Oberste Menschenrechtlerin

Irene Zubaida Khan steht seit dem 17. August an der Spitze von amnesty international, der größten NGO weltweit

„Dies ist ein symbolischer Moment, den wir alle teilen können, bevor wir uns auf den Weg nach vorne machen und uns auf die Anforderungen an die Menschenrechte im 21. Jahrhundert sowie auf unsere Rolle im Umgang mit ihnen konzentrieren.“ Mit diesen Worten nahm Irene Zubaida Khan aus Bangladesch die Kerze aus den Händen ihres Vorgängers Pierre Sane entgegen. Ein symbolischer Akt der Amtsübergabe an eine Frau, die als Generalsekretärin von amnesty international (ai) in vielerlei Hinsicht die erste ist. Die erste Frau an der Spitze von ai, zudem die erste Muslimin und die erste Asiatin. Allein ihre Herkunft dürfte einige Erwartungen bei ai geweckt haben.

Als Muslimin soll sie den Vorwurf vieler islamischer Staaten entkräften, dass ai und Menschenrechte lediglich ein christlich-politisches Instrument seien. Als Frau soll sie ai neuen Schwung bei der Suche nach einer neuen Agenda geben.

Nun sagt dies wenig über ihre Person aus, gibt aber bereits eine Andeutung, in welche Richtung sie die Arbeit von ai unter ihrer Leitung ausweiten will. So möchte sie mehr Gewicht auf die Durchsetzung der Rechte der Frauen legen, denn sie tragen mit ihren Kindern die größte Last in den Konflikten und Kriegen. Ansonsten sagt sie wenig über ihre künftigen Vorhaben. Interviews mit ihr sind laut ai erst später in diesem Jahr möglich, da sie sich erst einarbeiten müsse, bevor sie über ihre neue Rolle sprechen wird.

Khans Vorsichtigkeit und Zurückhaltung mag man zwar als unprofessionellen Umgang mit der Presse deuten, ist bei ihr aber ein Zeichen der Seriosität. Sie denkt nach, bevor sie redet. Nach Angaben ehemaliger Kollegen kann sie – falls notwendig – durchaus kompromisslos und kompetent auftreten.

Ihre Kompetenz baut auf ihrer Ausbildung und ihren Erfahrungen auf. Die 45-jährige Juristin, die sich auf internationales Recht und Menschenrechte spezialisiert hat, studierte an der University of Manchester und der Havard Law School. Ihre Karriere begann sie bei der Internationalen Juristenkommission in Genf. In den vergangenen 21 Jahren arbeitete sie für das UNO-Flüchtlingskommissariat, angefangen bei der Beratung für Projektbüros vor Ort über die Leitung des UN-Dokumentations- und Forschungszentrums zur Kernabteilung Rechtsschutz. Dieser Werdegang wurde unterbrochen von mehreren Kriseneinsätzen, zum Beispiel 1999 in Mazedonien. Eine Karriere, die sich immer um den Schutz von Flüchtlingen drehte.

Ihre Aufgabe bei ai wird nicht leicht werden. ai steht vor einer Umbruchphase, in der die althergebrachten Methoden hinterfragt werden. Die Wahrung der Menschenrechte lässt sich nicht mehr mit den berühmten Unterstützerbriefen für politische Gefangene an die jeweiligen Staatschefs dieser Welt erkämpfen. Menschenrechtsverletzungen treten in vielfältiger Form auf, teilweise nicht staatlich, innerhalb von Gesellschaften und Familien. Auch die Gründe für Verfolgung sind komplex. Da geht es nicht nur um die politische Überzeugung oder Hautfarbe, sondern auch um die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen. Um dieses komplizierte Geflecht wird sich Frau Khan Gedanken machen und neue Aktionsformen als Antwort auf die vielfältigen Erscheinungsformen von Menschenrechtsverletzungen finden müssen. CARMEN BECKER