Berliner Aufruf

Politiker, Wissenschaftler und Künstler verurteilen den Krieg in Afghanistan. Sie fordern politische, wirtschaftliche und polizeiliche Maßnahmen. Eine Dokumentation

Zentrales politisches Projekt ist der Friedensprozess im Nahen Osten auf Grundlage des Mitchell-Planes

Die Anschläge in New York, Washington und Pennsylvania sind als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verurteilen. [. . .] Angesichts der neuen Dimension des internationalen Terrorismus treten wir mit Nachdruck dafür ein, ihn wirksam und konsequent zu bekämpfen. [. . .] Es kann kein Aufrechnen von Todesopfern, keine Einordnung von Opfern unter alte Feindbilder [. . .] geben [. . .]. Wir müssen die zivilisatorischen Grundlagen verteidigen, ohne sie weiteren Schaden nehmen zu lassen. [. . .] Nötig ist eine Gesamtstrategie mit kurz- und langfristigen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus, die nicht in seine Falle der Eskalation und Destabilisierung geht [. . .]:

1) Aus gutem Grund duldet das Völkerrecht keine Rache, Vergeltung oder Strafaktion. Gewalt ist nur als Notwehr oder Nothilfe legitim. [. . .] Eine Vermengung von Notwehr und Strafaktion würde vermeidbare Gegenreaktionen hervorrufen.

Voraussetzung für alle Maßnahmen sind nachvollziehbare Belege für die Täterschaft, die Beihilfe oder die konkrete Gefährdung durch die Beschuldigten. Ein Irrtum über die Urheber ist auszuschließen. Alle Regierungen, die bei der Terrorbekämpfung mitwirken sollen, haben Anspruch auf die Vorlage von Belegen. Die nötige internationale Kooperation erfordert die Anerkennung der Belege durch die Koalitionsmitglieder und den UN-Sicherheitsrat. Den Anhängern und Unterstützern fundamentalistischer Demagogen sollte nicht die Ausflucht gelassen werden, es lägen keine Belege dafür vor, dass ihre Idole den Tod unschuldiger Menschen herbeigeführt haben und sie damit gegen ein strenges Verbot verstoßen haben, das im Islam wie im Christentum gilt.

Zu beachten sind die Unterschiede zwischen Täterschaft, Beihilfe und konkreter Gefährdung. Statt Täter und Helfer durch die Androhung einer Gleichbehandlung zusammenzuschweißen, sollten bisherige Helfer mit Druck oder Zuckerbrot dazu gebracht werden, ihre Unterstützung einzustellen. [. . .]

2) Absoluten Vorrang müssen politische und wirtschaftliche Maßnahmen zur Unterstützung der Zivilbevölkerung und Bündnispartner in der Region haben. Diese Maßnahmen müssen einen Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit von Armut, mangelnder Bildung und gewaltsamen Konflikten weisen und dafür sorgen, dass dem Terrorismus der Nährboden entzogen wird, nämlich sein Rekrutierungs- und Mobilisierungspotenzial. [. . .] Diese Strategie muss sofort mit einem starken Signal eingeleitet werden. Die wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Zuspitzung drohen laut Weltbank weltweit bereits zehn Millionen Menschen in die Armut zu stürzen, außerdem sind über fünf Millionen Afghanen und viele Flüchtlinge vor einer Hungerkatastrophe zu bewahren.

Auch Nichtregierungsorganisationen sollten in die internationale Koalition für eine zivilisierte Bekämpfung des Terrorismus einbezogen werden. [. . .]

Großes Gewicht muss ein internationaler, interreligiöser und interkultureller Dialog haben

Großes Gewicht muss auch ein internationaler interreligiöser und interkultureller Dialog haben. [. . .] In den westlichen Ländern ist einer Diskriminierung von Muslimen und Arabern entschieden entgegenzutreten.

Ein zentrales politisches Projekt ist der Friedensprozess im Nahen Osten [. . .] auf der Grundlage des Mitchell-Planes. [. . .] Bei diesen Verhandlungen sollte versucht werden, alle wichtigen Organisationen der Palästinenser direkt oder indirekt einzubinden, die sich anderenfalls möglicherweise durch Torpedierungsversuche profilieren würden.

3) [. . .] Für eine international akzeptierte Behandlung gefasster Täter ist die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes schleunigst voranzutreiben. Insbesondere gegenüber Staaten kommen als weitere Mittel Ultimaten, konsequente Blockaden – auch von militärischen Kräften durchgeführt –, Boykotte und Sanktionen in Frage.

Die Finanzierungswege des internationalen Terrorismus sind lahm zu legen. [. . .] Auch der Waffennachschub des internationalen Terrorismus ist zu unterbinden. [. . .]

Verbesserte Sicherheitsstandards in ausgewählten Bereichen, internationale Zusammenarbeit und bessere technische Ausstattung der Ermittlungsbehörden sowie gezielte Fahndungen treffen internationale Terrornetzwerke an verwundbaren Stellen. [. . .] Im gezielten Aufspüren und Ausheben global verzweigter Terrornetzwerke liegt eine der Hauptaufgaben, und nicht beim Militär. [. . .] Auch im Hinblick auf die innere Sicherheit sollten die zivilisatorischen und rechtsstaatlichen Standards, die es zu verteidigen gilt, nicht über Bord geworfen werden. [. . .]

Voraussetzung für alle Maßnahmen sind nachvollziehbare Belege für die Täterschaft

4) Militärische Kampfmaßnahmen haben [. . .] nur dann einen Platz, wenn ihnen gegenüber den vorrangigen Maßnahmen noch ein eigenes Anwendungsfeld verbleibt, wenn sie die anderen Mittel nicht beeinträchtigen und wenn sie nicht zu vermeidbaren Opfern führen. [. . .] Jeder Militäreinsatz, der Zivilisten gefährdet („Kollateralschäden“), der Bomben oder Raketen in Städten oder bewohnten Gebieten vorsieht, der zu Kämpfen von Bodentruppen über kleine Spezialeinheiten hinausführt, der Flüchtlingsmassen in Elend und Hungertod treibt, jeder Krieg, Stellvertreter- und Bürgerkrieg ist im Rahmen einer Gesamtstrategie ein ungeeignetes, ja kontraproduktives Mittel, das viele Menschenleben kostet und deshalb weiteren Hass sät, zu einer abenteuerlichen Eskalation führt und möglicherweise weiteren Terror anheizt. [. . .] Das gilt auch für jede Waffenlieferung und militärische Unterstützung, die etwa zu einem Gemetzel zwischen den Taliban und der Nordallianz Afghanistans führt. Und es gilt erst recht für den bisher ausdrücklich nicht ausgeschlossenen Einsatz von ABC-Waffen, dem sofort eine Absage zu erteilen ist. Insgesamt geht es darum, den internationalen Terrorismus entschieden zu bekämpfen und nicht ungewollt zu stärken. [. . .]

Zu den Erstunterzeichnern zählen: Dr. Nasrin Bassiri, Journalistin und Publizistin; Rudolf Borchert, SPD-Vorstand Mecklenburg-Vorpommern; Prof. Dr. Klaus Brake, Stadt- und Regionalplaner; Prof. Dr. Micha Brumlik, Erziehungswissenschaftler; Dr. Roland Claus, MdB, Vorsitzender der Fraktion der PDS; Prof. Dr. Hans-Peter Dürr, Physiker; Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, Landesvorstandssprecher Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen; Ulrike Höfken, MdB (Bündnis 90/Die Grünen); Prof. Dr. Walter Jens, Universitätsprofessor und Schriftsteller; Hinrich Kuessner, Landtagspräsident von Mecklenburg-Vorpommern, zugleich Mitglied des SPD-Bundesvorstands; Jutta Lampe, Schauspielerin; Steffi Lemke, MdB (Bündnis 90/Die Grünen); Regina Michalik, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Berlin; Dr. Jürgen Micksch, Vorsitzender des Interkulturellen Rates in Deutschland, Vorsitzender von Pro Asyl; Margret Mönig-Raane, stv. Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di; Monika Obieray, Landesvorstandssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen Schleswig-Holstein; Petra Pau, MdB und Landesvorsitzende der PDS Berlin; Prof. Dr. Gernot Rotter, Islamwissenschaftler; Ute Scheub, Journalistin; Ulrike Seemann-Katz, Landesvorstandssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen Mecklenburg-Vorpommern; Nadir Sevis, Vorsitzender des Verbandes für Interkulturelle Arbeit e. V. (VIA); Dr. Albert Statz, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Europa von Bündnis 90/Die Grünen; Christian Sterzing, MdB (Bündnis 90/Die Grünen); Dr. Wolfgang Ullmann, MdEP a. D.; Dr. Antje Vollmer, MdB (Bündnis 90/Die Grünen); Martin Walser, Schriftsteller; Christa Wolf, Schriftstellerin; Dr. Frieder Otto Wolf, Privatdozent, MdEP a. D.

Der komplette Text ist zu finden unter:www.berliner-aufruf.de