„Die Studien geben zu Zweifeln Anlass“

Gerd Antes, Leiter des deutschen Cochrane-Zentrums, plädiert für eine kritische Sicht auf Brustkrebs-Reihenuntersuchungen

taz: Bundesgesundheitsministerin Schmidt (SPD) will ab 2003 ein Mammografie-Screening für Risikopatientinnen einführen. Kann durch diese Brustkrebs-Reihenuntersuchung in Deutschland die Zahl der Brustkrebstoten verringert werden?

Gerd Antes: Prinzipiell ja, aber die bisherigen wissenschaftlichen Daten lassen seriöse Schätzungen für Deutschland nicht zu. Auch in den USA haben sich in diesem Monat zwei hochrangige Regierungsinstitutionen widersprüchlich geäußert.

Warum wird dennoch immer wieder falsche Sicherheit vermittelt? Es kursieren Zahlen, wonach die Sterblichkeit durch Screenings „um 20 bis 30 Prozent“ gesenkt werden könnte.

Diese Zahlen stammen aus wenigen Untersuchungen, die bereits in den 80er-Jahren durchgeführt wurden, aber bis heute immer wieder zitiert werden. Diese Studien geben zu Zweifeln Anlass – in mehreren anderen Studien wurde ihr Nutzen nicht bestätigt. Außerdem ist die Argumentation nur mit Prozentzahlen völlig unzureichend; für eine Einschätzung des Nutzens wären absolute Zahlen mindestens ebenso wichtig. Beides anzugeben wird gegenwärtig häufig versäumt.

Ist die Darstellung der Prozentangaben in „Relativprozent“ unseriös, wenn der absolute Nutzen nur so gering zu sein scheint?

„Unseriös“ unterstellt Absicht. Aber unvollständig ist eine Aussage zur Verminderung der Sterblichkeit nur mit Prozentangaben schon.

Aber mehr Vorsorge müsste doch zu einer geringeren Sterblichkeit führen?

Das Motto „Je früher, desto besser“ ist in der Medizin nicht unbedingt richtig. Im Extremfall kann es für die Betroffenen das Beste sein, wenn eine Krankheit erst spät erkannt wird, etwa wenn es keine therapeutischen Möglichkeiten gibt. Beim Brustkrebs hat sich die Therapie in den letzten Jahren zwar deutlich verbessert; wieweit aber durch Screening eine weitere Verminderung der Sterblichkeit erzielt werden kann, wird aufgrund der vorhandenen Daten sehr kontrovers diskutiert. Insbesondere ist offen, wie groß die Anteile des Screenings und der Therapie daran sind.

Dänische Forscher haben im letzten Jahr massive Kritik an den bisherigen Studien zur Mammografie geübt.

Ja, es wurden methodische Unzulänglichkeiten offenkundig, die aus heutiger Sicht Zweifel an der Qualität der Studien aufkommen lassen.

Kritiker entgegnen, dass die Dänen und andere Screening-Gegner nicht aus der Praxis argumentieren.

Diese Kritik greift nicht. Praktiker neigen dazu, Verfahren, die sie anwenden, zu überschätzen. Neue methodische Arbeiten bestätigen den Zusammenhang zwischen überzogenem Optimismus und Qualitätsmängeln in Studien.

Es gibt Untersuchungen, wonach auch ohne Mammografie-Screening in zehn Jahren 996 von 1.000 Frauen nicht an Brustkrebs sterben. Wird die Bedrohung durch Brustkrebs überbewertet?

Aus Sicht der betroffenen Frauen sicher nicht. Die absoluten Zahlen zeigen allerdings auch Laien unmissverständlich, dass sich die 20- bis 30-prozentige Verminderung der Sterblichkeit in dieser Darstellung nicht wiederfinden lässt.

Absolut gesehen scheint der Nutzen des Screenings eher gering: Von 1.000 Frauen, bei denen zehn Jahre lang Mammografien durchgeführt werden, haben 999 keinen Nutzen, da sie auch ohne Screening nicht an Brustkrebs gestorben wären (996 Frauen) oder weil sie trotzdem an Brustkrebs sterben (3 Frauen). Warum werden diese Zahlen nicht häufiger erwähnt?

Dafür gibt es vielfältige Gründe – teils aus Unkenntnis, teils mag es auch von Interessengruppen so gewollt sein.

Screening-Befürworter argumentieren mit einer rückläufigen Sterblichkeit in Ländern wie den Niederlanden. Angeblich ist dort seit Einführung flächendeckender Mammografien 1989 die Brustkrebssterblichkeit um 13 Prozent zurückgegangen.

Eine prozentuale Verminderung der Sterblichkeit allein ist nicht aussagekräftig. Nur weil im selben Zeitraum weniger Frauen in Holland an Brustkrebs gestorben sind, beweist dies nicht den ursächlichen Zusammenhang mit dem Screening. Dies könnte etwa auch mit verbesserten Therapien zusammenhängen. INTERVIEW: WERNER BARTENS

Der Autor ist Redakteur der Badischen Zeitung.