Das Glück entzieht sich Nützlichkeitserwägungen

Ingo Heinemann, Sprecher des Dachverbands für Sekten- und Psychomarktberatung AGPF über Verbraucherschutz auf dem Psychomarkt

taz: Warum fordern Sie mehr Verbraucherschutz im Umgang mit Psychogruppen und Designerreligionen?

Ingo Heinemann: Exotische Religionen sind kulturelle Erscheinungen. Sie werden meist gegen Bezahlung oder gegen genau festgelegte Spenden angeboten. Sie gehören dann zum Psychomarkt. Der Psychomarkt verspricht Gesundheit, Glück, Vollkommenheit und manchmal Unsterblichkeit. Oft wird mit wissenschaftlicher Beweisbarkeit geworben, selbst einige der exotischen Religionen und Sekten tun dies. Wissenschaft bedeutet Nachprüfbarkeit.

Und der Verbraucherschutz fragt nach?

Im Idealfall täte er genau dies. Wenn Kultur verkauft wird, geht es um Geld, Haftung und Gefahren und damit auch um Verbraucherschutz.

Versagen im Umgang mit Sekten, die ja auf das Emotionale und Spirituelle setzen, nicht Information und Aufklärung als traditionelle Mittel des Verbraucherschutzes?

Viele Interessenten suchen sich heute den Guru nach rationalen Kriterien aus. Manche fragen vorher auch bei Beratungsstellen an. Sie wollen nicht betrogen werden. Die Zahl solcher Anfrager wächst, hier kann viel bewirkt werden. Für Gefahren, Risiken und Nebenwirkungen gibt es objektive Kriterien. Viele Gruppen täuschen jedoch den Interessenten. Ihm wird angeboten, er könne die Welt retten, sich selbst vervollkommnen, glücklich werden.

Und wie greifen in solchen Fällen objektive Kriterien?

Hier werden oft Methoden angewandt, die Professor Kroeber-Riel in seinem Buch „Konsumentenverhalten“ 1980 als „emotionale Konditionierung“ bezeichnet hat. Kroeber-Riel hat sich nicht mit Sekten befasst, sondern mit Werbung und dem Verhalten der Verbraucher. Er bezeichnet solche Werbung, die „angeborene Dispositionen“ des Menschen anspricht, als „gefährliche Waffe“ in der Hand der Werber. Laut Kroeber-Riel kann dies nur durch einen Konsumentenschutz verhütet werden, der die Konditionierung unterbindet. Deshalb muss gegen derartige Werbung nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vorgegangen werden. Dieses Gesetz wird bisher auf den Psychomarkt allerdings nicht angewandt.

Wie sollte der Verbraucherschutz im Umgang mit Sekten und Psychogruppen Ihrer Meinung nach aussehen?

Das geltende Recht reicht nicht aus. Deshalb hat die Bundestags-Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ 1998 die Verabschiedung des Psychovertragsgesetzes dringend empfohlen, des Lebensbewältigungshilfegesetzes. Das Gesetz soll nicht die Hilfe regeln, sondern Mindestinhalte der Verträge festlegen. Es ist vergleichbar dem Reisevertragsgesetz. Oft wissen die Kunden nicht einmal, an wen sie tausende von Mark überweisen. Die ersten Fragen lauten deshalb fast immer: Was ist das für eine Gruppe? Was bietet sie an, was ist das für eine Lehre? Wo liegen die Gefahren?

Wo liegen sie?

Dem Kunden drohen Gefahren für die Gesundheit, aber auch für seine Freiheit, seine Rechte und sein Geld. Psychotherapien sind nach dem Heilmittelwerbegesetz Arzneimitteln gleichgestellt, „soweit sich die Werbeaussage auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden bei Mensch oder Tier bezieht“, wie es im Paragraf 1 des Heilmittelwerbegesetzes heißt. Genau das ist meist der Fall.

Ist das jüngst in Frankreich verabschiedete Sektengesetz hilfreich im Sinne des Verbraucherschutzes?

Das französische Sektengesetz ist ein Strafgesetz. Es soll den Psychomarkt-Kunden vor notorischen Straftätern schützen. In Deutschland wurde versucht, das Vertragsrecht zu aktualisieren. Das ist die milde Variante. Wenn dies nicht gelingt, wird unweigerlich die Forderung nach einer Verschärfung des Strafrechts auch in Deutschland erhoben werden.

Die Angebote des Psychomarktes sind interkulturell und vielfältig. Dem Kunden wird Glück versprochen. Lässt sich beweisen, dass der Kunde nicht glücklich wird?

Für die Nützlichkeit der Angebote gibt es oft keine objektiven Kriterien. Dann kann der Verbraucherschutz lediglich vor Risiken und Nebenwirkungen warnen. Jedes Training würde selbst zu einem Psychomarkt-Angebot.

INTERVIEW: SVEN HANSEN

Kontakt: AGPF – Aktion für Geistige und Psychische Freiheit e. V., Bonn, Ingo Heinemann, Grabenstr., 53579 Erpel, (0 26 44) 9 80 13-0, Fax 9 80 1 3-1, E-Mail: agpf@agpf.de, www.agpf.de