Wie Preußen jede Revolution vermasselt hat

Schill-out für die Helden Berlins

Enorm viele Straßen und Plätze Berlins sind nach den Schlachten und Helden der antifranzösischen Befreiungskriege benannt: Yorck, Gneisenau, Blücher, Lützow, Bülow ..., ferner Großgörschen, Großbeeren, Katzbach, Kulm usw. Für den schwäbischen Wahlkreuzberger Hegel, der in Napoleon den Weltgeist hoch zu Pferde daherkommen sah, waren die Benamungen besonders bitter. Die Frage, wer oder was fortschrittlich bzw. reaktionär war, beantwortete Karl Marx dann kurz und bündig: Links – das waren die Kräfte für Napoleon (also für Gewerbefreiheit, Judenemanzipation etc.) und rechts – das waren all die gegen ihn eingestellten Kreise (der Feudaladel, die Junker etc.).

Schon die Historiker der DDR, deren Straßennamen nach antifaschistischen Helden inzwischen weitgehend ausgemerzt wurden, sahen in Preußens Widerstand gegen Napoleon ein wesentliches Element der eigenen Staatsgeschichte. Dieser bornierte, ja halbherzige preußische Volks- und Guerillakrieg von Freikorpsverbänden und Landsturmabteilungen, der mit den gescheiterten Aufstandsbemühungen der adligen Offiziere Katte, Dörnberg und des Majors von Schill anhub, kam erst mit der russischen Armee und ihren Partisanenformationen 1813 richtig in Schwung. Zuvor war das preußische Korps Yorck bei Tauroggen zu ihnen übergelaufen.

Als die ersten Kosaken die letzten Franzosen aus der Hauptstadt vertrieben hatten, tanzten die Berliner auf der Straße Unter den Linden. In Weimar erwog man gar die Aufstellung von Anti-Partisanen-Einheiten zur Bekämpfung preußischer Partisanen. Die Niederlage Napoleons hatte dann ganz ähnliche Folgen wie der Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Schwesterrepubliken bzw. Satellitenstaaten 180 Jahre später: Nach lautem Hurra der Patrioten/Regimegegner wichen diese augenblicklich dem reaktionären Gesindel, das sich sogleich daranmachte, die alten Verhältnisse zu restaurieren.

Sogar die „Beutekunst“-Debatte war damals wie heute identisch. Nachdem die unseligen Hohenzollern 1991 die hohlen Schädel ihrer Altvorderen wieder in Polpotsdam platziert hatten, machten sie sich daran, ihre inzwischen als Weltkulturerbe vergesellschafteten Schlösser wieder höchstpersönlich, aber hochgeheim und zusammen mit reichen Prominenten aus der Modebranche und dem Showgeschäft zu bespielen, wobei sie nun nach und nach die klamme „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ vor vollendete Tatsachen stellen. Zugleich zelebrieren durch die Treuhandpolitik reich gewordene Wirtschaftsberater und -juristen in den reprivatisierten LPG-Gutshöfen alte Junkerherrlichkeit – scheel beäugt von den nun erneut gelegten Jungbauern drumherum, die ihre Wut auf Ausländer richten. Die ganze Mark Brandenburg ist in den letzten zehn Jahren ein einziges Déjà-vu geworden – von Mecklenburg-Vorpommern ganz zu schweigen!

Preußen bzw. Deutschland hat wirklich zweimal die Weltrevolution vermasselt: erst die französische mit ihren napoleonischen Auswirkungen und dann die russisch-sowjetische. Letztere zum einen dadurch, dass es 1918 wieder nur einen laut Arthur Rosenberg „rührend naiven“ Aufstand (wie auch schon 1812 und 1848) zustande brachte, der darauf von den wiederauferstandenen Freikorpsverbänden zusammengeschlagen wurde. So marschierte der Trupp des Marinemajors Ehrhardt beim Kapp-Putsch durch das Brandenburger Tor – mit dem Lied „Arbeiter, Arbeiter, wie wird es dir ergehn / Die Brigade Ehrhardt schlägt alles kurz und klein / Wehe dir, wehe dir, du Arbeiterschwein!“

Zudem wetteiferte die KPD mit der NSDAP als Massenpartei und in Wahlkämpfen – sie organisierte in Berlin sogar mit den Nazis zusammen einen BVG-Streik, statt wirkliche ökonomische Argumente und Konzepte gegen die Arbeitslosigkeit ins Feld zu führen. Laut Alfred Sohn-Rethel hätte dazu „die volle ökonomische Planwirtschaft zwischen der Sowjetunion und Deutschland“ gehört – eine Idee, die in der KPD diskutiert wurde, ohne dafür jedoch richtig Propaganda zu machen. Sie wurde erst, nachdem die faschistische Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch eine „Vernichtungs- und Plünderungsökonomie“ in die Katastrophe geführt hatte, der DDR von der UdSSR dekreditiert.

Bevor die Alliierten Preußen 1947 per Gesetz endgültig auslöschten, kam es am 20. Juli 1944 noch einmal zu einem letzten adlig-bürgerlichen Widerstandsversuch durch den Grafen von Stauffenberg. Dem DDR-Dramatiker Heiner Müller dünkte es später „typisch preußisch“, dass die Verschwörer ausgerechnet einen einarmigen Banditen mit der Ausführung des Attentats beauftragten. Nicht weniger bezeichnend war kurz zuvor dessen Engagement sowie das seiner Gruppe – unter anderem v. Weizsäcker, Yorck Graf v. Wartenburg, v. Gersdorff, Graf v. Schulenburg, Arthur Nebe, Otto Bräutigam, Adolf Heusinger – bei der Vernichtung „unnützer Esser“ (Juden, Zigeuner, Kinder, Alte, Partisanen und Bettler) in Weißrussland. Erbost fragte deswegen der US-Ankläger Kempner im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess den zur Verteidigung bestellten „Sachverständigen der Widerstandsbewegung“, v. Schlabrendorff: „Wie viele Juden darf man denn ermorden, wenn man das Endziel hat, Hitler zu beseitigen – wie viele Millionen?“

Der DDR galten der einstige „Held der Berliner“ Ferdinand v. Schill und seine „Rebellen“ als „Vorkämpfer und tragische Gestalten“. In der restaurativen BRD kam es dagegen zu einem regelrechten Schill-out: als die im Zweiten Weltkrieg bei der Partisanenbekämpfung eingesetzten Schriftsteller Ernst Jünger und Rolf Schroers angesichts des um sich greifenden „American Way of Life“ den intellektuellen Widerstand als letzte Bastion aufrechten Deutschtums propagierten – und sich dabei selbst als unbeugsame Privatpartisanen darstellten. „Es scheint sich hierbei um eine spezifisch deutsche, der deutschen Untertanenmentalität entsprechende Spielart [...] zu handeln“, vermutete der BRD-Historiker Helmut Heiber. HELMUT HÖGE