Wilder schauen

Die Genres hat er in Fummel gesteckt, und als Erfinder böser Menschen war er so unschlagbar wie als Beschleuniger der Komödie. Sechs Filmkritiker schreiben über sechs Filme von Billy Wilder

Frau ohne Gewissen (1944)

Als Komödienregisseur finde ich Wilder überschätzt (Ausnahme „Eins, zwei, drei“). Im Vergleich mit Hawks oder Preston Sturges spießige Witze, gemächlich erzählt. Man findet ja auch sonst nicht immer das gut, was Karasek gut findet. Als Erfinder böser Menschen dagegen ist Wilder unschlagbar: vom „Reporter des Satans“ bis zum „Boulevard der Dämmerung“, und am besten gefällt mir, nicht nur wegen ihres Namens, Phyllis Dietrichson, die Hauptfigur von „Double Indemnity“ (nach James M. Cain, Buch: Raymond Chandler).

Diese „Frau ohne Gewissen“, so der Titel der deutschen Erstaufführung, wird von der brillanten und bildschönen lesbischen Intellektuellen Barbara Stanwyck dargestellt, und sie stiftet einen tumben, von dem McCarthy-treuen und später Reagan unterstützenden Fred MacMurray gegebenen Versicherungsdetektiv zum Mord an ihrem lebensversicherten Gatten an. Jeder kennt die Szene, wo sich die beiden Verschwörer zwischen den Regalreihen eines Supermarkts treffen: bös beschädigte Charaktere zwischen Wällen der Warenform, verzweifelt hinter Sonnebrillengläsern – oft in Apus Shop von den Simpsons zitiert. MacMurray ist die lächerlichste und gleichzeitig bemitleidenswerteste Schwundstufe eines allwissenden Detektivs. Diese Leute, das weiß man seit diesem Film, wissen nichts. Niemand weiß was. Außer Edward G. Robinson als MacMurrays unamerikanisch wirkender Vorgesetzter. Dessen detektivische Intuition, die den Fall aufrollt, sitzt aber nicht als Souverän in seinem Kopf, sondern funkt als schizoid abgespaltener Teil seines Bewusstseins („mein kleiner Mann“) aus anderen Organen an die Zentrale.

DIEDRICH DIEDERICHSEN

Zeugin der Anklage (1957)

Ich sah den Film im Jahr nach seiner Entstehung, 1958, wir schrieben gerade für den zweiten Jahrgang der Zeitschrift Filmkritik, und wir fanden Wilders Film reichlich daneben, ziemlich unerlaubt und daher wieder attraktiv um die Ecke herum. Immerhin hatten wir die „soziologische Filmkritik“ proklamiert; der Sozialkritiker Wilder („Lost Weekend“, „Sunset Boulevard“, „Reporter des Satans“) war unser Mann, aber nun ein Bühnenstück von Agatha Christie verfilmt, leerer Krimidenksport?! Ein klassisches Kammerspiel im tristen Prozessgericht dazu?!

Aber ich bekam’s dann doch heraus, wie man den Reiz an der Sache entdeckt, die sich nach außen scheinbar geordnet, gesittet und langweilig-vorhersehbar abgeschottet hat. Ich war sowieso beim Krimilesen immer zu faul gewesen, mitzudenken; es gab genug anderes als das „Wer war’s“?. Allerdings war ich schon bei Dashiell Hammett angelangt. Billy Wilder ging in „Zeugin der Anklage“ mit der biederen Agatha Christie dann allerdings spielerisch-ironisch, frivol-liebevoll und wenig respektvoll um. Der Plot wurde zum Fummel, den die Titelfigur, die weich gezeichnete und sonst auch blasse Marlene Dietrich, trägt. Dabei hat sie gar nicht die Hauptrolle, ebenso wenig – so wie es sich doch gehört hätte – der Täter oder gar der Angeklagte. Fokussiert ist der Verteidiger, Charles Laughton, und der ist wiederum im Clinch weniger mit dem Staatsanwalt als mit seiner Betreuerin, der penetrant-neckischen Elsa Lanchester, die die Dietrich glatt in den Hintergrund spielt. Selbst im Gerichtssaal versucht sie noch, ihren Pflegefall von ganzem Herzen medikamentös zu versorgen und ins Bett zu kriegen.

Wilders lockere Extravaganz war auf den zweiten, aber wie immer den entscheidenden Blick Krimitravestie und glamouröses Gefummel mit der Genre-Ordnung. 1958 hatten wir es nicht im Kopf, dass es etwas wie eine emotionale Bereitschaft geben kann, die von Wilders „Zeugin der Anklage“ bedient wird: mit der Ordnung, welcher auch immer, sein eigenes Spiel zu spielen.

DIETRICH KUHLBRODT

Manche mögen‘s heiß (1959)

Wenn es um Geschlechterfragen geht, ist das Verhältnis zur Sexualität bei Alfred Hitchcock und Billy Wilder ähnlich gespannt. Hitchcock führt die physische Verletzbarkeit seiner weiblichen Objekte vor und straft sie ab – oft mit dem Tod; Wilder dagegen überzeichnet ihre körperliche Erscheinung so sehr, dass nur Karikaturen übrig bleiben. Während Janet Leigh in der Duschszene zu „Psycho“ von Anthony Perkins’ Fleischermesser und der Kamera gleichermaßen penetriert und zerhackt wird, tastet Wilder aus ironischer Distanz stets Oberflächen ab.

Eine dieser Oberflächen heißt Marilyn Monroe. In „Some like it hot“ sieht man ihren Hintern wippen, dann fährt die Kamera an den Strumpfnähten herunter bis zu den bei jedem Schritt klackenden Pumps. Doch schon im nächsten Augenblick wird das Staunen über die Perfektion der ebenso geschmeidigen wie mechanisch eingeübten Bewegung von Jack Lemmon im Kalauer aufgelöst: „Like Jell-O on springs“ – wie ein Wackelpudding –, so lautet seine Begutachtung.

Tatsächlich ist Wilders Sicht auf Monroe ein Exempel für jene visual pleasure, die sich nach Laura Mulvey im männlichen Blick über den Erzählzusammenhang einstellt. Der Genuss kommt mit der Geschichte, alles andere wäre purer Voyeurismus und damit wenig filmtauglich. Deshalb muss Monroe als Sugar Kane ihre Trinksucht beichten, muss unentwegt von der Einsamkeit als Waise reden oder von ihren Heiratsplänen. Tony Curtis hört zu und sieht sich derweil satt. Nur in einer Szene ist er ihr wortlos ausgeliefert: an Bord der Jacht, auf dem Sofa, beim Kuss kurz vor dem Sex. Da beschlagen seine Brillengläser.

HARALD FRICKE

Das Apartment (1959/60)

Aus dem Werk von Billy Wilder nur einen Lieblingsfilm auszuwählen ist nicht nur deshalb eine schwierige Angelegenheit, weil es so viele gute Filme von ihm gibt. Mein noch größeres Problem liegt darin, dass Billy Wilder mit so vielen unterschiedlichen Genres, Tonfällen und Tempi gearbeitet hat – am liebsten würde ich darum einen Filmkatalog für bestimmte Stimmungen aufstellen. Darin gäbe es dann unter anderem Platz für den besten Wilder-Film-noir, die beste Wilder-Komödie, die beste Wilder-Romanze und das beste Wilder-Drama. Weil es nun aber nur ein Film sein soll, entscheide ich mich für „Das Apartment“ von 1960. Jenseits der Erfahrung einer wunderbar entspannten Fernsehnacht mit meiner großen Liebe hat das vor allem mit Jack Lemmon zu tun. Nie ist er mir in seiner Komik so einsam vorgekommen wie im „Apartment“, wenn er als Versicherungsangestellter C. C. Baxter seine Wohnung an seine Vorgesetzten verleiht, damit diese darin jene geheimen Schäferstündchen abhalten können, die Baxter selbst verwehrt bleiben. Zu Melancholie und Gags, die in Jack Lemmon zum Gleichgewicht finden, kommt dann noch die Romantik, als Baxter ausgerechnet die von ihm angehimmelte Miss Kubelik (Shirley MacLaine) in seinem Bett findet – nach ihrem Selbstmordversuch und mit einem von Baxters Chef Sheldrake (Fred MacMurray) gebrochenen Herzen. Wie Baxter sie – und sich selbst – zum Leben erweckt (mit Kaffee, Märschen durch die Wohnung und unter tätiger Mithilfe sowie wüsten Beschimpfungen des Nachbarehepaars Dreyfuss), macht das Apartment zu einer der schönsten Liebes(kino)kammern, gerade weil hier mehrere Gefühls- und Genrezustände gleichzeitig Raum haben. JAN DISTELMEYER

Eins, zwei, drei (1961)

Ein Film wie ein Teilchenbeschleuniger und eine Komödie, die reiner Rhythmus ist, aus Telefonklingeln, Hackenschlagen, Kuckucksuhren, dem Stöckelgang von Liselotte Pulver, „Sitzen machen!“ und der schnarrenden Stimme von James Cagney. „Wir sind durch die Gags nur so durchmarschiert“, hat Billy Wilder über „Eins, zwei, drei“ gesagt, und tatsächlich wird hier jeder Lacher vom nächsten Gag überholt. Nie wieder war Liselotte Pulver so lasziv und so komisch, mit ihrem Pünktchenkleid und den riesigen Titten, die ihr Wilder mit Luftballons verpasste. Wenn sie zu Chatschaturjans Säbeltanz auf dem Tisch wackelt, bis das Chruschtschow-Bild von der Wand kracht, und bei ihrem amerikanischen Chef von „the Umlaut“ raunt, als handle es sich um eine geheime Sexpraktik, dann sind wir mittendrin in einem Film, der die Triebstruktur seiner Figuren mit den ideologischen Fronten des Kalten Krieges kurzschließt. James Cagney ist der irgendwann auf kaum mehr auszuhaltenden Hochtouren laufende Motor dieses Films, der den Slapstick zum Exzess führte, dem das Kunststück gelang, seine Figuren zu Karikaturen zu machen und sie trotzdem ernst zu nehmen, und der schon 1961 über Coca-Cola-Kapitalismus und marodes Funktionärswesen alles sagte, was es zu sagen gab. Wilder war sogar in einem Bereich visionär, der ihm vielleicht gar nicht bewusst war, denn die Szene, in der Horst Buchholz, dieser kleine, großkotzige Pseudorevolutionär mit „Itsi-Bitsi-Teeny-Weeny-Honolulu-Strandbikini“ eine Gehirnwäsche verpasst bekommt, ist der wunderbare Beleg dafür, dass auch Pop irgendwann zum Terror werden kann. ANKE LEWEKE

Buddy Buddy (1981)

Was das nun wieder sollte: Ein griesgrämiger Auftragskiller (Walter Matthau), der seinem tödlichen Handwerk nachgehen möchte, dabei aber von einem hysterisch depressiven Fernsehzensor (Jack Lemmon) gestört wird, der sich vergeblich umzubringen versucht, weil er von seiner Gattin (Paula Prentiss) zugunsten eines überspannten Sexgurus (Klaus Kinski) verlassen wurde, um in dessen Armen das höchste Plateau orgasmischer Glückserfahrung zu erklimmen, Motto: „Ecstasy is our business.“ Was der Film genau sollte, ist selbst 20 Jahre nach seiner Entstehung nicht zu ermitteln; zumal die Südseeidylle im legendär überflüssigen Schlussbild dank dilettantisch dampfender Vulkane, wahnsinnig dicker Männer und barbusiger Schönheiten, die auf Muscheln zum Lunch blasen, nachhaltig die Sinne vernebelt. Alles in allem, kann man also sagen, dass Wilders letzter Film so richtig schön blöd ist, sogar so blöd, dass selbst Klaus Kinski, dem bekanntlich nur selten etwas zu blöd war, sich hinterher für die Blödheit dieses Films schämte – er musste die meiste Zeit eine rote Sonnenbrille und einen zu engen Trainingsanzug tragen. Was wiederum für Wilder spricht. Denn wie es sich für ein gescheites Alterswerk gehört, hat er hier sämtliche Zutaten seines Schaffens zu einem bunten Haufen zusammengekehrt, um sie anschließend mit einer tiefen Einsicht in die Funktionsweise des Lebens zu krönen: Nichts hat wirklich Sinn. Davon handelt dieser Film – ein ganz wichtiger Ausgangspunkt für das Dasein im 21. Jahrhundert.

HARALD PETERS