PCB stören kindliche Entwicklung

Eine Studie weist nach, dass Polychlorierte Biphenyle die geistige und motorische Entwicklung von Kindern beeinträchtigen. Besonders Schulen sind mit dem Umweltgift belastet, von dem weltweit rund zwei Millionen Tonnen hergestellt wurden

Für die Entgiftung zuständigsind dieBundesländer

Polychlorierte Biphenyle (PCB) behindern in gravierender Weise die Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern. Etwa fünf Prozent aller Kinder gelten als „hoch belastet“. Zu diesem Ergebnis kommt eine Langzeitstudie der Universität Düsseldorf, die vor kurzem in der britischen Fachzeitschrift The Lancet erschienen ist.

Der Umweltarzt Gerhard Winneke und seine Kollegen hatten 171 Kleinkinder über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren beobachtet und die PCB-Belastung im Mutterleib, in der Muttermilch und im Blut des Kindes untersucht. Bei erhöhten PCB-Funden fanden sie Verzögerungen der geistigen und motorischen Entwicklung. Der Effekt wurde sowohl bei PCB-Belastung während der Schwangerschaft, als auch bei einer späteren Aufnahme durch die Muttermilch aufgezeigt. Gestillte Kinder wiesen eine fünffach erhöhte Belastung gegenüber ungestillten Kindern auf.

Polychlorierte Biphenyle im Blut der Mutter können die Blut-Plazenta-Schranke durchdringen, so dass der empfindliche Fötus den Giftstoffen direkt ausgesetzt ist. Amerikanische Studien zeigen einen Zusammenhang von PCB-Belastung im Mutterleib und vermindertem Erinnerungsvermögen sowie dem Intelligenzquotienten elfjähriger Kinder.

Die Entwicklungspsychologen Joseph und Sandra Jacobson von der Us-amerikanischen Wayne-Universität schreiben in einem begleitenden Kommentar, dass der von Winneke gefundene Unterschied zwischen gering und hoch belasteten Kindern dem Entwicklungsabstand von Kleinkindern in einer anregenden Umwelt im Vergleich zu wenig geförderten Kindern entspricht.

PCB sind eine aus rund 200 Einzelkomponenten bestehende Verbindungsklasse organischer Chlorverbindungen. Da sie besondere elektrische Eigenschaften besitzen und nur schwer in Brand geraten, wurden sie in großem Umfang in Transformatoren und Kondensatoren eingesetzt. Darüber hinaus verwendete man sie als Weichmacher in Lacken und Klebstoffen, als Flammschutzmittel, als Zusatz von Fugenmassen und in Farben. Die Gesamtmenge der weltweit hergestellten PCB wird auf bis zu zwei Millionen Tonnen geschätzt.

PCB sind extrem langlebig und finden sich nahezu überall in der Natur – in Tiefseesedimenten ebenso wie im arktischen Eis. Wegen der guten Fettlöslichkeit treten sie in verschiedenen Bestandteilen der Nahrungskette auf, besonders in Fischen und Vögeln. Die Chemikalien können das menschliche Nervensystem, die Immunabwehr sowie Leber und Nieren schädigen und zu Unfruchtbarkeit führen. Die amerikanische Umweltbehörde prüft zudem die Einstufung von PCB als krebserregend. Traurige Berühmtheit erlangten kanadische Eskimos, die unter einer PCB-Belastung leiden, die der von Opfern großer Chemieunglücke vergleichbar ist.

Die USA als bis dahin größter Hersteller verboten 1977 die Herstellung und Verwendung von PCB. Daraufhin sprang die deutsche Bayer AG in die Bresche und steigerte trotz Protesten ihre Produktion von 6.000 auf 7.500 Tonnen jährlich. Erst 1983 stellte die Bayer AG als letzter Hersteller in den westlichen Industrieländern die Produktion ein. Ein endgültiges Verbot aller Anwendungen folgte 1989. Seitdem geht die Belastung zwar zurück, doch nach Angaben des Umweltbundesamts „nehmen die Menschen noch immer relativ hohe Mengen über die Nahrung und in geringem Umfang auch über die Luft auf“. Besonders Milchprodukte, Margarine und Fisch sind betroffen.

Besonders im Blickpunkt steht die Belastung öffentlicher Gebäude – allein 10.000 Schulen gelten bundesweit als PCB-kontaminiert. Thomas Lenius, Chemieexperte des BUND, fordert eine rasche Sanierung: “Kleinkinder sind besonders durch PCB gefährdet, daher dürfen wir die Entgiftung belasteter Gebäude nicht auf die lange Bank schieben. Die gegenwärtige Grenzwertdiskussion, die teilweise den Eindruck macht, dass die Kosten der Sanierungen im Vordergrund stehen, können wir uns nicht länger erlauben.“

Für die Entgiftung zuständig sind die Bundesländer, was dazu führt, dass in verschiedenen Teilen Deutschlands unterschiedliche Grenzwerte gelten. In NRW müssen ab 3.000 Nanogramm pro Kubikmeter Raumluft Sofortmaßnahmen eingeleitet werden. Der Deutsche Berufsverband der Umweltmediziner fordert hingegen einen Grenzwert von höchstens 100 Nanogramm, der bei erwiesener Krebsgefahr auf Null abgesenkt werden müsse. Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) wiederum nennt Werte bis 300 ng als „langfristig tolerabel“.

Einen Schritt weiter gehen norwegische Umweltverbände, die eine Beteiligung der Bayer AG und einer Tochterfirma von Monsanto an den Sanierungskosten des stark mit PCB verunreinigten Osloer Hafens fordern. Tom Erik Okland von Norges Naturvernforbund: „Die Unternehmen wussten seit den 60er-Jahren, dass die von ihnen verkauften Produkte hoch toxisch und schwer abbaubar waren. Dennoch wurden die Käufer nicht über den PCB-Gehalt oder über die möglichen Risiken informiert.“ Okland erhofft einen Präzedenzfall, um in Umweltfragen ein rückwirkendes Verursacherprinzip durchzusetzen.PHILIPP MIMKES