Sklaverei im Scherenschnitt

Lässt sich ironisch mit dem Repertoire rassistischer Stereotype in der US-amerikanischen Kultur umgehen? Kara Walker, zurzeit mit einer Werkschau in Berlin, missachtet das Gebot der Scham

Sie negiert die alten Bilder nicht, sondern transferiert sieins Mythische

von KARSTEN KREDEL

Im vergangenen Jahr stellte Spike Lees Film „Bamboozled“ anhand der Versuchsanordnung einer „New Millennium Minstrel Show“ die Frage nach der Möglichkeit, ironisch mit dem Archiv rassistischer Bilder in der amerikanischen Kultur umzugehen, und verneinte sie: Sie bedeuten nach wie vor dasselbe und wirken auf dieselbe Weise. Jede Form von blackfacing bringe zwingend eine Affirmation abwertender Urteile hervor, weil Amerikas Gegenwart die Zukunft seiner Sklaven haltenden Vergangenheit ist. Wenn es um race geht, so könnte man das Fazit des Films ziehen, gibt es kein Außerhalb von Repräsentation, und die ist entweder positiv oder negativ.

Muss man auch den Arbeiten der 32 Jahre alten afroamerikanischen Künstlerin Kara Walker, die zurzeit in Berlin ausstellt, die Bürde der Repräsentation auferlegen? Die Frage stellt sich – zum einen, weil Walker die Bilder der coons, pickaninnies und nigger wenches aufgreift, die in den historischen Minstrel-Shows paradigmatisch gezeichnet wurden, zum anderen, weil ihr bevorzugtes Medium der großformatige Scherenschnitt ist: zumeist schwarze Flächen mit präzise konturierten, emblematischen Umrissen. Die Figuren sind scheinbar eindeutig identifizierbar; die stereotypen Silhouetten sagen deutlich „schwarz“ oder „weiß“ und rufen dabei rassistisches Wissen ab. Die Schwarzen werden aus diesen Bildern nicht befreit, stattdessen werden die Weißen mit aufgenommen in die groteske Welt der Figuren. Bei alldem sind Walkers Bilder sehr attraktiv – und sehr ironisch.

Ungerahmt auf die Wand aufgebracht, vollziehen sich erotisch aufgeladene und mythisch erweiterte historische Szenen; die Realitäten der slave narratives, der autobiografischen Schriften ehemaliger Sklaven, treffen auf rassische Fantasien. Sklavenhalter und Sklaven, afroamerikanische Tricksterfiguren und Charaktere westlicher Mythologie sind als Akteure in Ausschweifungen von Sex und Gewalt vereint. Dass Kara Walker ihre „schwarzen“ Figuren mit Handlungsspielraum und sogar Lust ausstattet, dabei aber die klassifizierende, stereotype Bildsprache beibehält, hat seit ihren ersten Ausstellungen zu Beginn der Neunzigerjahre eine andauernde Kontroverse in der afroamerikanischen Öffentlichkeit zur Folge gehabt: Viele meinen, sie diffamiere und verspotte das Andenken der Sklaven und wiederhole rassistische Projektionen, statt sie zu kritisieren. Die liberale Kritik dagegen reagiert meist positiv, was Walker wiederum den Vorwurf eintrug, ein Liebling des – weißen – Kunstestablishments zu sein.

Walker, da sind sich Bewunderer und Kritiker einig, missachte das Gebot der Scham – angesichts von Opfern, herabwürdigenden Stereotypen, sexuellen Handlungen, Fäkalien. Für die einen ist das ein befreiender Akt, für die anderen negative Repräsentation. Schamlosigkeit kann jedoch Scham erzeugen. Eine Kritikerin wies darauf hin, dass Walkers Silhouetten den Fetischcharakter der weißen und männlichen Bilder von der schwarzen Frau verdeutlichten: „Realistische“ Individualität wird durch Umrisse substituiert. Der Fetisch erlaubt es dem Rassisten, frei von inneren Konflikten seine Ängste und Begierden zu verwalten. Diese Beziehung wird durch die Unerhörtheit von Walkers Szenarien gestört; der Betrachter findet keine Ruhe, sondern wird seinen widersprüchlichen Wünschen ausgesetzt. Ein unbetiteltes früheres Bild zeigt einen – so legt es die Silhouette nahe – weißen Mann; nach einigen Sekunden dann erkennt man in den Linien seines Hinterkopfes und Rückens eine nackte „Negerin“ mit überdimensionierten Lippen. Walker weist diese Rolle nicht von sich, sondern nimmt sie – probend, nicht konstatierend – an: „ein wenig Sklavin sein“, um als jene, die zugleich begehrt und gefürchtet wird, den taxierenden Blick zu erwidern und eine Beziehung gegenseitiger Abhängigkeit zu entwerfen. Sie offeriert Fetische zum unkomfortablen Gebrauch; dazu erotisiert sie genau jene Bilder, die ihre Kritiker loswerden wollen.

Indem sie den Bereich der Fantasie nicht weißen Männern überlässt, weist sie die Verantwortung der Repräsentation von sich, die besonders für schwarze Künstler älterer Generationen entscheidend ist. Kara Walker ist keine race woman. Sie kam als Kind aus dem multikulturellen Kalifornien in den amerikanischen Süden und lernte die rassistischen Leitbilder bereits als Fiktionen kennen – um dann von ihrer Wirkungsmacht überrascht zu werden, als sie merkte, dass sie ihnen unbewusst entsprach. Dennoch beschreibt sie ihren Zugang zur black experience als extrem vermittelt: „Ich musste meine eigenen rassistischen Situationen erfinden, damit ich herausfinden konnte, wie schwarze Menschen in der Vergangenheit mit ihnen umgingen.“ In dieser nicht authentischen Erfahrungswelt haben slave narrative, folktales und Minstrel-Songs denselben Status als Quelle – verweisend auf, aber zugleich entkoppelt von afroamerikanischen Traditionen respektive rassistischer Macht.

Walker sammelt negrophobe Memorabilia ein und kreiert eine Minstrel-Show höherer Ordnung. Sie negiert die alten Bilder nicht, sondern transzendiert sie ins Mythische; sie macht sich ihren emblematischen Charakter zunutze, frustriert aber den Drang zur abschließenden Interpretationen. Sklaverei erscheint bei ihr nicht als harmlose und natürliche Sache, wohl aber als Historiengroteske, die schwarze und weiße Stereotype bevölkern. Der Kulturwissenschaftler Eric Lott hat in seinem Buch „Love and Theft“ gegen die reduktive Deutung der Minstrel-Shows als widerspruchsfreien Ausdruck weißer Macht den transgressorischen Aspekt des blackfacing betont: Im Augenblick der rassischen Demarkierung wird die Trennungslinie bereits überschritten. Die Minstrel-Shows entwarfen eine „affektive Ordnung der Dinge“, und diese sei durchaus ambivalent gewesen, gezeichnet von Aversion, aber auch von Begehren. Während durch Scham ein Verbot – die Unaussprechlichkeit – und zugleich die Forderung nach positiven Bildern formuliert wird, wie sie Walkers Kritiker stellen und wie sie sich auch aus Lees Film ergibt, untersuchen Walkers beschämende Bilder die Intimität der rassistischen Beziehung. „Ich hatte immer das Gefühl, dass wir in diesem Land eigentlich eine Liebesgeschichte erleben“, sagte sie in einem Interview.

Der Scherenschnitt, scheinbar ungeeignet für komplexe Aussagen, erweist sich auf den zweiten Blick als ideal für ihre Zwecke. Er stimmt auf ein historisches Thema ein, und die ihm eigene sentimentale Antiquiertheit lädt zum Spiel mit den Bedeutungen geradezu ein; Walker kann – darin ähnelt ihr Ansatz der „Postsoul“-Literatur von Autoren wie Paul Beatty oder Darius James – die Stereotype animieren und einen erhellenden Tanz aufführen lassen. Angstbesetzt und nostalgisch, muss der Scherenschnitt so sehr überzeichnen, dass er seine Karikatur gleich mitliefert. Seine scharfen Silhouetten und leeren Flächen sind ebenso reduktiv wie suggestiv.

Kara Walkers Bilder schaffen eine Minstrel-Show höherer Ordnung

„The Emancipation Approximation“, eine Siebdruckserie jüngeren Datums, die den Kern der Ausstellung bildet, ragt weit in Mythologien hinein und erscheint daher enigmatischer und subtiler als frühere Bilder Walkers. Doch Ambivalenz und offene Enden sind in den Trickstergeschichten, die Walker verarbeitet, schon angelegt. Sie lässt die Figur des verschlagenen B’rer Rabbit auftreten: einer, der sich nicht fassen lässt – nicht von B’rer Fox, seinem Widersacher, nicht von endgültigen Interpretationen. Und: ein Sympathieträger zwar, aber alles anderes als ein Held. Von Selbstsucht getrieben, steht er eher außerhalb der Gemeinschaft, als dass er zum positiven Rollenmodell taugte.

Figuren wirbeln durch die Luft, ein „weißer“ Mann mit Gewehr schaut zum Himmel auf – die Szene erinnert an eine Geschichte aus dem Repertoire afroamerikanischer folktales, in der davon erzählt wird, dass die Sklaven eine lang vergessene Fähigkeit wiederentdeckten: Sie können fliegen und so ihrer Gefangenschaft entrinnen. Der Erzähler selbst kennt das Geheimnis nicht, weiß aber von einem alten Mann, der dabei war, als es passierte: „Er ist ein alter, alter Mann, und er erinnert sich an eine Menge seltsamer Dinge.“

In Kara Walkers Bildern wiederholt sich die Gleichzeitigkeit von tiefer Ernsthaftigkeit und einem Humor, der Unbestimmtheit erzeugt. Am Ende liegen bei ihr abgeschlagene schwarze Köpfe auf dem Boden. Doch die Person, die in Gedanken versunken über der Szene steht, ist eine schwarze Frau. Man erinnert sich daran, dass der Name der Serie das Wort „Erklärung“ – die „Emancipation Proclamation“ von 1862 beendete offiziell die Sklaverei in den USA – durch „Approximation“ („Annäherung“) ersetzt.

„Kara Walker – Sammlung Deutsche Bank“, Deutsche Guggenheim Berlin, bis 7. Juli, Katalog 20 €