Heißer Tanz der Gespenster

Mit einem verdienten 1:0 über Bayer Leverkusen besiegt der 1. FC Nürnberg sein Freiburg-Trauma und rettet sich vor dem Abstieg. In Leverkusen lebt der Geist von Unterhaching mehr als je zuvor

Toppmöllers Krawatte hat ausgedient, und der Sack ist noch immer offen

aus Nürnberg BERND SIEGLER

Zu was wurde die Partie des Abstiegskandidaten 1. FC Nürnberg gegen den Titelfavoriten Bayer 04 Leverkusen nicht alles hochgespielt? Man hätte glauben können, ein Spiel der Gespenster namens „Unterhaching“ und „Freiburg“ stände im ausverkauften Frankenstadion an. 1994 und 1999 hatte der Club im Abstiegskampf fast schon das rettende Ufer erreicht, um dann jeweils doch noch an Freiburg zu scheitern. Die Bayer-Truppe wiederum hatte 2000 durch ein 0:2 bei der SpVgg Unterhaching völlig fahrlässig die schon sicher geglaubte Meisterschaft vergeigt.

Mit einem „heißen Tanz in Nürnberg“ wollte Leverkusens Manager Reiner Calmund diesen bösen Geist bannen. Trainer Klaus Toppmöller bevorzugte eine andere Methode: Er wollte den berühmten „Sack zumachen“ und knöpfte sich als Talisman seine scheußliche, „unbesiegbar machende“ Klavierkrawatte um. Auch Club-Trainer Klaus Augenthaler betätigte sich als Voodoomeister. „Nürnberg ist nicht Manchester, das kann von Vorteil sein“, gab er vor dem Anpfiff als Zauberformel aus.

Die offiziellen Gespensterbeschwörungen waren also getätigt, da ließen sich auch die Fans im ausverkauften Frankenstadion nicht lumpen. Die Bayer-Kurve skandierte vor dem Anpfiff in weiser Voraussicht „Wir wollen euch kämpfen sehen“, und die Club-Anhänger setzten – nicht ganz so einfallsreich – auf Unterhaching: „Ihr werdet nie deutscher Meister.“

Bayer begann das Geisterspiel mit der gleichen Mannschaft wie in Old Trafford. Doch Nürnberg, und da behielt Club-Trainer Augenthaler Recht, war eben nicht Manchester, und deshalb kam Bayer zumindest in der ersten Halbzeit nicht recht ins Spiel. Aggressiv gingen die Nürnberger in die Zweikämpfe, Leverkusens Angriffsbemühungen fanden in der Dreierkette mit Marek Nikl, Tomasz Kos und einem glänzenden Anthony Sanneh sowie davor Dieter Frey und Tommy Larsen als Staubsauger ihren Meister. Da der Club mit Claudemir Barreto („Cacau“) und Paulo Rink sowie dem unermüdlichen Jacek Krzynowek zudem mutig nach vorne spielte, waren Zé Roberto und Lucio mehr defensiv eingebunden, als es ihnen lieb war.

Als Bayer durch einen verzogenen Schuss von Berbatow in der 44. Minute seine erste richtige Torchance besaß, führte Nürnberg längst 1:0. In der 23. Minute hatte Nikl, nur halbherzig von Diego Placente angegriffen, einen Freistoß von Krzynowek unhaltbar für Hans-Jörg Butt ins linke Eck geköpft. Zur Pause brachte Toppmöller mit Oliver Neuville für Placente einen weiteren Stürmer. Doch mehr als Chancen im Minutentakt kamen dabei nicht heraus. In der Regel genügt dies Leverkusen für einen Sieg, doch heute nicht. „Wir haben uns das Glück erarbeitet“, begründete Augenthaler hernach, warum dieses Mal der Club nicht nur gut spielte, sondern auch gewann. Hinten arbeitete freilich Keeper Darius Kampa eifrig Fortuna zu. „Der hat uns heute die Tour vermasselt“, betonte der enttäuschte, aber auch enttäuschende Ballack nach dem Schlusspfiff.

Dieser löste Schock und Frust bei Leverkusen und grenzenlosen Jubel bei den Nürnbergern aus. Augenthaler, der zuvor die Welt nicht verstehen wollte, weil Mannschaften wie „Cottbus und Rostock, die Katastrophenfußball spielten, schon gerettet waren“, war hinterher sichtlich zufrieden. Freuen tue er sich jedoch „zu Hause“, betonte der Club-Trainer: in München, wo er tagtäglich hinpendelt. Trotzdem hat er beim Club für seine Person Sicherheit gefunden: „Jeder, der zwei Jahre Nürnberg überstanden hat, übersteht alles.“ Zwar fehlt dem 1. FCN noch ein Hauptsponsor, um nicht Ärger mit der Lizenzabteilung des DFB zu bekommen, aber man ist jetzt schon heilfroh, dass der Abstiegskampf der nächsten Saison auf jeden Fall ohne Freiburg und das gleichnamige Gespenst ausgetragen wird.

Und Leverkusen? „Wir sind die Verlierer des Tages“, resümierte Toppmöller mit versteinerter Miene. Calmunds „Das tut sehr, sehr weh, aber wir stehen wieder auf“ klang ganz nach neuen Beschwörungsformeln. Bloß welche, wenn die Krawatte – Gott sei Dank – ausgedient hat, der Sack noch immer offen und „Unterhaching“ munterer ist als je zuvor?

Calmund probierte es mit einem Mix aus Gesellschaftskritik und Emotion: „Ich weiß, dass in unserer Gesellschaft nur Titel zählen und sonst nichts, aber unsere Mannschaft hat sich in diesem Jahr in die Herzen der Fans gespielt.“ Auch Toppmöller hat noch eine Variante parat: „Vielleicht gibt es irgendwo doch noch eine Gerechtigkeit.“

1. FC Nürnberg: Kampa - Paßlack (56. Müller), Nikl, Sanneh, Kos (75. Stehle) - Frey - Jarolim, Larsen, Krzynowek - Cacau, Rink (70. Junior)Leverkusen: Butt - Zivkovic, Lucio, Nowotny, Placente (46. Neuville) - Schneider, Ramelow (61. Sebescen), Ballack, Zé Roberto - Bastürk - BerbatowZuschauer: 44.416; Tor: 1:0 Nikl (23.)