„Ein zierliches Betrügen“

■ Benimm-Unterricht mit Pago Balke: Der Kabarettist gab dem geneigten Publikum reichhaltiges Anschauungsmaterial

„Die Höflichkeit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr“ – dass dieses Sprichwort als Lebensmotto in eine Sackgasse führt, lehrte der Kabarettist und frühere Blaumeier-Regisseur Pago Balke die Zuschauer im Theater am Leibnizplatz. Zusammen mit seiner Band gab er einen musikalisch untermalten Anschauungsunterricht für „Gutes Benehmen von A bis Z“ – sowohl mit eigenem Material, wie auch mit Texten von Georg Kreisler und Wilhelm Busch.

Schon vor Einlass wurde der Zuschauer auf eine harte Probe gestellt: Hatte er das richtige Outfit für diesen Abend ausgewählt? „Sie sehen ja ganz nett aus, sind aber insgesamt zu trist gekleidet“, befand Balke und schickte einen jungen Mann erst einmal zu seinem Kollegen am Kleiderständer. Der wählte aus einem Wust aus Blümchenkleidern und Sakkos ein rot-blau kariertes Exemplar des männlichen Allroundoberteils aus – während Balke schon beim nächs-ten die ungeputzten Schuhe kritisierte. Ja, der Zuschauer musste sich erst mal einer Art physikalischer Bloßstellung unterziehen, bevor er in die Dunkelheit des Theatersaals entfliehen konnte.

„Was für den Edelstein die Politur ist, ist für den Menschen das gute Benehmen“, unterwies Pago Balke sein aufnahmebereites Publikum. Mal kam der Kabarettist skurril daher wie beim Stück „Tango“, zu dem sich Balke ein weißes Netz-T-Shirt und Absatzschuhe anzog, um ein Lied über gleichgeschlechtliche Liebe loszuwerden, während er sich spontan ein männliches Opfer aus dem Raum fischte und mit ihm tanzte. Mal waren seine Lieder melancholisch angehaucht – aber immer voller Ironie. Da gibt es die Dame Grete Helmke, die sich nach einem Einkaufsbummel kulinarisch im SB Restaurant befriedigen möchte, aber sich ihr Essen – nachdem sie es kurzzeitig unbeaufsichtigt ließ – mit einem Fremden teilen muss. Unverschämt, denkt sie, sagt aber nichts. Erst später merkt sie, dass sie vom falschen Tablett aß – ihr Essen steht unberührt am Nachbartisch. Pago Balkes Geschichten handeln von den Protagonisten des Alltags, in denen sich jeder wiederfinden kann: Sei es der Nachbar, die Tante oder der einsame Triangelspieler, der im Schatten des Orchesters sein Dasein fristet.

Wie ein Espresso nach dem reichhaltigen Essen, so entspannte die Musik während und zwischen den verbalen Eskapaden. Mit dem Jazz von Peter Dahm (Saxofon), Meinrad Mühl (Pianist), Friedemann Bartels (Schlagzeug) und Martin Henkel (Kontrabass) wurde das Abdriften in die gesungenen Alltagsbilder erst plastisch. Solcherart behandelt ging der Zuschauer mit der Gewissheit nach Hause: „Die Höflichkeit ist ein zierliches Betrügen.“ Sörre Wieck