Drehbuchautoren für Multimedia

Informatikprofessor Herbert Kubicek im Interview zur Zukunft des virtuellen Lernens an den Hochschulen: Materialien von Fernstudiengängen einfach ins Netz zu stellen bringt nichts, wir brauchen vielmehr „hypermediale Lernräume“

taz: Peter Glotz hat prophezeit, dass in fünf Jahren die Hälfte der Studenten an virtuellen Hochschulen studieren wird. Erwarten Sie das auch?

Herbert Kubicek: Nein, das halte ich für ziemlich ausgeschlossen.

Aber Schulen wie Hochschulen bemühen sich darum, jeden Seminarraum und jedes Klassenzimmer ans Netz zu bringen.

Trotzdem gibt es jenseits der bloßen Wissensaufnahme eine Reihe von Gründen, eine Hochschule aufzusuchen: Sie wechseln als Student den Wohnort, sie nutzen die Gelegenheit, sich vom Elternhaus zu lösen und andere Menschen kennen zu lernen. Auch in Zukunft wird das persönliche Erleben eines Dozenten wichtig bleiben, der die Studenten motivierend in ein Fach einführt.

Also bleibt alles beim Alten?

Nein, wir erleben heute schon in vielen Fächern, dass ergänzend zu Lehrveranstaltungen Unterrichtsmaterialien oder Übungsaufgaben über das Netz angeboten werden. In Zukunft wird das noch viel mehr werden. Ich denke aber, dass wir zu einer Mischung kommen, bei der der Präsenzanteil immer noch relativ hoch sein wird.

Sie glauben nicht an reine Netz-Unis?

Einen komplett virtuellen Bereich wird es nur bei ausgewählten Themen geben, vor allem im Weiterbildungsbereich. Sie haben einen Beruf, Freunde und sind vielfältig eingebunden und müssen sich aus irgendeinem Grund noch eine Programmiersprache oder Fachausdrücke in einer Fremdsprache aneignen: Das ist der Onlinemarkt.

Muss es dafür eine spezielle virtuelle Didaktik geben?

Ich glaube, dass das der Hauptgrund dafür ist, warum alles so langsam kommt. Es bringt gar nichts, einfach Materialien von Fernstudiengängen von der ersten bis zur letzten Seite ins Internet zu stellen. Da ist das Lesen von Papier immer noch besser für die Augen.

Was also dann?

Wenn wir die Chancen von Multimedia wirklich ausreizen wollen, dann müssen wir über hypermediale Lernräume sprechen. Das heißt, sie werden etwas gefragt werden, und je nachdem, wie sie die Frage beantworten, geht es in dem einen oder in dem anderen Zug weiter. Sie haben jederzeit die Möglichkeit, etwas noch mal zu sehen oder in die Tiefe zu gehen. So etwas gibt es bisher nur in ganz wenigen Fällen auf teuren CD-ROMs.

Und warum nicht öfter?

Man schätzt, dass die Software-Entwicklung für derartige Lernräume etwa hunderttausend Mark pro Unterrichtsstunde kostet. Ich sehe auch nicht, dass Hochschullehrer die Fähigkeit und erst recht die Zeit haben, jetzt plötzlich ihre Unterrichtsgegenstände in diese verästelte Form zu bringen. Da müssen Sie eher Drehbuchautor sein.

Hängt Deutschland beim Online-Lernen im internationalen Vergleich hinterher?

Was die begleitende Unterstützung von Präsenzveranstaltungen angeht, da sind die Amerikaner um drei bis fünf Jahre voraus. Wenn sich Studenten an renommierten Universitäten einschreiben, bekommen sie gleich einen abgewandelten Webbrowser. Damit rufen sie ihre persönliche Seite bei der Universität auf, stellen sich ihr Vorlesungsverzeichnis zusammen und haben direkten Zugang zum Bibliothekskatalog. Alle Funktionen, die die Universität online anbietet, sind unter einer Oberfläche integriert. So etwas haben wir in Deutschland erst vereinzelt. Der eine Kollege stellt dieses ins Netz, der andere jenes, und die Studierenden müssen sich durchkämpfen. Richtige virtuelle Universitäten findet man auch drüben, soweit ich sehe, allerdings nur im Bereich der Erwachsenenweiterbildung.

Müssen die Online-Aktivitäten an deutschen Hochschulen besser als bisher koordiniert werden?

Jeder Studiengang braucht einen eigenen Webredakteur, der den einzelnen Hochschullehrern hilft, Dinge elektronisch aufzubereiten, und für eine Vereinheitlichung sorgt, sodass man sich nicht bei jedem Kurs in andere Kategorien und Navigationsfelder einfinden muss.

Und wie sieht es mit uniübergreifender Zusammenarbeit im virtuellen Bereich aus?

Von Kooperationsvereinbarungen zwischen Rektoren von zwei oder drei Universitäten halte ich wenig. Die sind schön für eine Pressemitteilung. Die Zusammenarbeit muss auf Fächerebene stattfinden, zum Beispiel die Bremer Informatik mit der Oldenburger Informatik.

INTERVIEW: FIETE STEGERS

Herbert Kubicek ist Informatikprofessor an der Universität Bremen. Ein Forschungschwerpunkt ist der Einsatz von Multimedia in Lehre und Verwaltung