Ab in die Schmuddelecke

Denn da gehört die Kultur auch hin. Möchte man zumindest meinen, wenn man sich anschaut, wie und zu welcher Sendezeit das öffentlich-rechtliche Fernsehen kulturelle Themen aufzubereiten pflegt

Womöglich ist es die späte Rache der Fernsehmacher an der großen Kultur

von DIEMUT ROETHER

Lassen Sie uns über – äh – Kultur reden!

Bei ARD und ZDF ist sie nicht zum Vergnügen da: Das merkt man bereits daran, dass sie uns im „Kulturreport“ oder in „Titel, Thesen, Temperamente“ bei der ARD meist gesichtslos, also ohne Moderator, präsentiert wird. Ein Beitrag folgt auf den anderen, nur angekündigt von einer anonymen, sonoren Sprecherstimme aus dem Off: „Geburtsort des Duce in Italien als touristische Attraktion“ oder: „Kaschmir, das zerrissene Land“.

Die Beiträge – ob nun über den „russischen Rembrandt“ Ilja Repin oder den Ausverkauf der Fürstenberg‘schen Kunstsammlung – sind meist sogar kenntnisreich und wirklich gut gemacht, denn die Kulturredakteure des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gehen beim Dreh und am Schneidetisch viel einfallsreicher mit den Bildern um als ihre Kollegen aus den politischen Redaktionen. Aber nur selten können sie sich in ihren Berichten diesen weihevollen Ton verkneifen, bei dem immer ganz subtil die Warnung mitschwingt: “Vorsicht Kultur!“

Gibt es in einer Kultursendung für die erste Reihe doch einmal einen Moderator oder eine Moderatorin, so steht er wie Wolfgang Herles in “aspekte“ (ZDF) vorzugsweise mit ernstem Gesicht in einem neoklassizistischen Innenhof der neuen Berliner Mitte. Nie hat er oder seine Kollegin Michaela Maxwell vom „Kulturweltspiegel“ des WDR Gäste bei sich im Studio. Fast nie, es sei denn, es ist Berlinale, geht einer dieser Moderatoren an Orte, an denen Kultur stattfindet: in ein Theaterfoyer, ein Kino oder eine der zahlreichen Lesebühnen, die es in allen größeren Städten des Landes gibt.

Komme bloß keiner auf die Idee, Kultur sei etwas zum Anfassen! Etwas Lebendiges – etwas, worüber jeder mitreden könnte gar. Über Kultur zu reden, ist selbst bei ARD und ZDF ein größeres Tabu als das Reden über Sex. Kein Wunder, dass Harald Schmidt mit seiner Nacherzählung des „Hamlet“ in seiner nächtlichen Show auf Sat.1 mehr provozieren konnte als früher mit seinen Polenwitzen.

Dass man über Kultur auch anders, nämlich lebendiger berichten kann, zeigen zwar manche Sendungen bei 3sat oder in den dritten Programmen der ARD, doch im Ersten und Zweiten herrscht nach wie vor die strikte, fast schon atavistische Trennung zwischen Unterhaltungs- und wahrer Kultur: Die neuen Literaten und die strahlenden jungen Helden der Literatur- und Theaterlandschaft wie Moritz Rinke oder Leander Haußmann wurden und werden durch die Talkshows von „River Boat“ bis „Hermann und Tietjen“ gereicht – nur auf den der Erfüllung des Kulturauftrags vorbehaltenen Sendeplätzen von ARD und ZDF tauchen sie so gut wie nie auf. Denn über die ernst gemeinte und ernst zu nehmende Kultur dürfen nur die wahren Experten mit den hochgezogenen Augenbrauen reden.

Dieser weihevolle Ton, bei dem die Warnung mitschwingt: „Vorsicht, Kultur!“

Am deutlichsten wird das brüchige Verhältnis der Fernsehmacher zur Kultur, wenn sie ins übrige Fernsehen einbricht – etwa in eine ganz normale Nachrichtensendung. Dann versteigen sich gestandene Journalisten auf einmal in blumig-hohlen Formulierungen, die man jedem Volontär genüsslich aus dem Manuskript streichen würde („doch jetzt, nach und nach, geben die Erben frei, was Picasso von eigenem Pinselstrich so gut gefiel, dass er es selbst sammelte“) und die doch nur ungeschickt bemänteln, dass der Autor vom Thema keine Ahnung hat. Die weniger Skrupulösen schreiben ihre Texte daher sicherheitshalber gleich aus der aktuellen Kritik in der Zeitung ab.

Warum setzt das Wort Kultur eigentlich alle journalistischen Regeln außer Kraft? Warum wird nicht nachgefragt, wenn der Ausstellungsleiter der documenta davon spricht, sein Hauptanliegen sei es, „auf Diskussionsforen einen festen Bezugsrahmen für die Ausstellung zu schaffen“? Warum werden die Zuschauer von einem Autor des Kulturreports in einem Bericht über die multiethnische Gesellschaft auf der Karibikinsel Santa Lucia mit Sätzen gequält, die klingen, als seien sie aus dem Erdkundelehrbuch abgeschrieben: „Der fruchtbare Boden wurde mit Sklaven bewirtschaftet und brachte reichen Ertrag“?

Möglicherweise ist es die späte Rache der Fernsehmacher dafür, dass sie mit ihrem kleinen, „Schmuddelmedium“ nie richtig dazu gehören durften, zur großen KULTUR. Vielleicht behandeln sie die Kultur deswegen so, als sei diese Pornographie: Die Berichte werden verschämt nach 22 Uhr versendet, wenn die Kinder im Bett sind. Die Sendungen richten sich an Leute, die sich auch von Begriffen wie „avancierte Ästhetik“ nicht abschrecken lässt. Und sie sind so lieblos gemacht, dass einem garantiert der Spaß an der Kultur vergeht!