dem gestrigen Urteil kein Grund mehr sein, einen Führerscheinbesitzer zu Drogentests vorzuladen und ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen. Immer wieder waren Polizei und Führerscheinbehörden gegen Cannabisraucher vorgegangen, die in Parks oder Gaststätten mit ein paar Krümeln oder einem Joint erwischt worden waren. Sie wurden vorgeladen und mussten wiederholt zur Urin- und Blutuntersuchung. Bei positivem Ergebnis wurde der Führerschein kassiert. Lebenslänglich.

Nicht wenige Beobachter hatten diese drakonische Praxis, die viele Existenzen ruinierte, als Strafaktion durch die Hintertür kritisiert. Schon im 1994er-Urteil von Karlsruhe waren die Strafverfolger angehalten worden, kleine Mengen Haschischbesitz zu tolerieren und auf Strafverfolgung zu verzichten. Doch wenn man Cannabisraucher wegen des alten Karlsruher Urteils schon nicht ins Gefängnis werfen konnte, dann sollten sie wenigstens ihren Führerschein abgeben. Und sie sollten zahlen. Der Urintest kostet 80 Euro. Nach drei oder vier Tests ist der Betroffene inklusive Verwaltungsgebühr schnell 250 bis 350 Euro los.

Jetzt sagen die Karlsruher Richter überraschend klar, es gebe keinen Anlass zu der Befürchtung, dass einmaliger oder gelegentlicher Haschischkonsum zur Fahruntüchtigkeit führe. Wenn jemand – ohne sich ans Steuer zu setzen – gelegentlich Cannabis konsumiere, sei das noch kein hinreichender Tatverdacht, der die Überprüfung der Fahrtauglichkeit durch Testverfahren rechtfertige. Hier müsse schon ein konkreter Verdacht vorliegen, wie etwa Jointreste im Aschenbecher des Autos. Tröstlich ist auch, dass das Bundesverfassungsgericht die Risiken neu bewertet. Im Vergleich mit anderen Drogen sei „der Alkohol die weitaus gefährlichste Substanz“ für den Straßenverkehr, so der Richterspruch.

Keinen Zweifel ließ Karlsruhe allerdings daran, dass bei einem akuten Haschischrausch und während einer mehrstündigen Abklingphase von einer absoluten Fahruntüchtigkeit auszugehen sei. Wer ein oder zwei Joints rauche und zwei Stunden warte, sei ähnlich benebelt wie ein Alkoholkonsument mit 0,5 bis 0,8 Promille im Blut.

Das Karlsruher Urteil ist auch ein Sieg für den Lübecker Richter Wolfgang Neskovic, der schon Anfang der 90er-Jahre die deutsche Rechtspraxis im Umgang mit Cannabisrauchern in seinen Urteilen als verfasungswidrig gebrandmarkt hatte. Neskovic jubelte gestern. Seine Stellungnahme: „Dem erschreckenden Verfolgungseifer deutscher Straßenverkehrsbehörden und Verwaltungsgerichte hat das Bundesverfassungsgericht endlich ein beachtenswertes Stoppsignal gesetzt. Die bisherige Praxis war in vielen Fällen verfassungswidrig. Es ist bedauerlich, dass die Verwaltungsgerichte häufig mit abenteuerlichen und abwegigen Rechtskonstruktionen unsere Verfassung verletzt haben.“

MANFRED KRIENER

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