„Ihr zerstört unsere Träume“

■ Staatsanwaltschaft verfolgt drei libanesische Schülerinnen wegen eines Flugblattes, in dem sie ihre Betroffenheit über die drohende Abschiebung darstellten: „Jetzt lernen wir, was Rassismus ist“

Eine kleine bunte Protest-Gesellschaft sammelte sich gestern vor dem Bremer Amtsgericht. Jugendrichter Wolf-Dieter Beyerle hatte drei ausländische Schülerinnen vorgeladen, um sie in aller Form zu „ermahnen“. Eine Ermahnung ist ein Instrument des Jugendrechtes und findet ihren Niederschlag im „Erziehungsregister“ beim Generalbundesanwalt. Ermahnung nach §90a, Staatsschutz-Delikt, hätte da gestanden, wenn die drei die „Ermahnung“ akzeptiert hätten.

Was wird den drei libanesische Mädchen vorgeworfen? So genau steht das nicht in der Akte, die Staatsanwalt Uwe Picard über den Fall angelegt hat, sagen die Anwälte der Mädchen. „Es ist nicht richtig, so über die Bundesrepublik zu reden“, habe der Richter ihr gesagt, berichtet Feiruz Chaabo nach dem Gespräch im Richterzimmer.

Gegenstand der Ermittlungen ist ein Flugblatt der drei, in dem sie ihre Angst vor der Abschiebung beschreiben. Auf der Rückseite rief die Gesamtschüler-Vertretung (GSV) zu einer Demonstration gegen Abschiebungen im Juni auf. „Ihr zerstört unsere Träume“ ist dieses Flugblatt überschrieben, und dann heißt es: „Wir sind total geschockt. Erst machen sie bei uns eine Hausdurchsuchung, ob wir irgendwo bei uns Papiere aufbewahren, die beweisen sollen, dass wir Türken sind. Morgens um sechs. Dann schicken sie uns einen Brief, dass wir am 15. Mai ausreisen sollen. War ein Irrtum, die Ausreise soll nun erst im Juni stattfinden“, schrieben die Schülerinnen Anfang Juni. Da auch bei der Hausdurchsuchung keine papiernen „Beweise“ dafür gefunden wurden, dass es sich um TürkInnen handelt, leben die LibanesInnen unter der weiter geltenden Abschiebe-Drohung bis heute in Bremen, dürfen die Stadt nicht verlassen.

„Könnt ihr euch vorstellen, was das bedeutet?“ fragten die drei damals per Flugblatt ihre MitschülerInnen. „Wenn man sich in Deutschland zu Hause fühlt und mit so etwas nicht gerechnet hat? Wir leben hier, seitdem wir fünf Jahre alt sind, seit 13 Jahren, und dachten: Wir werden uns hier ein Leben aufbauen. Jetzt sollen wir abgeschoben werden. In die Türkei. Wir kennen das Land nicht, können die Sprache nicht. Das ist Wahnsinn. Wir sprechen arabisch, und deutsch. (...) Meint ihr, wir könnten unsere Träume in der Türkei verwirklichen, wo wir die Schule nicht bezahlen können und die Sprache nicht können?“

Aber die drei bekommen keine Arbeitserlaubnis, können also keine Lehrstelle annehmen, „obwohl wir seit 13 Jahren hier sind. Wir leben hier und wollen hier weiter leben. Wir wollen leben wie jeder andere Mensch auch.“

Feiruz hat in der deutschen Schule viel gelernt über die Jahre des Nationalsozialismus, in denen „Juden raus“ auf Fensterscheiben geschrieben wurde. Sie weiß über die Organisation von Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit in gewöhnlichen deutschen Amtsstuben. Das war Geschichte. „Jetzt lernen wir, was Rassismus in Deutschland ist“, schrieben die drei auf ihrem Flugblatt. „Jetzt verstehen wir, was in Hitlerdeutschland los war. Jetzt lernen wir die deutsche Geschichte und wissen, wie deutsche Politiker über Ausländer denken. Sie stören und sollen weg.“

Das war zuviel. Diese Sätze waren zuviel. Solche Ansichten auf einem Schüler-Flugblatt sind „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“, verfolgbar nach dem Terrorismus-Paragraf 90a, findet Staatsanwalt Picard.

Die Anwälte der drei Schülerinnen haben ihnen geraten, den Eintrag in das Erziehungsregister des Generalbundesanwaltes nicht zu akzeptieren, sondern auf ihrem Recht auf Meinungsfreiheit zu beharren. „Das Flugblatt erfüllt schlicht nicht den Tatbestand des 90a “, sagt einer der Anwälte. Nun muss der Staatsanwalt entscheiden, ob er die drei förmlich anklagen will. K. W.