Liebesbezeugung für einen kreativen Raum

Vor zehn Jahren gründete Doli Hilbert das Projekt „Rat und Tat für lesbische behinderte Frauen“. Ein Film dokumentiert seine Geschichte

„Hättest nicht die Treppen laufen brauchen, ich hätte dich schon abgeholt.“ Die fleckige Hand weist Richtung Aufzug, der die Besucher von reichen Witwen in der Paulsbornerstraße 17 einst in die richtige Etage erhob. Heute fährt die holzverkleidete Kabine zu Doli Hilbert in den fünften Stock. „Mit meinen vier Beinen gehe ich nicht mehr raus“, erklärt die 82-Jährige lächelnd. Ihre Gehhilfen lehnen an der Wand hinter der Garderobe. Aber Freundinnen holt sie immer noch an der Tür ab. So hat das Projekt „Rat und Tat für für lesbische behinderte Frauen“ vor zehn Jahren schließlich auch angefangen, erzählt die Künstlerin: „Wir halfen Frauen über Hindernisse.“

Die Augen der Gründerin leuchten grün wie der Tee, den sie auf einem Stöfchen warm hält. „Jeder Mensch braucht einen Ort, an dem er seine Kreativität ausleben kann. Sonst kommt er mit sich nicht ins Reine“, meint Hilbert. Darum wurde sie mit sieben weiteren behinderten Lesben tätig, wie ein 40-minütiger Film jetzt eindrucksvoll dokumentiert. Aus dem ehemaligen Schlachterladen in der Schillerpromenade 1 schrubbten sie den Gestank von Blut, aus Küche und Theke zimmerten sie mehr und mehr Rollstuhl-gerechte Räume. Zum runden Geburtstag drehten die jetzigen RUTlerinnen den Dokfilm. „Und aus Respekt vor dem Mut der Gründerinnen“, erklärt Mitautorin Katharina Eberstein.

„Bei mir dauerte es lange, bis ich merkte, was eigentlich mit mir los war“, erzählt Hilbert. Als die studierte Künstlerin und Sozialarbeiterin mit 50 Jahren auf Eigeninitiative den Töpferkeller in der Gemeinde Lankwitz einrichtete – mit Kindern, für die es nach der Schule kein Zuhause gab – erntete sie zunächst Anerkennung. Doch es dauerte nicht lange, bis Miete und Gehalt für eine Sozialarbeiterin den Gottesdienern zu viel wurde. „Da habe ich mit zwanzig Frauen einen Verein gegründet. Jede steuerte 20 Mark bei und hat dafür einen Schlüssel bekommen. So retteten wir den Töpferkeller.“

Mit 60 hatte Hilbert ihre erste Geliebte. „Die musste ich im Aktzeichenkurs richtig von ihrer Angst befreien.“ Damals begann sie auch im Töpferkeller bewusst, sich mit Frauen zu umgeben.

Vor zehn Jahren wurde dann RUT geboren, weil die Rollstuhlfahrerinnen von der benachbarten Behindertenwerkstatt nicht runter in den Keller kamen. „Wir suchten einen Raum, in dem sich auch Frauen im Rollstuhl ohne Probleme bewegen können“, erklärt Hilbert. Heute finden im RUT regelmäßig Selbsthilfegruppen, Spielenachmittage, Meditation und psychosoziale Beratung statt.

„In der Bibel liebt Ruth ihre Schwiegermutter leidenschaftlich. Kurioserweise gehören ihre Liebesbezeugungen zum kirchlichen Ritual der Eheschließung“, erklärt Hilbert die Namenswahl. Doli Hilbert beschreibt das alles mit Stolz – auch wenn sie sich in ihrem Königreich in der fünften Etage inzwischen allein regiert: „Manchmal stehe ich vor dem Spiegel und denke: Ich sehe aus wie ein Baum. Dann bin ich ganz bei mir“. TINA BUCEK

Filmpremiere „Von Räumen und Träumen – RUT, ein Frauen-Lesbenprojekt“. Heute, 20 Uhr in der Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr. 32