Mit Gummi?

In Weißrussland, Russland und der Ukraine nimmt man mit staatlichen Programmen den Kampf gegen Aids auf

BERLIN taz ■ Die Handtasche lässig über der Schulter, haben sich sechs Frauen im Zentrum der weißrussischen Hauptstadt Minsk unweit eines Hotels postiert. Sie warten. Doch statt eines Kunden erscheint Lydia Ivanova*. Nach einem kurzen Gespräch tut die Mitarbeiterin der Belarussian Association of Unesco Clubs das, was sie regelmäßig zwischen 24 und 2 Uhr an verschiedenen Plätzen in Minsk tut. Aus ihrer Tasche zieht sie einen Plastikbeutel mit Kondomen und Broschüren und verteilt sie. Nebst einem Fragebogen: Wie oft Geschlechtsverkehr? Manchmal oder ständig? Mit wechselnden Partnern? Mit Gummi oder ohne? Kichernd macht Ivanovas Klientel ihre Kreuze.

Was so locker aussieht, hat einen ernsten Hintergrund: Mit ihren Stippvisiten versucht die Organisation der sich rasant ausbreitenden Infizierung mit dem Aidsvirus im Prostituiertenmilieu gegenzusteuern. Die Zahlen sprechen für sich: Laut Belorusskaja Delovaja Gazeta vom März waren zu diesem Zeitpunkt in Weißrussland 4.213 mit dem HI-Virus infizierte Personen registriert, davon 76,7 Prozent im Alter zwischen 15 und 29 Jahren. Nach einer ersten Welle von Neuansteckungen bei Drogenkonsumenten häufen sich die Fälle sexuell übertragener HIV-Infektionen.

Für Russland und die Ukraine sehen die Statistiken nicht ermutigender aus. Während sich in Russland seit 1998 die Zahl von HIV-Infizierten auf 173.000 zum Ende des Jahres 2001 verdoppelt hat (Schätzungen liegen um ein Vielfaches höher), liegt die Zahl in der bevölkerungmäßig rund dreimal kleineren Ukraine bei 250.000 – die höchste Rate in der gesamten Region.

Die Verantwortlichen sind alarmiert. So hat die weißrussische Regierung unter der Leitung eines interministeriellen Komitees eine landesweite Kampagne gestartet – mit ersten Erfolgen. In Swetlogorsk, von einheimischen Medien als „Hauptstadt von Aids und Drogenkonsum“ bezeichnet, konnte mit einem Präventionsprogramm für Drogenabhängige die Zahl derer, die Spritzen untereinander tauschen, von 92 auf 35 Prozent gesenkt werden. Der ukrainische Präsident Leonid Kutschma unterzeichnete am 1. November 2000 ein Dekret über die Einrichtung einer Regierungskommission, die ein Programm zum Kampf gegen Aids bis 2003 ausarbeiten soll. Derzeit läuft ein Dreistufenprogramm der Gesundheitsbehörden, in dessen Mittelpunkt Maßnahmen zur Bekämpfung der Krankheit sowie zur Prävention stehen.

Auch die Betroffenen selbst sind aktiv. Seit Frühjahr 2001 existiert das „Ukrainische Netzwerk der Menschen mit HIV und Aids“, das sich besonders Erfahrungen aus dem Ausland zunutze machen will. BARBARA OERTEL

* Name geändert