Wider den starren Eigensinn

Der Gestalter Günter Ssymmank entwickelte bereits 1959 den Prototyp einer schwingenden Stehleuchte aus Polyamid. Bis heute bestechen seine Lampenentwürfe durch ihre bizarren Formen

von MICHAEL KASISKE

„Die Wahrnehmung von Licht ist etwas Eindeutiges“, sagt Günter Ssymmank, „also können wir auch gute Leuchten entwickeln. Ganz anders verhält es sich etwa mit Stühlen. Der menschliche Körper ist nicht zum Sitzen geeignet, daher kann es auch kein geeignetes Sitzgerät geben.“ Der emeritierte Professor für Industrielles Gestalten kommt ins Philosophieren über Formen, Materialien und Farben, vor allem aber über das Licht, mit dessen Eigenschaften er sich bei dem Entwurf verschiedener Beleuchtungskörper beschäftigt hat.

Ungewöhnlich ist lediglich das Umfeld, in dem wir uns zum Gespräch getroffen haben: die Stube eines alten Bauernhauses, in der seine an Blüten und Knospen erinnernden Leuchten abgehoben und doch formal vertraut wirken. Als Ssymmank am Telefon anbot, mich vom Bahnhof von Buxtehude abzuholen – „Sie erkennen mich am Porsche“ –, war ich gespannt auf die Fahrt über die sich schlängelnden Landstraßen. Der Porsche erwies sich als Modell aus meiner Jugend, der achtzigjährige Gastgeber als kraftvoller, braun gebrannter Herr, der noch jeden zweiten Tag seine Bahnen im Schwimmbad zieht.

Die heute nach ihm benannte Stehleuchte hat Ssymmank 1959 entworfen. Sie ist eine Synthese aus kalkulierter Funktion und Skulptur. Sein Lehrer an der Technischen Universität Berlin, der Philharmonie-Architekt Hans Scharoun, urteilte: „Interessant ist, wie gerade durch die Perfektionierung der Konstruktion und der Verarbeitung neuer Werkstoffe der Ausdruck des ‚Technischen‘ aus der äußeren Erscheinung geschwunden ist und die reine Gebrauchsform hervortritt.“ Nachdem die Leuchte erst Anfang der 80er-Jahre in Produktion ging und nur Insidern bekannt war, wurde sie 98 in das Programm von MawaDesign aufgenommen, die heute die Montage sowie den Vertrieb organisieren. Auf einmal erscheint die Stehlampe aktuell innerhalb des Rekurses auf futuristisch-organische Gestaltung, doch war sie der heiteren Designperiode Ende der 1960er-Jahre um eine Dekade voraus.

Auch wenn es diese expressiv erscheinende Leuchte mit dem ursprünglichen Namen „Integra“ kaum vermuten lässt, ist sie doch das Ergebnis einer langen Recherche über „Licht und Sehen“. Ssymmanks Ziel war der Entwurf einer „Wohnleuchte“, die für eine stimmungsvolle und behagliche Atmosphäre sorgt. Mit dem damals neuen Material Polyamid, ein dauerhaft elastischer Kunststoff, konnte er die bizarre Form der Blätter und ihre kräftigen Farben realisieren. Damit habe er nicht die Natur nachgeahmt, so Ssymmank, sondern „aus der Natur gelernt, wie sie Licht aktiv farbig produziert“. Ein weiteres Charakteristikum ist, dass die Leuchte schwingt: Ihr elastischer „Stengel“ lässt sie auf die kleinste Berührung reagieren; sie hat – wie Scharoun meinte – „den Eigensinn der bekannten starren Leuchten abgelegt“.

Bei der Entwicklung seiner Wohnobjekte kam Ssymmank seine Doppelbegabung zugute: Neben dem Studium der Architektur und des Maschinenbaus war er Privatschüler bei dem Bildhauer Gustav Seitz, dessen Skulptur von Käthe Kollwitz auf dem nach ihr benannten Platz bekannt ist, und später Assistent bei Hans Scharoun. Ende der 50er-Jahre erlangte er einige Berühmtheit mit einer Reihe gewagt konstruierter Treppen in Privathäusern.

Für Scharoun entwarf Ssymmank auch einen Spieltisch, dessen quadratische Fläche sich mit wenigen Handgriffen auf das Doppelte vergrößern ließ. Faszinierend ist das Tischgestell: Es setzt sich zusammen aus geschweißten Profilen, die sich zu den Enden verjüngen und mit Gummipolstern versehen die Tischplatte und Gestell vorm Rutschen bewahren. Leider wurde der Tisch nur dreimal hergestellt, neben Scharoun auch für Hugo Häring, und hat aufgrund der aufwendigen Fertigung heute kaum Chancen auf Serienproduktion.

Gerne hätte Ssymmank seinen integrativen Ansatz auch in seinem Fachgebiet Industrielles Gestalten umgesetzt. „Wann wird man endlich damit beginnen“, forderte er 1963 bei der Präsentation seines Studienplanes, „Gestalter für das Bauwesen und die gesamte Wohnbedarfs-Industrie auszubilden und ihnen wissenschaftliche Kenntnisse zu vermitteln, die der Anforderung einer in das Stadium der Automation eingetretenen Industrialisierung gewachsen sind?“

Eine von ihm entwickelte Form, die fast jeder kennt, sind die kugelförmigen Leuchten im Foyer der Philharmonie. Sie bestehen aus einem Gerüst aus gespritztem Kunststoff, in das Pilzschalen eingesetzt werden. Diese Leuchte wurde von der eigens dafür gegründeten Firma Integra hergestellt, die Ssymmank zusammen mit dem Unternehmer Werner Scharf betrieben hat. In den 80er-Jahren wurde die Firma aufgelöst, Ssymmank aber behielt mit den von ihm entwickelten Werkzeugen die Option, wieder produzieren zu können; sie stehen zusammen mit den in hoher Stückzahl hergestellten Blättern in einer Scheune. Er hat schließlich zugesagt, die Leuchte für die Philharmonie weiter lieferbar zu halten.

Dennoch hat Ssymmank die Leuchte weiterentwickelt und unlängst eine neue Variante vorgestellt, die sowohl als Hocker- wie auch als Hängeleuchte beeindruckt. Anders als die Philharmonie-Kugeln sind hier die Pilzschalen tiefer und geben der Leuchte eine stärkere dreidimensional strukturierte Wirkung. Die Teile aus Kunststoff hat Ssymmank auf Lager, die Stangen für die Pendelleuchte und die Abdeckung für den Deckenanschluss werden beim Schlosser im Dorf hergestellt. Eine abgehobene Kugel, die für einen humanen Fortschritt steht.

Hänge- und Stehlampen über Modus, Wielandstraße 27–28, 10707 Berlin-Wilmersdorf. „Ssymmank“ u. a. bei: Arno-Leuchten, Stadtbahnbogen/Savignyplatz, 10623 Berlin-Charlottenburg