Diese Bark soll wieder segeln

„Das Schiff hat uns einen Teil seines Lebens gegeben“, sagt der Kapitän der „Towarisch“. „Und jetzt geben wir dem Schiff einen Teil unseres Lebens.“

aus WilhelmshavenKATHARINA BORN
(Text) undMICHAEL JUNGBLUT (Fotos)

Der Bug des Segelschiffes „Towarisch“ glänzt in der Mittagssonne. Der weiße Lack ist noch frisch. Die Segel sind zusammengerollt. Hoch oben an den Masten flattern die deutsche und die ukrainische Flagge. Drei Musikanten spielen auf dem ausgewaschenen Mitteldeck traurige Lieder, eine Gruppe Kinder hört zu. Ein kleiner Mann in dunkelblauer Uniform verkauft Anstecknadeln, Broschüren und Mützen mit den Namen der großen Windjammer, die noch heute die Weltmeere befahren – Kruzenshtern, Sedov, Mir.

Alexandr Milow ist 51 und an Bord der Zweite Maschinist. Schon sein Vater hat als Ingenieur auf dem dreimastigen Segelschiff, der Bark, gearbeitet. Vor zwei Jahren übernahm sein Sohn einen Posten im Maschinenraum, aber die Segel hat er schon nicht mehr im Wind gesehen. Denn seit sechs Jahren wartet der ukrainische Großsegler „Towarisch“ auf bitter nötige Reparaturen. Seit zwei Jahren macht er nun schon am Bontekai in Wilhelmshaven fest – und mit ihm zehn Männer Besatzung, gerade genug, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. „Was soll man machen“, sagt Milow und ordnet die Souvenirs auf dem Verkaufstischchen. „Das Schiff ist mein Leben und meine Familie. Mein Platz ist da unten. Auch wenn ich jetzt nur aufpasse, dass die Kinder nicht ins Wasser springen.“

Die Planken des Ausgucks sind von Wind und Wetter zerfressen, der Querbalken am Mast, die Rah, knirscht verdächtig, wenn der Erste Offizier die Takelage herunterklettert. Im Gang zur Kombüse laufen brummend zwei Waschmaschinen. Vor dem Maschinenraum hat der Koch Konserven, Paletten mit Eiern und Reissäcke gestapelt. Der Aufenthaltsraum, die so genannte Mannschaftsmesse, ist mit Schwimmwesten, Taurollen und Fahrrädern zugestellt. Weiter unten frisst der Rost Löcher in die Bugwand, verbiegen die stählernen Spanten, die Rippen des Schiffsleibs. Im verwaisten Schlafraum der Kadetten liegt die Wäsche auf den Stockbetten ordentlich gefaltet. Der Kapitän Jurij Kuschenko zeigt auf eine Pritsche im Mittelgang. „Da habe ich geschlafen, als ich gerade 15 Jahre alt war und selbst Kadett der Handelsmarine.“ Heute ist er 44 und seit zwei Jahren der Kapitän. „Dieses Schiff wird wieder segeln“, sagt er. „Sonst wären wir ja nicht hier.“

Der Kapitän sagt leise „Danke“, wenn die Besucher Geldstücke in die Sammelkasse fallen lassen, eines der wenigen deutschen Wörter, das er kennt. Unter Deck ist ein kleines Museum eingerichtet. Es ist die Vergangenheit des Schiffes, die den Großsegler so besonders macht. Denn die „Towarisch“ hieß einmal „Gorch Fock“ und gehörte als Segelschulschiff zur deutschen Kriegsmarine (siehe Kasten). Auf diese Vergangenheit bauen die Seeleute heute. Als Besatzung eines „echt europäischen Schiffs einer europäischen Ukraine“, wie der Kapitän sagt, hoffen sie auf deutsche Hilfe.

Von frühmorgens bis abends schrubben die Seemänner die grauen Dielen an Deck, polieren Messing, lackieren Schäkel und Kauschen, die Metallringe in der Takelage. Sie kneten Teig für ihre Pelmeni, hackfleischgefüllte Nudeltaschen, besorgen Einkäufe und betreuen Besucher. Aber seit die Aufsichtsbehörde im britischen Newcastle vor sechs Jahren das Schiff festsetzte, weil es nicht mehr seetüchtig sei, warten die Ukrainer letztlich auf ein kleines Wunder: „Alles ist bereit für die Reparatur“, sagt Kapitän Kuschenko. „Es fehlt nur noch das Geld. So um die acht Millionen Mark.“

In Newcastle sollte das Schiff 1995 mit Spendengeldern überholt werden. Aber der Zustand – das wurde im Dock offensichtlich – war schlechter als zunächst vermutet. Zwei Jahre kam es nicht mehr weg. Ein neuer Reparaturversuch in Middlesborough schlug fehl, das lange Warten zehrte die gesammelten Gelder auf. Bis Wulf Marquard vom Hamburger Verein Tall-Ship-Friends für das historische Schiff einen kostenlosen Liegeplatz in Wilhelmshaven organisieren konnte. Wie zuvor für andere Großsegler versprach der Verein in einem Vertrag mit dem ukrainischen Bildungsministerium, für die „Towarisch“ eine Millionensumme an Spenden aufzubringen.

„Wir sind da damals ein bisschen blauäugig drangegangen“, sagt Marquard, der den internationalen Verein zur Förderung historischer Großsegler selbst gegründet hat. Er hätte für die ehemalige „Gorch Fock“ Gelder „dubioser Verbindungen“ besorgen können, die, wie er sagt, „am liebsten die Hakenkreuzfahne hissen würden“. Das wollte er natürlich nicht. Seriöse Sponsoren wiederum drängten auf ein Mitspracherecht für die Zukunft des Schiffes, das er nicht garantieren konnte. Nur im Rahmen einer Stiftung nach deutschem Recht sei der Betrag von mindestens fünf Millionen Mark aufzubringen. Aber darauf will die Ukraine bisher nicht eingehen.

Kuschenko, im dunkelglänzenden Trainingsanzug, stellt eine Schale mit eingemachten Ananasscheiben auf den Tisch und bereitet Nescafé. Die Decke und die Wände der Kapitänskajüte sind mit edlem Holz vertäfelt, die Sitzbank mit dunklem Leder bezogen, und die Deckenlampen hingen zum Großteil schon, als das Schiff noch „Gorch Fock“ hieß. Nur der plüschige Teppichboden und die bunten Muster der Tischdecke stammen aus den Achtzigerjahren. Auf dem Schreibtisch steht ein Laptop vor alten Messgeräten, unter der antiken Schirmlampe eine Plastikleuchte, auf der Mahagonikonsole ein Videorekorder. Ein schmaler Durchgang führt zur Koje und dem einfachen Duschbad.

„Es ist nicht halb so schlimm, wie manche Leute das Schiff machen wollen“, sagt Karl-Heinz Schulze, ein pensionierter Marineangehöriger und Mitglied der Wilhelmshavener Initiativgruppe „Towarisch“. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Schulze an Bord ist. Er hat die neuen Uniformen besorgt, die Kühlschränke, die Waschmaschinen. Er organisiert Arztbesuche, findet Fahrräder und Sponsoren für Bier und Brot. „Die Ukraine ist noch nicht lange selbstständig“, sagt Kapitän Kuschenko und lächelt Schulze mit zwei Silberzähnen an. „Sie braucht noch eine Weile Unterstützung. Und vor allem Freunde wie Herrn Schulze.“

In der Stadtverwaltung wird man langsam ungeduldig. Der Zweijahresvertrag mit der Ukraine läuft dieser Tage aus, ohne dass eine Lösung für die „Towarisch“ in Sicht ist. Das alleinige Ziel müsse sein, das Schiff wieder in Fahrt zu bringen, heißt es im Rathaus. Ein neuer Vertrag erlaubt der Bark noch drei Monate kostenlos in Wilhelmshaven zu liegen. Allerdings zahlt die Stadt der Besatzung nun kein Tagegeld mehr. Außerdem wolle man diesmal darauf achten, dass nicht wieder erst kurz vor Vertragsende etwas passiere.

Auch die städtische Hafenbehörde ist längst nicht mehr begeistert. Der schlechte Zustand des Windjammers sei ein großes Risiko, heißt es aus dem Büro des Hafenkapitäns. Was, wenn er plötzlich sinkt? Ohnehin würde keine Werft die Bark mehr nehmen, aus Angst, sie nicht mehr loszuwerden. Tatsächlich wurde in einem deutschen Hafen kürzlich eine ukrainische Fähre verpfändet, weil sie der Werft die Reparatur nicht zahlen konnte.

„Küstenschnack“, sagt Marquard von den Tall-Ship-Friends. Er setzt auf einen neuen Liegeplatz in Stralsund. Im Osten, rechnet er, würde er schon wegen der Arbeitsförderung bis zu 3,4 Millionen Mark an öffentlichen Geldern für das Schiff locker machen. Bis zu den fünf Millionen sei es dann nicht mehr weit. Das Schiff könnte wieder segeln und mit Touristenfahrten neben der Kadettenausbildung im ersten Jahr schon eine Million für weitere Reparaturen einfahren. Außerdem habe Stralsund tatsächlich großes Interesse an der alten „Gorch Fock“. „Da saß die halbe Stadt mit am Tisch.“ Aber in der Botschaft der Ukraine gibt man sich bedeckt. Man verhandele mit verschiedenen Parteien, heißt es, und die wollten noch nicht genannt werden.

Abends steht der Kapitän mit dem Ersten Offizier und dem Maschinisten Milow an der Reling. Er wirft den Schwänen im Hafenbecken Graubrot zu. „Es gibt keine bessere Schule für junge Männer als einen Großsegler“, sagt Kuschenko, und die Besatzung nickt bedächtig. „Heute wie damals kann man allein nichts ausrichten auf einem solchen Schiff. Die Jungen lernen, im Team zu arbeiten.“ Deshalb heiße der Windjammer eben „Towarisch“, sagt der Kapitän. Nicht „Genosse“, wie viele meinen, das klinge viel zu kommunistisch, sondern „Kamerad“. „Das Schiff hat uns einen Teil seines Lebens gegeben, und jetzt geben wir dem Schiff einen Teil unseres Lebens.“